Das ging am Ende mal gründlich schief – für alle Seiten: Mehr als ein Jahr nach der filmreifen Entführung eines Mannes aus seiner Wohnung in der Lene-Voigt-Straße in Probstheida stehen fünf mutmaßliche Täter seit Donnerstag vor dem Leipziger Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem Geiselnahme, Körperverletzung und erpresserischen Menschenraub vor. Die Hintergründe des zunächst mysteriös klingenden Kriminalfalls scheinen geradezu unglaublich.

Denn folgt man der Anklageschrift, so nahm die schräge Story ihren Anfang, indem der in Leipzig lebende Lionel N. einer Magdeburger Familie glaubhaft vorgab, Geld mit Hilfe einer Flüssigkeit vervielfältigen zu können. Daraufhin soll einer der aus Syrien stammenden Männer dem heute 30-jährigen Kameruner Anfang 2023 ganze 15.000 Euro übergeben haben, die er dann gegen eine Entlohnung für sie vermehren würde. Soweit das utopische Versprechen.

Doch zum vereinbarten Übergabetermin am Mittag des 10. Januar 2023 in einem Magdeburger Hotel warteten die N.s den Ermittlungen nach vergeblich auf die Aushändigung des Bargeldes.

Entführung nach Magdeburg, vergeblicher Erpressungsversuch

Die Reaktion der Familie dürfte N., der sich wohl sicher wähnte, jedoch nicht einkalkuliert haben: Noch am Abend des 10. Januar sollen mehrere Personen an der Leipziger Wohnanschrift von Lionel N. in der „Langen Lene“ in Leipzig-Probstheida maskiert und mitsamt Schreckschusswaffe eingerückt sein, um den Mann in ihre Gewalt zu bringen. Sie kannten seine Adresse, was er wiederum nicht gewusst habe. Anwohner bekamen Hilferufe mit und meldeten per Notruf, eine Person sei in ein Auto gezerrt und weggebracht worden. Auch Schüsse seien gefallen.

Noch am selben Abend begann die Polizei daraufhin mit Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen am längsten Wohnblock von Leipzig, setzte auch einen Spürhund ein.

Die um ihr Geld geprellte Familie M. soll ihr gefesseltes Opfer nach Magdeburg gefahren, dort unter anderem durch Schläge gegen den Kopf misshandelt und schließlich wieder nach Leipzig gebracht haben – offenbar, um hier die Wohnung des Mannes zu durchsuchen, in der Hoffnung, die verlorenen 15.000 Euro irgendwo aufzustöbern.

Dem vorangegangen war laut Anklagebehörde ein gescheiterter Versuch, von einem Onkel Lionel N.s in Frankreich 15.000 Euro Lösegeld zu erpressen. Der sei aber nicht erreichbar gewesen.

Spektakuläre Festnahme in Leipzig

Ihre Rechnung hatten die Entführer dann ohne die Polizei gemacht: Nachdem die Kidnapper mit ihrer Geisel am frühen Morgen des 12. Januar 2023 gegen 2:30 Uhr wieder an der „Langen Lene“ eingetroffen waren, wurde zuerst eine Person (21) durch Spezialkräfte überwältigt und der geschundene Lionel N. befreit. Das Haus war nach dem Vorfall unter polizeilicher Beobachtung. Zudem konnte der Zutritt zur Wohnung Lionel N.s nicht glücken, da das Schloss ausgetauscht worden war.

Seit Donnerstag nun stehen Jamal M. (48) sowie seine Söhne (22 und 20) vor dem Leipziger Landgericht, daneben müssen sich zwei mutmaßliche Helfer (26, 34) verantworten. Schon kurz nach Verlesung der Anklageschrift wurde ein nicht öffentliches Rechtsgespräch zwischen Strafkammer, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geführt, um eine mögliche Verständigung auszuloten.

Hierzulande sind diese umgangssprachlichen Deals Prozessalltag, denn durch eine Abmachung „glaubhaftes Geständnis gegen klaren Strafrahmen“ werden komplizierte Verfahren oft abgekürzt.

Ob es hier auch dazu kommt, ist noch nicht entschieden. Für Donnerstag wurde zunächst noch nicht erwartet, dass sich die fünf Angeklagten zu den gravierenden Tatvorwürfen erklären. Die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Bernd Gicklhorn hat jedenfalls vorsorglich Termine bis Juni 2024 anberaumt. Den Verdächtigen droht bei einer Verurteilung jahrelanger Freiheitsentzug, der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

Masche als „Wash-Wash“ bekannt

Wegen Betrugsverdachts wird übrigens auch gegen das traumatisierte Entführungsopfer Lionel N. ermittelt. Der von ihm mutmaßlich genutzte Trick, vor dem polizeilicherseits eindringlich gewarnt wird, ist in Ermittlerkreisen als „Wash-Wash“ bekannt. Professionelle Betrüger täuschen Gutgläubigen dabei vor, Geld auf wundersame Art, etwa durch chemische Verfahren, vermehren zu können – und machen sich dann mit ihrer Beute aus dem Staub.

Lionel N. jedenfalls könnte gewusst haben, dass er sich selbst einer Straftat schuldig gemacht hat: Nicht nur die Redebereitschaft der mutmaßlichen Kidnapper, sondern auch seine eigene soll sich gegenüber den Ermittlern in Grenzen gehalten haben. Wann er vor Gericht als Zeuge aussagen wird, ist noch nicht bekannt.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar