Vor knapp zwanzig Jahren gab es im „New Yorker“ einen cartoon, in dem ein Jugendlicher seinen vor dem Fernseher sitzenden Vater fragt: „Wie habt ihr in den Sechzigern eigentlich ‚whatever‘ gesagt?“ „Whatever“ war damals ein bestimmtes Lebensgefühl und der Begriff hielt schnell auch im Deutschen Einzug: Ein passendes deutsches Äquivalent schien es nicht zu geben und Übersetzungen wie „was-auch-immer“ waren ungeeignet, weil zu sperrig.

Da Leipzig bekanntlich (unter anderem auch) denkt, ging ich diese Woche zum gleichnamigen Festival, und zwar in das „Café der toten Philosophen“, wo „Kant“, „Aristoteles“ und „Adorno“ über die Frage „Gibt es ein gutes Leben in einer schlechten Welt?“ disputierten. Begriffe und deren Bedeutungsgeschichte spielten naturgemäß eine wichtige Rolle – so machte „Aristoteles“ glaubhaft geltend, dass er zwar durchaus mit „Tragik“ etwas anfangen könne, aber „Christentum“?

„Adorno“ bezweifelte, dass es im Jazz der Fünfziger Improvisation gegeben habe (whatever) und ermunterte die Kalifornier zum Surfen (wobei sie allerdings an die gesellschaftlichen Zusammenhänge denken sollten). „Kant“ schließlich hielt sich zugute, die Urteilskraft erfunden zu haben.

Aus der Tatsache, dass die anderen beiden darauf nicht eingingen, schlussfolgere ich, dass an dieser steilen These etwas dran sein könnte, ansonsten zerpflückte man nämlich in wechselnden Koalitionen nur zu gern die Argumente des jeweils Dritten.

Die Frage, die ich „Kant“ nur zu gerne gestellt hätte – was er davon halte, dass „judgemental“ (also „urteilskräftig“) inzwischen zu einer Art Schimpfwort geworden ist – konnte ich aber nicht loswerden. Dieses relativ neue Sprachphänomen scheint mir damit zusammenzuhängen, dass man „whatever“ immer seltener hört: inzwischen versteht sich „whatever“ quasi von selbst, wer seine Urteilskraft gebraucht und das Ergebnis dann auch noch mitteilt, wird als „judgemental“ gebrandmarkt.

So ändern sich die Zeiten mit den Begriffen – vor hundert Jahren sagte zwischen Gohlis und Connewitz alle paar Minuten jemand „nebbich“, was ziemlich dasselbe bedeutet wie „whatever“ und sogar noch kürzer ist.

Die drei Disputanten bekamen gelegentlich Szenenapplaus, und zwar durchaus nicht immer von denselben Zuhörern. Sprachliche Äußerungen von deren Seite waren allerdings nicht vorgesehen. Die Moderatorin Frau Schenk hatte das Publikum zu Beginn per Armheben über die Eingangsfrage abstimmen lassen, als sie das Experiment am Ende des durchaus inspirierenden und kurzweiligen Abends wiederholte, fand sich kein Unterschied. Nebbich!

Das „Café der toten Philosophen“ war Auftakt des Festivals „Leipzig denkt“ am Dienstag, 4. Oktober, 19 Uhr in der Schaubühne Lindenfels.

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