Er gab zu, dass er einen Bediensteten im Jugendgefängnis Regis-Breitingen Ende 2023 mit einer spitzen Schere attackiert hatte: Nun zeigte sich der 20 Jahre alte Pierre B. beim Prozess am Landgericht veränderungswillig, er wolle einen Neuanfang, sein Leben ordnen. Die Chance dafür scheint greifbarer als zuvor, da die Staatsanwaltschaft zumindest den Vorwurf eines Mordversuchs fallenließ. Nächste Woche wird das Urteil erwartet.

Im Prozess um einen Vorfall in der Jugendstrafvollzugsanstalt (JSA) Regis-Breitingen nahm die Anklage am Mittwoch Abstand vom schwerwiegendsten Vorwurf des versuchten Mordes: Der heute 20 Jahre alte Häftling Pierre B. sei unter Einbezug einer Vorstrafe zu sechs Jahren Haft unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verurteilen, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob in seinem Plädoyer.

Angriff mit Schere endete nur durch Glück glimpflich

Der seit Juli laufende Prozess drehte sich hauptsächlich um einen Vorfall in der JSA Regis-Breitingen vom 4. Dezember 2023: Pierre B., damals 18 und wegen Raubdelikten hinter Gittern, sollte wegen negativer Auffälligkeiten in einen gesicherten Bereich des Gefängnisses verlegt werden. Als deshalb acht Beamte mit Schutzausrüstung an seiner Haftzelle auftauchten, bedrohte Pierre B. diese zunächst mit einem Stuhl, zeigte sich dann scheinbar doch kooperativ.

Als er sich aber im neuen Haftraum für eine Untersuchung entkleiden sollte, eskalierte die Situation: Pierre B. holte blitzschnell eine Schere aus der Hosentasche und schwang sie in Richtung eines Beamten. Das Tatwerkzeug beschädigte den Schutzhelm, Pierre B. wurde überwältigt und fixiert.

Vergittertes Zellenfenster mit Blick auf einen Hof.
Vergittertes Zellenfenster einer Haftanstalt von innen (Symbolbild). Foto: Lucas Böhme

Aus Sicht von Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob war der glimpfliche Ausgang pures Glück: „Hätten Sie fünf Zentimeter tiefer getroffen, wäre die Schere im Hals gelandet“, hielt er dem Angeklagten in seinem Plädoyer vor. „Das ist kein Gegenstand, den man einfach so bei sich hat.“ Pierre B. sei wegen der Disziplinarmaßnahme einfach sauer gewesen und habe aus Verärgerung gehandelt.

Problematische Verhaltensmuster seit frühester Kindheit

Der Wittenberger hatte den Tatablauf im Prozess eingeräumt und sich bei den Beamten persönlich entschuldigt. Sein Handeln führte der 20-Jährige auf einen Affekt zurück, er habe sich in die Enge getrieben gefühlt, leide unter Angstzuständen und den Folgen des Konsums synthetischer Cannabinoide.

Dass sein Verhalten angstgetrieben war, gilt einem forensischen Psychiater zufolge allerdings als zweifelhaft: Laut ihm und der Jugendgerichtshilfe zeige sich bei Pierre B. seit frühester Kindheit vielmehr ein Verhaltensmuster mit Aggression, Wutausbrüchen und geringer Frustrationstoleranz. Gegenmaßnahmen, etwa die Unterbringung in Projekten und Wohngruppen sowie ein Auslandsaufenthalt, führten bei dem jungen Sachsen-Anhaltiner auch in seiner Jugend zu keiner durchgreifenden Besserung.

Vorsichtige Besserungstendenzen

Die deutet sich erst seit Anfang 2025 an: In der neuen JSA, wo Pierre B. aktuell einsitzt, ist er nach Angaben einer Bediensteten bisher unauffällig, meldet Probleme mit Mitgefangenen beim Personal, statt wie früher Gewalt einzusetzen, arbeitet als Flurreiniger, fasst Zukunftspläne. Möglicherweise, so bescheinigt ihm auch das forensische Gutachten, habe der 20-Jährige tatsächlich erkannt, dass es so nicht weitergehen kann.

Oberstaatsanwalt Jakob aber gab zu bedenken: Entscheidend sei, ob sich Pierre B. unter den herausfordernden Bedingungen der Freiheit bewähren wird. „Sonst verbringen Sie Ihr Leben im Gefängnis. Da gib es kein Vertun“, warnte der Ankläger den jungen Mann.

Angeklagter: Schließe mich Staatsanwalt an

Auch Verteidiger Sven Kurt Schneider vertrat keine grundsätzlich andere Auffassung, warf aber die Frage auf, ob die Beamten nicht deeskalierender hätten vorgehen können, statt sofort in voller Ausrüstung beim Angeklagten zu erscheinen. Er nehme ihm ab, dass er in der Situation überfordert war.

Trotzdem: „Ich will das nicht verharmlosen, was sich hier zugetragen hat.“ Sein Mandant wisse, dass ihn eine Strafe erwartet, die vor allem eine Chance sei, sein Leben in den Griff zu kriegen.

Im Gegensatz zur Anklage, die sechs Jahre Haft forderte, legte Schneider das Strafmaß ins Ermessen des Gerichts. Und auch Pierre B. selbst äußerte in seinem Schlusswort: Er schließe sich dem Staatsanwalt an, dass er Zeit brauche, sich neu zu justieren. Er wolle ein neues Leben und sich um seine Familie kümmern, sagte er. Das Urteil des Schwurgerichts wird am Montag verkündet.

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