Nach dem Auffliegen eines Online-Drogenhandels namens „Candylove“ wurde der seit 2015 als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannte Maximilian S. am Mittwoch erneut zu einer Haftstrafe verurteilt. Die 8. Strafkammer des Leipziger Landgerichts verhängte viereinhalb Jahre gegen den 28-Jährigen. Mehrere Mitangeklagte erhielten jeweils eine Haft- bzw. Geldstrafe, ein angeklagter Rechtsanwalt wurde freigesprochen. Ungewöhnlich war das Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Rüdiger Harr sah die Anklage der Staatsanwaltschaft unter anderem in Bezug auf gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln zumindest teilweise als bestätigt an. Im Mittelpunkt des seit 23. Januar laufenden Verfahrens stand der 28-jährige Maximilian S., der bereits Ende 2015 wegen Drogenhandels zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, damals noch nach Jugendstrafrecht, und der es mit seiner Story bis zum prominenten Netflix-Star brachte.

Geständnisse im Prozess

Laut Anklagebehörde hatte sich der junge Mann spätestens Ende 2018, damals Insasse im offenen Strafvollzug, mit dem Mitgefangenen Friedemann G. (36) zusammengetan, um den gemeinsamen Aufbau einer neuen Drogenplattform mit dem Namen Candylove im Internet zu planen und umzusetzen. Zwischen April 2019 und Januar 2021 seien insgesamt rund 20 Kilo an Rauschgift bundesweit und international versandt worden.

Maximilian S. und Friedemann G. hatten im seit 23. Januar laufenden Prozess weitgehende Geständnisse abgelegt, wobei Ersterer angab, sich lediglich um Technik und die Programmierung der Internetseite gekümmert zu haben. Für beide Männer ordnete das Gericht die Einziehung der mutmaßlichen Profite aus dem Drogengeschäft an, die bei rund 164.000 Euro gelegen haben sollen.

Bandenvorwurf für Gericht unbewiesen

Als nicht erwiesen erachtete das Gericht den ursprünglichen Vorwurf der Staatsanwaltschaft, wonach sich Maximilian S. und Friedemann G. gemeinsam mit einem 43-jährigen Leipziger Anwalt zu einer Bande zusammengetan hätten. Eine solche hätte ein erheblich höheres Strafmaß ab fünf Jahren aufwärts bedeutet. Besagter Rechtsanwalt soll laut ursprünglicher Auffassung der Anklage für die Legendierung der Gruppe, die Anmietung von Wohnraum und die Schaffung von Scheinarbeitsverhältnissen zuständig gewesen sein.

Die Kammer sprach ihn frei, weil abgehörte Telefonate zwischen ihm und dem Mitangeklagten Friedemann G. illegal gewesen seien. Da die Ermittler nur durch unrechtmäßiges Abhören von Telefonaten überhaupt auf den Anwalt aufmerksam geworden seien, greife ein Verbot, dies im Prozess als Beweis zu verwerten. Friedemann G., welcher derzeit ohnehin bis 2027 in Berliner Strafhaft einsitzt, wurde unter Einbezug früherer Urteile zu insgesamt fünf Jahren und elf Monaten hinter Gittern verurteilt.

Zwei weitere, wegen Beihilfe zum illegalen Betäubungsmittelhandel angeklagte Männer (40 und 24) erhielten zehn Monate Haft, ausgesetzt zur Bewährung bzw. 120 Tagessätze zu je 50 Euro Geldstrafe. Das Verfahren gegen den Jüngeren der beiden mit der Geldstrafe war erkrankungsbedingt abgetrennt worden, hier fiel schon am Morgen das Urteil.

Das Duo war 2019 vorübergehend in untergeordneter Funktion dafür zuständig, bestellte Rauschmittel zu portionieren, zu verpacken und abzuschicken. Dies wurde mit 1.500 Euro Monatspauschale und Übernahme der Mietkosten vergütet. Einfluss auf das eigentliche Geschäft hatten sie jedoch nicht, wie das Gericht befand.

Außergewöhnlich: Staatsanwaltschaft verzichtet auf konkreten Antrag

Die Anklage hatte in ihrem Plädoyer überraschenderweise keinen konkreten Antrag für eine Strafe gestellt, was von der Verteidigung mit Staunen und Kritik aufgenommen wurde.

Zur Begründung wies Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit in seinem Abschlussvortrag auf benannten Umstand hin, dass die Kammer die Verwertung von Aufnahmen der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) zwischen dem Angeklagten Friedemann G. und dessen Anwalt im Prozess pauschal nicht als Beweis zugelassen hatte. Hintergrund ist der gesetzlich verbriefte Schutz eines Mandatsverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Klient.

Die Staatsanwaltschaft vertrete im Gegensatz zur Kammer, die von einem kompletten Verbot der Beweisverwertung ausging, eine andere Rechtsauffassung: Auch wenn Anwaltsgespräche mit Mandanten natürlich besonders geschützt seien, fehle bei den abgehörten Gesprächen oft ein Bezug zur anwaltlichen Tätigkeit, vielmehr sei es um Absprachen für das Geschäftliche gegangen. Entsprechend hätten sie im Prozess als Beweismittel eingeführt werden müssen. Bisher sei der gesamte Sachverhalt der Anklage nicht hinreichend aufgeklärt, obwohl es die Möglichkeit dazu eventuell gegeben hätte.

Rechtsmittel gegen das Urteil sind damit wahrscheinlich, die Ankläger brachten eine Verfahrensrüge ins Spiel.

Maximilian S. äußert Hoffnung auf faire Chance, Anwälte kritisieren Ermittlungen

Die Verteidiger von Maximilian S. hatten dreieinhalb Jahre Haft für ihren Klienten gefordert, der in seinem Schlusswort vor dem Urteilsspruch die Hoffnung äußerte, eine faire Chance für seine Zukunft zu erhalten. Vorerst bleibt er auf freiem Fuß, ein Haftbefehl war schon vor dem Prozess abgelehnt worden.

Generell hatten die Anwälte der Angeklagten nicht mit Kritik an Staatsanwaltschaft und Polizei gespart: „Mich hat erstaunt, wie oberflächlich und tendenziös die Ermittlungen geführt worden sind“, bemängelte Andrej Klein, der den freigesprochenen Strafverteidiger vertrat. Diesem wurde eine Entschädigung für die Durchsuchungsmaßnahmen zugesprochen.

Auch Curt-Matthias Engel, einer der Verteidiger von Maximilian S., stellte in seinem Schlussvortrag auf den Schutz sensibler Grundrechte ab und sprach mit Blick auf die Problematik der Telefonüberwachung von den „Grenzen des Rechtsstaats.“ Einem Anwalt müsse man alles ohne Angst vor einem Lauschangriff anvertrauen können.

Der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr hatte seine Urteilsbegründung am Nachmittag gegen 15.45 Uhr mit einem Helmut-Schmidt-Zitat eingeleitet: „Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, er hat zu existieren.“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar