Bei dieser Polizeimeldung hilft wirklich nichts mehr. Auch kein nachgeschobener Passus. Am Montagabend, 25. September, schickte Katharina Geyer, Sachbearbeiterin Öffentlichkeitsarbeit der Leipziger Polizeipressestelle ganz fix noch einen Passus zu einer Meldung mit dem Titel „Straftatenbegehung als Form der Begrüßungshandlung?“ hinterher. Da hatte man wohl selbst gemerkt, dass diesmal der Formulierungsspaß völlig danebengegangen war.

Der Passus, den die Medien gebeten wurden, noch anzufügen, lautet: „Gerade weil wir uns der aktuellen politischen Lage bewusst sind, möchte die Pressestelle auf folgendes explizit hinweisen: Die Pressemitteilung erfolgte im Wissen um die einseitige Wahrnehmung der Polizei, welche berufsbedingt fast ausschließlich mit negativen Aspekten des Flüchtlingszustroms befasst ist. Die Polizisten kennen, bedingt durch ihre Aufgaben der Straftatenverfolgung, nur eine Seite der Medaille. Sie dient daher ausdrücklich nicht der Pauschalisierung und der Ausbildung/Bestärkung von Stereotypen.“ Die Meldung selbst, auf welche sich der Erklärungsversuch bezieht, finden Sie unterm Text.

Eigentlich ist der nachgeschobene Passus schlimmer als die Meldung selbst. Die natürlich davon erzählt, dass auch Polizisten ihre Raster haben und vor allem in bestimmten Denkmustern zu Hause sind. Sagen wir es mal so: Als ganz normaler Stadtbewohner kommt man nicht unbedingt auf die Idee, eine Serie von Diebstählen eines 19-jährigen aus Libyen als „angemessene Begrüßungshandlungen gegenüber der Bevölkerung“ zu bezeichnen. Nicht mal das Wort „Begrüßungshandlung“ würde einem wohl einfallen.

Das Wort ist ein Frame. Es stellt im Kopf sofort die Verbindung zum Sommer 2015 her, als die Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland ankamen und oft schon an den Bahnhöfen von einer hilfsbereiten Bevölkerung begrüßt wurden. Ein Vorgang, den man seither gern Angela Merkel in die Schuhe schiebt. Wenn man dieses Bild mit den Taten des jungen Libyers verschmilzt, bewertet man diese Taten nicht nur, sondern gibt ihnen – noch dazu einen falschen – politischen Kontext.

Das hat in polizeilichen Pressemeldungen nichts zu suchen. Und vor allem zeugt es von einer gewissen amtlichen Überheblichkeit: Man tut so, als mache man sich mit solchen Worten einen kleinen Spaß.

Auf wessen Kosten eigentlich?

Solche Worte sind kein Spaß. Erst recht, weil die Meldung keinen einzigen Anhaltspunkt darüber gibt, welchen Aufenthaltsstatus der junge Libyer genießt. Ist er geduldet? Hat er einen anderen Aufenthaltsstatus? Wir wissen es nicht. Und es ist auch egal. Denn wir haben die Taten eines einzelnen Menschen vor uns, der zwar nicht zufällig Libyer ist – mit allen Problemen, die Menschen aus diesem Land haben, dort ebenso wie hier, wenn sie einen Weg in die Gesellschaft suchen.

Aber an eine vergleichbare Herausstellung von Serientätern mit heimischer Geburtsurkunde kann man sich in den vergangenen Polizeimeldungen nicht erinnern, denn es gab sie nicht.

Dass die beteiligten Polizisten froh waren, den Burschen endlich dingfest gemacht zu haben, ist nur zu verständlich. Er hat genug Ärger verursacht, genug Schaden angerichtet und genug Arbeit gemacht.

Aber diese Behauptung aus dem nachgeschobenen Passus ist schlichtweg falsch: „Die Polizisten kennen, bedingt durch ihre Aufgaben der Straftatenverfolgung, nur eine Seite der Medaille.“

Dass sie in ihrer Arbeit „berufsbedingt“ maßgeblich mit der einen Seite der Medaille zu tun haben, ist logisch. Aber Polizisten leben – genauso wie unsereins – in dieser Stadt. Sie nehmen Nachrichten wahr, haben mit Nachbarn und Freunden zu tun. Sie sind nicht blind und einfältig. Sie haben auch mit der anderen Seite der Medaille jeden Tag zu tun. Wenn nicht, hat unsere Polizei wirklich ein Problem.

Aber das Problem scheint tatsächlich mit dem Denken in unserer Polizeibehörde zu tun zu haben. Augenscheinlich ist man so mit Arbeit zugeschüttet, dass es keinen Raum für Reflexion gibt, so eine Art innerbehördliches Herunterdimmen der aufkommenden Emotionen und schrägen Meinungen. Denn wenn über das eigene Arbeitsumfeld nicht reflektierend gesprochen wird, entsteht zwangsläufig eine ziemlich muffige Atmosphäre, in der Seltsames vor sich geht.

Man erkennt es an Worten. Nicht nur „Begrüßungshandlung“ ist ein Frame.

Auch das jetzt im nachgereichten Passus verwendete Wort „Flüchtlingszustrom“ ist ein Frame. Und damit eindeutig das, was der Passus versucht abzustreiten: die „Bestärkung eines Stereotyps“.

Vielleicht kann man also verstehen, wenn die Vollzugsbeamten, die jeden Tag unterwegs sind und immer wieder mit kleinen und großen Verbrechen und Ganoven zu tun haben, an manchen Tagen regelrecht zornig und wütend sind und ihre Emotionen irgendwo loswerden wollen. Es sieht ganz so aus, dass es dafür bei Leipzigs Polizei keinen entsprechenden Anlaufpunkt gibt, keine Beratung, keine psychologische Unterstützung. Höchste Zeit, dass so etwas geschaffen wird.

Aber eine Pressestelle ist dazu da, diese Emotionen nicht noch zu verstärken, zumal sich jede gemeldete Straftat immer im Zustand der noch fehlenden gerichtlichen Bewertung befindet. Bislang durfte man also annehmen, die in der Pressestelle der PD Leipzig arbeitenden Beamten hätten die entsprechende Ausbildung gehabt und würden Fakten von Wertungen unterscheiden können. Aber augenscheinlich fehlt sogar das Sensorium für Stereotype und Vorurteile. Es ist ja nicht der erste Fall, in dem so etwas in einer Polizeimeldung gelandet ist, von der man zumindest einen gewissen Grad an Sachlichkeit und Wertungsfreiheit erwarten darf.

Bis hin zu dem letzten und letztlich enttäuschenden Satz der Meldung: „Mit Sicherheit kann nur gesagt werden, dass er sich vorerst in Haft befindet und das hoffentlich auch für längere Zeit.“

So etwas darf vielleicht ein Bürger sagen, froh, dass ein Seriendieb gefasst wurde. Aber in einer Polizeimeldung hat das nichts zu suchen. Aber alle diese fehl eingesetzten „Späße“ zeugen auch davon, dass das simple Verständnis für das Erzählen guter Geschichten fehlt. Denn gute Polizeimeldungen sind gute Geschichten.

Und gute Geschichten enden mit der Pointe. Wer die nicht erkennt, sollte vielleicht doch lieber wieder in den Streifendienst wechseln. Die gute Pointe hätte beinahe im vorletzten Satz gesteckt: „Ob er ‚nur‘ die bisher bekannten 26 Straftaten begangen hat, bleibt derzeit fraglich.“

Diese Pointe wurde nicht nur durch den nachgeschobenen Seufzer verdorben, sondern auch durch die völlig sinnlosen Anführungszeichen. Ein „nur“, das man durch Gänsefüßchen infrage stellt, ist kein starkes nur mehr. Es entwertet die eigentliche Pointe, dass die zuständigen Kriminalbeamten den starken Verdacht haben, dass der junge Mann weit mehr als 26 Straftaten auf dem Kerbholz haben könnte.

Das alles hat mit „Begrüßungshandlungen“ nicht die Bohne zu tun. Aber mit einem völlig verkorksten Leben, so von außen betrachtet. Mit einem jungen Libyer, der sich jetzt wohl einen regelrechten Betonklotz für sein Leben ans Bein gebunden hat.

Update, 26.09.2017, 19:30 Uhr, Erklärung der Polizeidirektion Leipzig, Pressesprecher Andreas Loepki

„Am gestrigen Tag veröffentlichte die Pressestelle der Polizeidirektion Leipzig mit der Zielrichtung einer Klärungsmeldung eine Medieninformation, die auf einen 19-jährigen Libyer und gegen ihn bestehende Tatvorwürfe Bezug nahm. Insbesondere die hierbei gewählte Überschrift: „Straftatenbegehung als Form der Begrüßungshandlung?“ und der zugehörige Satz im ersten Absatz trugen wertenden Charakter, der den Ansprüchen an eine objektive und sachliche Falldarstellung nicht gerecht wird.

Der hierdurch zugleich aufgekommene Eindruck, die Polizeidirektion Leipzig habe damit auch pauschalisierenden und rechtspopulistischen Äußerungen Dritter Vorschub geleistet, ist berechtigt und wird aufrichtig bedauert.

Leider wurde erst im Nachgang der Erstveröffentlichung der Pressemitteilung ein Passus angefügt, welcher in ähnlicher Form bereits bei vorherigen Pressemitteilungen Anwendung fand und einen die Sachebene betreffenden, relativierenden Zweck verfolgte. Die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Kritik hinsichtlich der wertenden Formulierung wurde damit nicht in Abrede gestellt, was nicht zuletzt daran deutlich wird, dass eben jene Kritik in Absprache mit dem Social-Media-Team der Polizei Sachsen bereits am gestrigen Tag über den entsprechenden Twitterkanal anerkannt wurde.

Eine Änderung/Löschung der anlassgebenden Pressemeldung erfolgt(e) nicht, weil solch fehlerversteckendes Tun einer offiziellen Verlautbarung nicht gerecht würde. Vielmehr nutzt die Polizeidirektion Leipzig diesen Weg, um sich offen sowie transparent zur Kritik zu positionieren und den Fehler unumwunden einzuräumen.“

Die Polizeimeldung vom 25. September dazu:

Straftatenbegehung als Form der Begrüßungshandlung?

Ort: Leipzig, Innenstadt, Zeit: 26.08., 2.09., 09.09. 2017

Kaum sieben Wochen in Sachsen, zuerst in Dresden, danach in Leipzig und mit dem Datum seiner Festnahme am 9. September 2017 waren der Polizei 26 Straftaten zu dem 19-jährigen Libyer bekannt. Dabei tummelte er sich strafrechtlich hauptsächlich im Bereich der Eigentumsdelikte, machte jedoch auch Ausflüge in die Betäubungsmittelkriminalität. Ob es sich bei den Diebstahlshandlungen und Raubstraftaten um angemessene Begrüßungshandlungen gegenüber der Bevölkerung handelt, werden die Opfer mit Sicherheit zu verneinen wissen. Letztendlich wurde er nach einem versuchten räuberischen Diebstahl am Leipziger Hauptbahnhof durch die Bundespolizei festgenommen. Die Leipziger Kriminalpolizei legte sodann nach und schlug dem Ermittlungsrichter einen Haftantrag gegen den 19-Jährigen vor. Werfen wir einen kurzen Blick auf drei seiner letzten Straftaten in Freiheit:

  1. August, gegen Mitternacht – Leipzig, Zentrum, Kleine Fleischergasse:

Während einer privaten Feier in einem Hinterhof der Kleinen Fleischergasse, wurde einer 17-Jährigen der Rucksack samt Inhalt und Jacke gestohlen. Während die 17-Jährige zur Polizei ging, suchten Freunde von ihr weiterhin nach dem Rucksack und fanden ihn – in Begleitung des Diebes. Der beteuerte zuerst seine Unschuld und erklärte, er hätte nichts gestohlen … Doch die Freunde der 17-Jährigen ließen sich nicht beirren. Letztlich gestand der Libyer die Tat, bedrohte die ihm gegenüberstehenden Männer jedoch mit einem Messer und forderte im Tausch für die Sachen des Mädchens und die körperliche Unversehrtheit der Männer, 100 Euro. Die Bedrohten übergaben das Geld, blieben unverletzt und konnten den Rucksack der 17-Jährigen in Händen halten, als diese mit der Polizei eintraf. Auch wenn der 19-Jährige damals geflohen war, konnte er im Nachgang durch die Zeugen identifiziert werden.

  1. September, gegen 09:30 Uhr, Leipziger Hauptbahnhof:

Über diesen Fall berichtete die Leipziger Pressestelle bereits ausführlich in einer Pressemitteilung vom 4. September unter dem Titel „Räuber wartete auf Gelegenheit“. Damals suchte die Polizei noch nach Hinweisen auf den Täter, der mit einem Pfefferspray sein 54-jähriges Opfer angegriffen hatte und dabei das Portemonnaie samt Inhalt und 100 Euro Bargeld erbeutete. Mittlerweile wissen wir, dass der festgenommene 19-jährige Libyer ebenfalls dafür verantwortlich war. Wie wir drauf gekommen sind? Kurz nach der Tat mit dem Pfefferspray wurde der 19-Jährige bei einem Ladendiebstahl erwischt. Er entsorgte in einem Moment, in dem er sich unbeobachtet fühlte Dokumente, die auf den 54-Jährigen deuteten, in einem Mülleimer des Ladens, in dem er erwischt worden war.

  1. September, gegen 02:15 Uhr, Leipziger Hauptbahnhof:

In diesem Fall versuchte der Libyer zwei Vietnamesen (m 28, w 57) zu bestehlen. Die beiden Vietnamesen befanden sich nur auf der Durchreise. Sie kamen aus Werder und wollten weiter nach Berlin. Für die Wartezeit hatten sie sich in der Westhalle zum Schlafen gelegt. Der Libyer legte sich dazu und tat so, als wäre er ebenfalls müde. Als er meinte, dass beide nichts mitbekämen, griff er nach der Tasche der 57-Jährigen. Das bemerkte der 28-Jährige jedoch, weckte seine Begleiterin und gemeinsam lieferte man sich ein Tauziehen um die Tasche. Letztendlich konnte die Frau die Oberhand über ihr Eigentum zurückgewinnen. Der Libyer stieß den 28-Jährigen zu Boden und flüchtete. Die beiden Durchreisenden informierten jedoch umgehend die Bundespolizei, die den 19-Jährigen dann fasste und festnahm.

Mittlerweile befindet sich der Libyer in der JVA zu Leipzig in Untersuchungshaft. Ob er „nur“ die bisher bekannten 26 Straftaten begangen hat, bleibt derzeit fraglich. Mit Sicherheit kann nur gesagt werden, dass er sich vorerst in Haft befindet und das hoffentlich auch für längere Zeit. (KG)

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Es gibt 4 Kommentare

Zum Update 26.09.2017 Pressesprecher Andreas Loepki:
Da hat einer seine Hausaufgaben in LEIPZIG gemacht!
“Der hierdurch zugleich aufgekommene Eindruck, die Polizeidirektion Leipzig habe damit auch pauschalisierenden und rechtspopulistischen Äußerungen Dritter Vorschub geleistet, ist berechtigt und wird aufrichtig bedauert.”
Bin gespannt, ob das locker flockige ‘Bedauern’ über den Tag hinausreicht und in Zukunft sorgfältiger mit Menschen umgegangen wird.

Zitat: “hätte ich mir das ebenso bei den Mitwirkenden der Jasmin-Dienstleistungen, den verantwortlichen Fachkräften der (ehem.) Sachsenbank, dem angeblich unkontrollierten, allein auf weiter Flur gelassenen, Multi-Millionen-Wasserwerker, unseren fleißigen kommunalen Fremde-Häuser-Verkäufern etc. gewünscht!”

Alle angesprochenen Themen wurden auf der L-IZ.de behandelt.

Ihr M.F.

Na da hat wohl jemand in der Pressestelle der Polizei nach dem Wahlergebnis Morgenluft gewittert und stimmt sich schonmal auf bundesweit härtere Gangart ein?

Nur gut, dass nicht alle Polizeibeamten so denken.

Hallo Herr Julke,
ich muss Ihnen dahingehend Recht geben, dass es hier schon eine offensichtliche Ungleichbehandlung und Bevorzugung von kriminellen Zugezogenen gibt! Genauso wie hier die Untaten des Libyers fein auseinander genommen und säuberlich aufgelistet wurden, hätte ich mir das ebenso bei den Mitwirkenden der Jasmin-Dienstleistungen, den verantwortlichen Fachkräften der (ehem.) Sachsenbank, dem angeblich unkontrollierten, allein auf weiter Flur gelassenen, Multi-Millionen-Wasserwerker, unseren fleißigen kommunalen Fremde-Häuser-Verkäufern etc. gewünscht!

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