In insgesamt 72 Tathandlungen soll ein Leipziger die Tochter seiner Lebenspartnerin über Jahre hinweg regelmäßig sexuell missbraucht haben. Am Freitag begann vor dem Landgericht der Prozess gegen den 59-Jährigen. Über seine Verteidigung wies Hendrik G. die Vorwürfe zurück: Mit der Tochter seiner Partnerin habe er ein heimliches Verhältnis begonnen, als sie volljährig war. Nun soll die Verhandlung Klarheit bringen.

Infektionsschutzmaske, Sonnenbrille, Mütze, Kapuze: So schirmte sich Hendrik G. am Freitagmorgen im Landgericht Leipzig ab, ehe die Pressefotografen ihre Arbeit einstellten. Der 59 Jahre alte Leipziger wird beschuldigt, sich zwischen 2014 und 2020 wiederholt an Alexandra M. (Name geändert), der Tochter seiner Partnerin, vergangen zu haben.

Staatsanwaltschaft erhebt Vorwürfe brutalen Missbrauchs

Staatsanwältin Mandy Rindsland zählte in ihrer Anklageschrift 72 Einzeltaten auf: Demnach habe Hendrik G., der seit 2013 mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter in einem Stahmelner Haus zusammenwohnte, ab Herbst 2014 mit brutalen Missbrauchshandlungen an der damals erst knapp 12 Jahre alten Alexandra begonnen.

So habe er beispielsweise an dem Mädchen manipuliert und in sie einzudringen versucht, in anderen Fällen mindestens 48 Mal ungeschützten Geschlechtsverkehr vollzogen. Die Tatorte seien unterschiedlich gewesen: Beispielsweise sei es auch während einer gemeinsamen Hotelübernachtung in Berlin dazu gekommen, dass die Geschädigte vom mutmaßlichen Täter im Intimbereich angefasst wurde.

Die Staatsanwaltschaft hat Hendrik G. unter anderem wegen 12 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und 50 Fällen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ab 2014 auf die Anklagebank gebracht.

Angeklagter spricht von heimlicher Affäre

Über sein Verteidiger-Team ließ Hendrik G. die Vorwürfe zurückweisen. Er habe sich zu keiner Zeit an Alexandra vergangen, beteuerte der Angeklagte. Zutreffend sei: Er habe mit dem Mädchen, als es volljährig war, ein Verhältnis begonnen. „Was tatsächlich stattgefunden hat, war eine sexuelle Beziehung, eine Affäre“, sagte G.s Rechtsanwältin Andrea Liebscher.

Die Verbindung sei auch vor der Mutter verheimlicht worden. Sexualkontakt vor dem 18. Geburtstag des Mädchens habe es niemals gegeben, auch später sei zu keiner Zeit etwas ohne Einvernehmen passiert.

Moralisch möge man das hinterfragen, erklärte die Verteidigung, eine Strafbarkeit ergäbe sich nicht. Die Affäre mit der jungen Alexandra sei im Krach geendet, da sie von ihrem mehr als 35 Jahre älteren Liebhaber den Führerschein und ihr erstes Auto finanziert haben wollte. Dies habe Hendrik G. abgelehnt.

Am Anfang schien alles harmonisch

Zurückhaltend äußerte sich die Mutter von Alexandra, die am Freitag als Zeugin gehört wurde: Man sei am Anfang eine glückliche kleine Familie gewesen, als sie im Sommer 2012 mit dem Angeklagten zusammenkam, den sie aus früheren Tagen kannte, sagte die 57-jährige Heike M. (Name geändert). Auch ihre damals neun Jahre alte Tochter habe Hendrik G. nach kurzem Zögern als Stiefvater angenommen: „Die ersten Jahre war Alexandra richtig glücklich. Alles war sehr harmonisch.“ Er habe mit ihr gespielt, das Dreiergespann verbrachte gemeinsame Ausflüge und Urlaube.

Erst 2016 sei die Stimmung gekippt, da Hendrik G. politisch eigenwillige Ansichten geäußert habe. Und auch seine Beziehung zur Stieftochter sei erkaltet: „Es fiel mir auf, dass Alexandra zunehmend aggressiv reagiert hat, als er sie angesprochen hat.“ Sie habe sich aber nichts dabei gedacht, es eher auf die Pubertät geschoben, erinnerte sich die Mutter.

Von den Missbrauchsvorwürfen erfahren habe sie 2021 durch einen Anruf ihrer Tochter, während sie selbst auf einem Pfingstausflug war, so die Zeugin: „Ich habe mich sofort ins Auto gesetzt und bin nach Leipzig gefahren. Sie war fix und fertig. Sie hat mir unter Tränen gesagt, was passiert ist, dass er sie jahrelang sexuell missbraucht hat und sie es nicht mehr aushält.“

Mutter des Mädchens: Angeklagter schwieg bei Konfrontation mit den Vorwürfen

Heike M. suchte Unterstützung bei einer professionellen Beratungsstelle. Deren Tipp: Hendrik G. sollte unter Zeugen mit dem Vorwurf konfrontiert und jeder Kontakt der damals bereits 18-jährigen Alexandra zu ihm vermieden werden.

Als die Konfrontation dann bei einem Tischgespräch stattfand, habe Hendrik G. zu den Anschuldigungen überraschenderweise gar nichts gesagt: kein erbostes Abstreiten, kein Nachfragen, wie man darauf käme. Sie habe ihn umgehend aufgefordert, den gemeinsamen Haushalt zu verlassen, sagte Heike M. am Freitag vor Gericht.

Ist Hendrik G. unschuldig, wie er geltend macht, oder doch ein skrupelloser Sexualstraftäter, der das Vertrauen eines Mädchens eiskalt ausgenutzt hat? Die 3. Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Bernd Gicklhorn hat zur Aufklärung bisher drei weitere Prozesstage anberaumt.

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