Wer ein aufmerksamer kunstinteressierter Mensch ist, dem wird der Name Alex Tennigkeit bereits in anderen Kontexten aufgefallen sein. Die Künstlerin aus Berlin ist Teil des Malerinnennetzwerks Berlin-Leipzig. Sie ist auch die Mitgründerin dieses Netzwerks, das vor einigen Jahren eine Ausstellung im Museum der bildenden Künste in Leipzig erhielt. Tennigkeits Werk war – als Ausschnitt ihres Schaffens – ein Teil der Ausstellung.

Die Frau steht im Vordergrund

In diesem Sommer schlägt sie ihr Zelt in der Galerie Potemka im Leipziger Westen auf. Mit der Galeristin Lu Potemka hat Tennigkeit eine Galeristin gefunden, die ein Gespür für „zeitgeistreiche“ Arbeiten besitzt und weiß, was künftig „Phase“ sein wird. Elektrisierend sind daher für Lu Potemka auch weibliche Künstler, die eine kritische Position zum vorherrschenden Zeitgeist einnehmen, Malerei als sinnliche Kunst begreifen.

Dabei kann sich auch der eine oder andere Mann reinschummeln. Doch die Frau mit all ihren Facetten steht im Vordergrund der galeristisch-kuratorischen Arbeit von Lu Potemka. So gesehen, passen die aktuellen Arbeiten von Alex Tennigkeit wunderbar in diesen Kontext hinein; Feminismus, Emanzipation, Reflexion und Selbsterkundung. Wie viele andere Künstler/-innen unserer Epoche erkundet auch sie die Kunstgeschichte.

Kunst und KI-Technologie

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte fand schon im 16. Jahrhundert statt. In der Renaissance übten vor allem die Künstlerinnen und Künstler den perspektivischen Blick auf die Antike. Alex Tennigkeits Arbeiten blicken nicht so weit zurück, wenngleich ihre Beschäftigung mit zwei Gemälden von Lucas Cranach d.Ä. diesen historischen Bogen erlauben könnte.

Ihr Gemälde „Der Jungbrunnen“ hat das berühmte Vorbild des alten sächsischen Meisters vorm inneren Auge. Alex Tennigkeit erweitert das Sujet um die derzeit stattfindende Zeitgeist-Robotik, die KI-Technologie. Was vor zehn Jahren noch wie reine Utopie klang, ist jetzt bereits Realität. Schon heute können sich Menschen E-Chips implantieren lassen.

Wenn auch die Künstlerin ihr Bild als Allegorie auf eine noch einzusetzende Entwicklung sieht, die KI-Technologie wird bald Realität sein – Mensch und Technologie verschmelzen miteinander. Hinter dieser Entwicklung steht die Frage, wer das Ganze entsorgen wird, denn Mensch wird künftig vielleicht nicht mehr allein nur Mensch sein, sondern eine Umweltbelastung, was er generell schon ist. Vielleicht ist auch der Mensch ersetzbar?

Cranach und antikes Ägypten als Inspiratoren

In Tennigkeits Arbeit schwingt die Frage im Raum, wann und wie der Mensch von einer künstlichen Intelligenz ausgetauscht wird. Immer wieder begegnen uns bekannte Strukturen, wenn wir ihre Bilder betrachten. Ihrem Gemälde „Eva“ stehen mehrere Bildwerke Cranachs als Inspiration Pate.

Eine weitere Inspirationsquelle findet die Künstlerin in den antik-ägyptischen Stand-Schreitfiguren. Der Eindruck der Vorwärtsbewegung entsteht durch den Umstand, dass beide Füße gleichzeitig auf dem Boden bleiben. Ikonographisch ist „Eva“ insofern aufgeladen, weil der zerfurchte Boden und das Feuer Hinweise auf die seit 200 Jahren eingesetzte Naturzerstörung geben, ein Vorgang, dessen Zenit noch nicht überschritten scheint. Während Eva als Allegorie für eine Flucht nach vorn, in eine ungewisse Zukunft, stehen könnte, wendet sich Adam ab und will zurück ins Paradies.

Fäden in die Vergangenheit und soziale Kritik

Ihre Verbundenheit mit ihrer Herkunftsregion am Bodensee schwingt ebenfalls in ihren Arbeiten mit. Handwerklich knüpft Alex Tennigkeit ebenfalls Fäden in die Vergangenheit. Ihre „Cut Outs“ sind Arbeiten auf und mit Holz und anderen Materialien. „Die Idee zum Mais-Girl geht auf meine Kindheit zurück“, sagt sie zu dieser künstlerischen Reihe, die sie 2019 begann, „in der ich fasziniert mit jungen Maiskolben gespielt habe, die so schöne „Haare“ haben. So wurde der Maiskolben zur Puppe.“

Das „Anorexia“ betitelte Bild zeigt so ein Mais-Mädchen; eine Chimäre aus Maiskolben und weiblichem Wesen. Was in diesem Zusammenhang als schöne Kindheitserinnerung mitschwingt, wird durch die dünnen Beine des Mädchenmaiskolben relativiert. Heute so brisante Themen wie Ernährung, Hunger und Magersucht kreist sie mit dieser Arbeit ein.

Lust am Pathos gehört dazu

Sie collagiert mit Leichtigkeit Stahl, Fotoausschnitte, Aluminium und PVC in ihren Cut Outs. In den meisten Arbeiten steht Holz im Mittelpunkt. Thematisch spannt sich das Feld von zeitgenössischer Wirtschafts- und Gesellschaftskritik bis hin zu Diskriminierung von afrikanischstämmigen Mädchen wie in den Arbeiten „No more a Blackamoor“ und „Nuba with It-Girl-Hair“. Sowohl in diesen Arbeiten als auch in Selbstporträts dringen kunsthistorische Vorbilder in ihre von Pop-Art, Surrealismus und Expressionismus geprägten Gemälde, Installationen und Collagen durch.

Die gegenwärtige Bilderflut verschränkt sie mit bereits bekannten ikonografischen Markern aus der Kunstgeschichte. Auf diese Weise werden wir an unsere eigene beschränkte Existenz erinnert, wie vergänglich wir selbst eigentlich auf diesem Planeten sind und wie stark unser Fußabdruck mittlerweile geworden ist, obwohl wir so wenig für die Natur und unsere Mitmenschen leisten.

Lust am Pathos gehört für sie selbstverständlich dazu. Nur so können wir ihre Bilder allumfänglich und in aller Tiefe verstehen lernen. Vielleicht sollte sich unser Zeitgeist verstärkt mit unserer Natur und Mitwelt beschäftigen, wie Alex Tennigkeit dies künstlerisch unternimmt – und so frei nach Friedrich Hölderlins (1770–1843) Sinnspruch „Ideal wird, was Natur war“ agiert.

Alex Tennigkeit’s
finest Raws
Malerei und Cut-Outs

Ausstellung: 13. Juni – 24. Juli 2021
Es gelten die aktuellen Corona-Bestimmungen!

https://potemka.de/exhibitions.html

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