Er ist gerade mal 20, Vorstrafen hat er schon ein paar auf dem Konto – nun beteuert er, sich ändern und ein normales Leben führen zu wollen. Doch vorerst muss sich Pierre B. am Leipziger Landgericht wegen versuchten Mordes und weiterer Delikte verantworten: Vor mehr als anderthalb Jahren soll der Insasse der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen dort gegen Mitarbeiter mit einer spitzen Schere ausgeholt haben.

Letzte Woche platzte der Prozessauftakt – am Montag konnte die Strafkammer am Landgericht aber mit der rechtlichen Aufarbeitung mehrerer Vorfälle in der Jugendstrafanstalt (JSA) Regis-Breitingen loslegen. Sie alle haben mit Pierre B. zu tun: Der heute 20-jährige Häftling, ein stämmiger junger Mann, soll laut schwerwiegendstem Vorwurf von Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob am 4. Dezember 2023 mit einer spitzen Schere gegen Beamte der JSA ausgeholt und einen Mordversuch verwirklicht haben.

Nach dem Vorfall musste der Angeklagte in den BGH

Motiv sei Verärgerung gewesen, dass der für seine Gewalttätigkeit bekannte Wittenberger, nachdem er negativ aufgefallen war, durch Beamte mit Helmen und Schutzausrüstung in einen gesicherten Haftbereich verlegt werden sollte, so der Ankläger: „Er nahm zumindest billigend in Kauf, Bedienstete zu töten.“ Letztlich passierte nichts Schlimmeres, weil die Schere am Visier eines Beamten-Helms zerbrach.

Pierre B. wurde durch die Aufseher daraufhin überwältigt, gefesselt und in einen „besonders gesicherten Haftraum“ (BGH) verlegt, wo es außer Fliesen, „französischem Klo“ und feuerfester Matratze faktisch nichts gibt. Selbst „spartanisch“ wäre dafür wohl noch eine freundliche Umschreibung.

Prügel wegen Schneeball

Ursprünglich sollte der damals 18-Jährige am 4. Dezember 2023 nicht gleich dorthin abgesondert werden, wohl aber ins Haus E der JSA, einen Haftbereich mit erhöhter Sicherheitsstufe. Denn am Vortag hatte Pierre B. während des Hofgangs laut Anklage einen Mithäftling verprügeln wollen, der ihn mit einem Schneeball beworfen hatte. Als zwei Aufseher dazukamen, habe Pierre B. ihnen angedroht, sich nicht zu nähern, andernfalls würde er ihnen eine reinhauen. Offenbar nicht der erste Vorfall seiner Art.

Am Folgetag stand deswegen der achtköpfige Trupp an Vollzugsbediensteten mit Schutzausrüstung vor Pierre B.s Zellentür, um die beschlossene Disziplinarmaßnahme zu vollziehen und ihn ins Haus E zu verlegen. Nach anfänglichem Widerstand zeigte sich der junge Delinquent kooperativ, wurde mit Hand- und Fußfesseln über einen Verbindungsweg weggeführt.

„Ich habe versucht, einen Bullen abzustechen“

Im neuen Haftraum war vorgesehen, den 18-Jährigen von den Fesseln zu befreien und er sollte sich gemäß Vorschriften entkleiden, um ihn untersuchen zu können, ehe er sich neue Kluft anzieht. „Das war so der springende Punkt, wo es dann losging“, sagt einer der drei Aufseher (47), die dicht beim Angeklagten gestanden hatten, am Montag im Zeugenstand.

Pierre B. holte blitzschnell die spitze Schere aus der Hosentasche hervor und schwang sie mit einer Handbewegung, bevor er zu Boden gebracht und fixiert wurde. Ein weiterer Beamter (52) meint sich zu erinnern, dass Pierre B. kurz danach noch zu Mitgefangenen gerufen haben soll: „Ich habe versucht, einen Bullen abzustechen, beim nächsten Mal klappt’s!“

Angeklagter spricht von Angst und Panik

Der Angeklagte bestreitet dagegen einen Tötungswillen. Rechtsanwalt Sven Kurt Schneider meint, dass sein Mandant „Angstzustände“ gehabt und sich in einer „Ausnahmesituation“ befunden habe: „Es war eine riesengroße Dummheit, wie er da reagiert hat. Das weiß er im Nachhinein.“

Und Pierre B. selbst sagt: „Mir ist bewusst, was ich gemacht habe. Es ist aus einer Affekthandlung heraus passiert.“ Er spricht vom Konsum synthetischer Cannabinoide, Psychosen, Todesangst und Panikattacken, unter denen er gelitten habe, bittet auch Beamte, die bei dem Vorfall dabei waren, um Entschuldigung: „Ich wollte Sie weder verletzten noch töten.“

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Michael Dahms nach Zukunftsplänen antwortet Pierre B., er strebe eine Ausbildung und ein Anti-Gewalt-Training an, ein normales Leben. Verurteilt worden war der damalige Teenager unter anderem wegen Raubüberfällen, heute sitzt er in einer anderen Haftanstalt ein.

Wo kam die Schere her?

Auch die Herkunft des Tatwerkzeugs spielt in diesem Prozess eine Rolle. Wie konnte es überhaupt sein, dass Pierre B. die spitze Schere bei sich trug? Eine klare Antwort gibt es nicht.

Nach Angaben eines Beamten habe es Scheren zumindest kurzzeitig regulär als Kaufobjekt in der Haftanstalt gegeben, aber eigentlich nur in abgerundeter Bastel-Version – spitze Gegenstände sind im Gefängnis offiziell tabu. Das Vorkommnis sei intern ausgewertet worden und habe auch zu Ärger geführt, heißt es.

Für den Prozess sind noch zwei Verhandlungstage geplant.

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