Der Prozess um bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln gegen den einstigen „Kinderzimmer-Dealer“ Maximilian S. und vier Mitangeklagte vor dem Leipziger Landgericht könnte sich eventuell verkürzen. Zugleich deutet sich die Möglichkeit an, dass der Hauptangeklagte mit seinem Strafmaß deutlich milder davonkommen könnte, als es zunächst schien.

Noch ist das Verfahren nicht beendet, noch sind einige Verifizierungen notwendig. Aber trotz alledem deutet sich an, dass der Prozess gegen den als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannten Maximilian S. (28), der durch eine Netflix-Doku berühmt wurde, schneller vorbei sein könnte als gedacht.

Gericht geht nicht von Bandenstruktur aus

Er und vier weitere Angeklagte stehen seit 23. Januar vor dem Leipziger Landgericht, weil sie online in großem Stil Handel mit Betäubungsmitteln getrieben bzw. Beihilfe dazu geleistet haben sollen. Inzwischen liegen geständige Einlassungen von vier der fünf Angeklagten vor – der beschuldigte Anwalt André R. dagegen, welcher der angenommenen Drogenbande rechtliche Beratung gegeben haben soll, könnte sogar freigesprochen werden.

Alle Angeklagten hätten Interesse an einem zügigen Verfahrensabschluss, erklärte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr zum Verhandlungstag am Mittwoch, dem 15. März. Zuvor hatte es hinter verschlossener Tür ein Rechtsgespräch aller Prozessbeteiligten gegeben. Nach derzeitigem Stand der Beweiserhebung geht das Gericht nicht von einer Bandenstruktur hinter dem Online-Drogenshop „Candylove“ aus, der laut Staatsanwaltschaft zwischen April 2019 und Januar 2021 rund 20 Kilo Rauschmittel und Medikamente auf Bestellung verschickt haben soll. Dieser rechtliche Umstand könnte das Strafmaß für Maximilian S. auf „etwas unter fünf Jahre“ senken.

Idee soll von Knastkumpel Friedemann G. gekommen sein

Maximilian S., der nach Enttarnung seines ersten Drogenversands „Shiny Flakes“ schon mit 20 Jahren im November 2015 zu sieben Jahren Jugendhaft verurteilt worden war, hatte gestanden, dass er sich 2019 um die Programmierung einer neuen Plattform unter dem Namen „Candylove“ gekümmert habe, bestritt jedoch, Chef der Unternehmung gewesen zu sein.

Als treibende Kraft benannte der 28-Jährige seinen Knastkumpel Friedemann G., den er erstmalig im Herbst 2018 im offenen Vollzug traf. Der Autohändler aus Borna habe in der Hoffnung auf schnellen Reichtum die Idee für ein neues Drogenportal ins Spiel gebracht. Der 36-Jährige sitzt mit auf der Anklagebank und verbüßt derzeit eine Haftstrafe in Berlin wegen eines anderen Rauschgiftdelikts.

Verurteilung des angeklagten Anwalts fraglich

Für G., der das Geständnis von Maximilian S. im Wesentlichen bestätigt hatte, kommt nun dem Vernehmen nach eine „moderate Aufstockung“ seiner aktuellen Gefängnisstrafe in Betracht. Ganz anders die Situation bei seinem langjährigen Anwalt André R., der laut Anklage als eine Art Rechtsberater der angenommenen Drogenbande gedient haben soll: Der 43-jährige Jurist geriet offenbar durch Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) seines Mandanten G. ins Visier der Ermittler. Doch die Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse ist hochumstritten, da der Gesetzgeber das Mandatsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient gegenüber Ermittlungsbehörden unter besonderen Schutz stellt. Er selbst hatte durch seinen Verteidiger erklärt, mit den Vorwürfen der Anklage nichts zu tun zu haben.

„Amazon for Drugs“

Fest steht, dass der nach jetzigem Wissen bis Ende Januar 2020 aktive Drogenshop „Candylove“ mit FAQ, Warenkorb, Anleitung zum Bitcoin-Kauf und Bewertungsoption für Kunden sehr professionell aufgezogen war – diesen Eindruck schilderte am Mittwoch ein Fahnder der „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift“ (GER) Sachsen im Zeugenstand: „Es war an sich aufgebaut wie ein gewöhnlicher Online-Shop“, sagte der 34-jährige Ermittler über das frei zugängliche Portal. Es sei quasi eine „Rundumbetreuung“ gewesen, wie ein „Amazon for Drugs.“

Ermittlungen nach Informanten-Tipp

Im Frühjahr 2019 hatten die Behörden einen anonymen Informanten-Tipp erhalten, wonach Friedemann G. und der bereits bekannte Maximilian S. über das Internet Rauschmittel verkaufen sollen. Daraufhin starteten umfangreiche Ermittlungen, die im August 2020 zu Durchsuchungsmaßnahmen führten.

Dabei wurden nach Angaben des Drogen-Ermittlers unter anderem Verpackungsmaterial, Adress-Aufkleber und diverse Datenträger sichergestellt. Offenbar waren Verkauf und Versand der Drogen umfassend dokumentiert worden, inklusive wirtschaftlicher Kalkulationen und der Berechnung von Gewinnspannen.

Netflix-Doku soll im Prozess abgespielt werden

Im Rahmen der weiteren Beweisaufnahme plant die Strafkammer nun im April, die Netflix-Dokumentation „The Teenage Drug Lord“, in welcher Maximilian S. zu seinem „Business“ Rede und Antwort gestanden hatte, in den Prozess einzuführen. Dazu wurden bereits Gespräche mit Netflix eingeleitet. Am Ende der Sendung erkannte der Zuschauer zwischen den Zeilen mühelos, dass die Ermittlungsbehörden Maximilian S. zum Zeitpunkt der Dreharbeiten wohl erneut auf dem Radar hatten. Zugleich könnte sich der Prozess womöglich abkürzen, deutete der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr am Mittwoch an. Ursprünglich waren Verhandlungstage bis Ende Juni angesetzt worden.

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