Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Heute geht es um eine besonders sehenswerte Kirche in Chemnitz. Die Kirche des Stifts Unserer lieben Frauen zu Ebersdorf in Ebersdorf, dem Ortsteil von Chemnitz hat ihren Ursprung im 12. Jahrhundert, sie war ab dem 14. Jahrhundert Marien-Wallfahrtsstätte.

Die anfangs kleine romanische Dorfkirche erhielt ihre heutige Gestalt mit Umbau und Vergrößerung im 15. Jahrhundert. Ihre kostbare, künstlerisch hochwertige Ausstattung stammt überwiegend aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert, als sie ein Kollegiatstift war. Erhalten sind ebenfalls einige Votivgaben der Pilger, um die sich verschiedene Sagen ranken.

Das geschlossene Ensemble der ehemals befestigen spätgotischen Kirchhofanlage mit zwei Wehrtürmen und der achteckigen Marienkapelle ist fast vollständig erhalten. Es steht als „Sachgesamtheit Stiftskirche Chemnitz-Ebersdorf“ unter der Objektnummer 09302742 auf der Liste der Kulturdenkmale in Chemnitz-Ebersdorf. Ergänzt wird die Anlage mit dem aus der Barockzeit stammenden Pfarrhaus an der Ostseite.

Geschichte

Am nördlichen Strebepfeiler findet sich, verdeckt vom Dachwerk der Sakristei, die Jahreszahl 914. Sie lässt vermuten, dass die Geschichte der Ebersdorfer Kirche bis in die Zeit der Ausweitung des Ostfrankenreichs nach Osten kurz nach der Gründung des Bistums Meißen zurückreicht. Archäologische Grabungen in den Jahren 1959/61 haben einen auf etwa 1160 datierten romanischen Kirchenbau nachgewiesen.

Die urkundliche Ersterwähnung des Ortes und der Kirche findet sich in der Meißner Bistumsmatrikel von 1346. Zu dieser Zeit hatte Ebersdorf bereits als Wallfahrtskirche Bedeutung.

Wallfahrtsstätte

Die Marienwallfahrt nach Ebersdorf stand im Zusammenhang mit der allgemeinen Zunahme der Marienverehrung im 14. Jahrhundert. Allein in Sachsen gab es zu jener Zeit etwa dreißig weitere mit Maria verbundene Wallfahrtsorte. Diese Nah-Wallfahrtsorte ermöglichten der Bevölkerung spirituelle Einkehr ohne aufwendige Fernreisen wie etwa Pilgerfahrten auf dem Jakobsweg oder nach Jerusalem.

Die bekannteste Wallfahrt 1455 stand im Zusammenhang mit dem sächsischen Prinzenraub: Die jugendlichen Prinzen Ernst und Albrecht waren in der Nacht vom 7. zum 8. Juli 1455 von Kunz von Kauffungen aus dem Altenburger Schloss entführt worden, der auf diese Weise seine Ansprüche gegen den Vater der Prinzen, Kurfürst Friedrich den Sanftmütigen, durchsetzen wollte. Während Albrecht die Flucht gelang, kam Ernst erst nach einigen Tagen aus der Prinzenhöhle im Erzgebirge frei.

Kauffungen wurde einer Überlieferung nach nur wenig später von einem Köhler gefangen genommen und am 13. Juli hingerichtet. Am 15. Juli 1455 unternahmen die Eltern der geretteten Prinzen, Kurfürst Friedrich und seine Frau Margaretha, eine Wallfahrt nach Ebersdorf, um für die Rettung ihrer Kinder ein Dankopfer darzubringen.

Stiftskirche Ebersdorf. Foto: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138183685
Stiftskirche Ebersdorf. Foto: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138183685

Der Einzugsbereich des Ebersdorfer Wallfahrt war mit etwa 50 Meilen (etwa 80 Kilometer) für einen Nah-Wallfahrtsort vergleichsweise groß. Finanziell war die Wallfahrt sehr einträglich: Mit den Spenden der Pilger konnte die Kirche zwei Dörfer erwerben und besaß genügend Kapital, das sie gegen Zinsen verleihen konnte. Die Einkünfte dank Wallfahrt erlaubten es, die kleine romanische Kirche im Laufe von rund fünf Jahrzehnten im spätgotischen Stil zu vergrößern. In Ebersdorf bestand ein Kollegiatstift der Diözese Meißen, der Zeitpunkt der Gründung ist nicht belegt.

Nach der Reformation

Die Reformation hielt zwei Jahre früher als im übrigen albertinischen Sachsen Einzug. Der erste namentlich bekannte lutherische Prediger war jedoch erst 1538 Gregorius Göltzsch.

In der Nacht zum 18. September 1654 brach im Erbgericht, der Schenke, ein Feuer aus, das auf die Wehrmauer mit ihren Türmen und auch auf die Kirche übergriff. An Turm und Dach kam es dabei zu schweren Schäden. Die Wiederherstellung, die bis 1659 andauerte, bezahlte der Kurfürst.

1882 bis 1887 fand eine grundlegende Renovierung und Umgestaltung im historisierendem Stil statt. Die Fassung der Kirchenausstattung in dunklen Farben entsprach dem Zeitgeschmack. Von dieser Renovierung haben sich die vergrößerte Westempore und die neugotischen Maßwerkfenster erhalten.

Ab 1959 konnte die Kirche renoviert werden, wobei die historisch belegte Farbigkeit und Baugestalt vom Ende des 15. Jahrhunderts wieder erstanden. Die Turmkapelle wurde zum Hauptschiff hin geöffnet.

Bauwerk

Die Stiftskirche ist eine aus Hilbersdorfer Porphyrtuff errichtete spätgotische Kirche mit einem zweijochigen Chor, einem asymmetrischen, zweischiffigen Langhaus und einem Turm in der Südwestecke. Das Langhaus ist etwa so lang wie der Chor, hat aber drei Joche, wobei das dritte Joch des schmaleren südlichen Seitenschiffes der ebenfalls eingewölbte Turmraum ist.

Drei Portale führen an der West- und Südseite des Langhauses und an der Südseite des Chores in den Kirchenraum. Die Kirche ist nicht geostet, sondern mit dem Altarraum nach Nordosten ausgerichtet. Das südliche Seitenschiff ist viel schmaler als das Hauptschiff, Chor und Langhaus sind eingewölbt.

Innenansicht. Foto: Agnete, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138188214
Innenansicht. Foto: Agnete, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138188214

Das Netzgewölbe im Chor hat weder Schlusssteine noch Konsolen, während beim Kreuzrippengewölbe im Langhaus kleine Konsolen mit verschiedenen Figuren und vergoldete Schlusssteine vorhanden sind. Die Säulen und Gewölberippen des Langhauses sind dem ursprünglichen Aussehen entsprechend mehrfarbig gestaltet. Das neugotische Maßwerk der meisten Fenster stammt von der Restaurierung von 1882 bis 1887. Einige farbige Glasscheiben in den Chorfenstern sind aus dem frühen 16. Jahrhundert erhalten. In baulichen Details und Farbgestaltung besteht eine stilistische Nähe zur St.-Jakobi-Kirche in Chemnitz.

Ausstattung

Die Ebersdorfer Stiftskirche hat eine hochwertige Sammlung mittelalterlicher Sakralkunstwerke. Das älteste Ausstattungsstück ist eine romanische Sitzmadonna aus dem 14. Jahrhundert, wahrscheinlich das Kultbild der Wallfahrt. Während die Wallfahrt blühte, gelangten im 15. und 16. Jahrhundert weitere Kunstwerke dorthin.

1513 erhielt die Kirche einen neuen Flügelaltar, der seitdem auf dem Altartisch im Chor steht. Wie die Wappen auf der Predella belegen, wurde er von dem damaligen Kirchenpatron Georg von Harras und seiner Frau Margarethe von Minckwitz gestiftet. Der Altar hat zwei bewegliche Flügelpaare, sodass drei Wandlungen möglich sind. Seine Rückseite umfasst die gesamte Breite des aufgeklappten Zustandes, da der Altar ein drittes, fest am Schrein montiertes und daher unbewegliches Flügelpaar, sogenannte Standflügel, besitzt.

Die ursprünglich nur an Festtagen sichtbaren Schnitzfiguren des Mittelschreins, der Innenseiten des inneren Flügelpaares und des Gesprenges sowie die Predella werden dem mit dem Notnamen „Meister des Flöhaer Altars“ bezeichneten Schöpfer des Altars der Georgenkirche in Flöha zugeschrieben.

Links vom Altar an der Nordwand des Chores befindet sich die kleine thronende Madonna, vermutlich das Gnadenbild der Wallfahrt. Ihr „archaisches Lächeln“ und der im 13. Jahrhundert verbreitete Typus der Sitzmadonna lassen die Entstehung im späten 13. Jahrhundert vermuten.

Auf etwa 1420/30 und damit hundert Jahre jünger als die Sitzmadonna werden ein Vesperbild oder Pietà und eine Marmorfigur des Kirchenvaters Hieronymus datiert. Weitere Schnitzfiguren stammen aus der Zeit kurz vor und nach 1500. Zu den bedeutendsten Kunstwerken der Ebersdorfer Stiftskirche werden die vier Stücke gezählt, die dem als Hans Witten aus Köln identifizierten Meister H. W. zugeordnet werden.

Die zwei aus Holz geschnitzten Pulthalter-Figuren, ein Diakon und ein Engel, sind einzigartig: Die seltenen Pulte in Menschengestalt für liturgische Lesungen im Gottesdienst kommen im Mittelalter fast ausschließlich als aus Stein hergestellte Einzelfiguren vor. Die beiden lebensgroßen Figuren mit individuellen Gesichtszügen und fein nuancierter Mimik zählen zu „den ausdrucksvollsten Plastiken der deutschen Spätgotik überhaupt“.

Das überlebensgroße Kruzifix schuf Hans Witten 1513 gleichzeitig mit der Entstehung des Altars. Das Gesicht des Sterbenden ist schmerzverzerrt, der Körper mit verkrampften Muskeln und heraustretenden Adern realistisch dargestellt. Heute zeigt es nach Entfernung der neugotischen Übermalung eine barocke Fassung.

Das Epitaph des Dietrich von Harras wurde wohl 1502/03 hergestellt und gilt als frühestes Werk von Hans Witten im Umland von Chemnitz, es ist aus Tuffstein und war ursprünglich farbig gefasst.

Orgel

In der Historie gab es mehrere Orgeln. Die jetzige Orgel schuf im Jahr 2010 Jehmlich Orgelbau Dresden. Sie ist wegen des hohen Gewichts auf einer von der Empore unabhängigen, weitgehend unsichtbaren Stahlträger-Plattform aufgestellt. Das Instrument hat 2 Manuale, Pedal und 15 Register auf Schleifladen, Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch.

Glocken

Das Geläut besteht aus drei Glocken mit den Schlagtönen es, g, und b, alle haben die Umschrift „Gegossen von L. Albert Bierling in Dresden. 1886.“ Die große Glocke zeigt eine auf einem Kreuz liegende Bibel mit der Inschrift „Biblia Sacra“, darunter steht „Des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1 Petr 1,25). Die mittlere Glocke zeigt das Gotteslamm mit Kreuz und dem Bibelvers „Siehe das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“ (Joh 1,29). Die kleine Glocke trägt ein mit Palme geschmücktes Kreuz und die Aufschrift „Wer überwindet, der wird es alles ererben“ (Off 21,7).

Segenskirchgemeinde Chemnitz-Nord

Die Kirche gehört zur Segenskirchgemeinde Chemnitz-Nord der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Am 1. Januar 2020 schloss sich die Kirchgemeinde der Stiftskirche zusammen mit der Glösaer Gemeinde und der Bornaer Gemeinde zur Segenskirchgemeinde Chemnitz-Nord. Die Gemeinde hat einen Pfarrer, der bei den Gottesdiensten in den vier Kirchen von Prädikanten unterstützt wird.

Lage

Die Kirche in der Mittweidaer Straße 77 in Ebersdorf liegt auf einer Anhöhe etwas exponiert mitten im Waldhufendorf. Sie ist von einer Befestigungsanlage umgeben, in nördlicher Nachbarschaft zur Kirche liegt der Stiftsfriedhof Ebersdorf.

Koordinaten: 50° 52′ 38″ N, 12° 58′ 26,5″ O

Kirche des Stifts Unserer lieben Frauen zu Ebersdorf auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Stiftskirche_(Ebersdorf)

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