Der Verteidiger ließ die Muskeln spielen: Heftige Turbulenzen begleiteten den Prozessauftakt gegen den Leipziger Stadtrat und ehemaligen NPD-Funktionär Enrico Böhm am Mittwoch vor dem Leipziger Amtsgericht. Der vielfach Vorbestrafte musste sich wegen Beleidigung einer Journalistin verantworten.

Laut Anklageschrift titulierte Böhm am Rande einer LEGIDA-Kundgebung vor der Leipziger Oper am 16. Februar 2015 eine Journalistin unter anderem als „Fotze.“ Der 35-Jährige stritt den Vorwurf vehement ab, habe sich zur fraglichen Zeit in Bayern aufgehalten. Die Anzeigeerstatterin kenne er überhaupt nicht, will erst durch Recherchen von ihrer Zugehörigkeit zum linken Lager erfahren haben. So habe sie auch über die linke Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel geschrieben.

Die Betroffene Jennifer S. (37) schilderte den Vorgang ganz anders. Am 16. Februar 2015 sei ein Kollege, mit dem sie unterwegs war, wegen seiner Fotoaufnahmen von LEGIDA-Teilnehmern bedroht worden. Enrico Böhm sei hinzugekommen, die Situation habe sich hochgeschaukelt, Böhm habe sich genähert, sie als „Fotze“ und „Schlampe“ bezeichnet. „Es war ein ganzer Salmon an Beleidigungen“, so die Zeugin. Da die anwesende Polizei signalisierte, die Medienvertreter nicht persönlich schützen zu können, habe man den Einsatz dann aus Angst abgebrochen. Sie sei sich aber sehr sicher, dass Böhm jener Mann war, der damals die verletzenden Worte ausstieß.

Die Pattsituation „Aussage gegen Aussage“ führte zur Nachfrage, warum sie ihren Kollegen nicht als Zeugen benannt habe, um ihre Version belegen zu können. Sie habe niemanden mit hineinziehen wollen, entgegnete Jennifer S., kenne den Fotografen zudem nur vom Sehen. Man brauche aber Anhaltspunkte, um die Person zu ermitteln und als Zeugen vernehmen zu können, entgegnete Staatsanwältin Diana Süß.

Ein lautstarker Streit zwischen dem Gericht und Böhms Anwalt Arndt Hohnstädter entflammte dann, als letzterer der Belastungszeugin einen Auszug aus ihrem Twitter-Account vorhielt, wonach sie Fotos vom damaligen LEGIDA-Aufzug mit „Atzen, Nazis und Alte“ kommentiert habe. Was denn ein Nazi für sie sei und ob sie dort Mitglieder der verbotenen NSDAP gesehen habe, wollte Hohnstädter wissen. „Das ist mir zu blöd, das erkläre ich nicht“, antwortete Jennifer S., die Vorsitzende Julia Weidelhofer wies derlei Fragen als unzulässig zurück.

Auch Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter ist unter den Teilnehmern. Foto:L-IZ.de
Eng mit Legida verbunden: Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, hier auf einer Demo im April. Foto:L-IZ.de

Dies sowie die Probleme bei der Festlegung von neuen Verhandlungsterminen nahm Hohnstädter zum Anlass, einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin abzugeben, die einseitig auf eine Verurteilung seines Mandanten hinwirke. Weitere Sitzungen wurden nun für den 4. und 18. Dezember festgelegt – bis dahin soll der Antrag entschieden und nach potenziellem Beweismaterial gesucht werden.

Enrico Böhm hat bisher eine Vielzahl an Vorstrafen gesammelt, die sich seit 2007 durch seine Vita ziehen. 2015 saß er nach dem tätlichen Angriff auf einen Radfahrer mehrere Wochen in Untersuchungshaft, kam aber nach seiner Berufung erneut mit einer Bewährungsstrafe davon. Im Frühjahr 2016 schloss die sächsische NPD ihren intern umstrittenen Funktionär wegen „parteischädigenden Verhaltens“ aus. Seither agiert er als fraktionsloses Mitglied im Leipziger Stadtrat.

Ein weiterer Konflikt mit dem Gericht ergab sich am Mittwoch auch, da die Vorsitzende Weidelhofer der Leipziger Internet Zeitung und anderen Medienvertretern Fotoaufnahmen nur vor dem Gerichtssaal, nicht aber innen gestatten wollte – trotz eindeutiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei dieser Frage. Eine mit anwaltlicher Hilfe eingereichte Beschwerde der L-IZ gegen diese Regelung zulasten der Pressefreiheit ist momentan anhängig.

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