Seit Wochen wird zu einem großen Ereignis nach Leipzig mobilisiert. Mehrere Neonazi-Aufmärsche sollten nach dem Willen der Anmelder in der Nähe und teilweise durch den linksgeprägten Stadtteil Connewitz verlaufen. Doch mehrere Veranstaltungen am Tag veranlassten die Stadtverwaltung dazu, die Aufzüge weit vom ursprünglichen Ort weg zu verlegen. Derweil zeigen sich Polizei und Nazi-Gegner schon aktiv.

Etwa 1.000 Menschen, zu einem großen Teil aus dem Antifa-Spektrum, beteiligten sich an der Vorabenddemo von „Rassismus tötet!“, die unter dem Motto „Die Rechten zu Boden – Für konsequenten Antifaschismus“ stand. Die Polizei hielt sich sowohl bei der Anzahl der eingesetzten Beamten als auch bei den häufig vorkommenden Böllerwürfen zurück. Die Route führte quer durch Südvorstadt und Connewitz und verfolgte dabei eigentlich das Ziel, mit den Wegstrecken der kommenden Neonaziaufmärsche vertraut zu machen.

Allerdings hat es im Laufe der Woche mehrfach Änderungen gegeben. Aus den einst drei geplanten Kundgebungen von OfD, „Die Rechte“ und einer Privatperson hat die Versammlungsbehörde eine einzige gemacht – die zudem nicht wie gewünscht in Connewitz, sondern entlang der Kurt-Eisner- und Arthur-Hoffmann-Straße verläuft. Das Bündnis „The Future Is Unwritten“ hat darauf bereits reagiert und seine Demonstration auf den angrenzenden Albrecht-Dürer-Platz verlagert. Im Umfeld finden zudem gut ein Dutzend weitere Gegenkundgebungen statt.

Das Ordnungsamt beruft sich bei seiner Entscheidung, die Neonazirouten einzukürzen, unter anderem auf Äußerungen von Gruppierungen wie der Neonazi-Kammeradschaft Brigade Halle, die zu „Connewitz in Schutt und Asche zu legen“ aufrief, oder der Aktionsfront Bitterfeld, die mit „Rückeroberung oder Untergang“ nach Leipzig mobilisierte. Beide Gruppen beteiligten sich im September umfangreich an der ersten OfD-Demonstration in Leipzig.

Hier wollte Silvio Rösler eigentlich laufen. Foto: Alexander Böhm
Hier wollte Silvio Rösler eigentlich laufen. Foto: Alexander Böhm

„Es wird der Eindruck erweckt, als ob die Mobilisierung und das offene Ansprechen von Gewalttaten gerade dazu abzielt, gewalttätige Kreise für ein derartiges ‘Event’ zu gewinnen“, mutmaßt die Versammlungsbehörde aus den Ankündigungen aus Mobilisierungsankündigungen und Gesprächen mit den Anmeldern. Wenige Zeilen später heißt es im Auflagenbescheid gar, dass „ein militant-provzierendes Zeichen gegen den in Leipzig-Connewitz verorteten politischen Gegner gesetzt werden soll.“

Gerade mit der Ankündigung, dass Christian Worch als ein weiterer Anmelder zum Demonstrationsteam hinzustößt, gehe man von einem weiteren Mobilisierungsschub in der „(extremen) linken Szene“ aus. Denn auch dort vermutet man einen Teil der Gefahrenlage.

„Die autonome Szene tritt im Bereich der Polizeidirektion Leipzig sehr aktiv und überwiegend spontan auf“, heißt es eingehend. Leipzig sei mit 250 bis 300 Linksextremisten ein Schwerpunkt. „Gerade Leipzig-Connewitz gilt in Teilen als linksalternativer Stadtteil“, wird die Symbolik hervorgehoben.

"Deutsch mich nicht voll" wurde projiziert. Foto: Alexander Böhm
“Deutsch mich nicht voll” wurde projiziert. Foto: Alexander Böhm

„Geradezu kontinuierlich sind Straftaten und gewalttätige Aktionen der linken beziehungsweise linksautonomen Szene zu registrieren“, heißt es darauf gleich im Anschluss. Zur Verbesserung der Sicherheitslage und zur Vermeidung von rechtsfreien Räumen sei die Polizeidienststelle in der Wiedebachpassage eingerichtet worden, was von der linken Szene als „Repression“ wahrgenommen worden sei.

Dass die Sorge der Ordnungsbehörden vor Angriffen auf den politischen Gegner nicht ganz unberechtigt ist, zeigen einige Ereignisse der letzten Tage. Erneut wurde das Büro von Uwe Wurlitzer (AfD) angegriffen. Auch im Nachgang von rassistischen Demonstrationen wurden mehrmals Neonazis wie beispielsweise Alexander Kurth Opfer von Übergriffen.

Ähnliches widerfuhr dem Vize des NPD-Kreisverbandes Leipzig, Axel Radestock. Er wurde in seinem Ladengeschäft aufgesucht und auf den Kopf geschlagen. Auf einem im Internet veröffentlichten Foto sieht man die Tat. „Die NPD setzt 500 Euro Kopfgeld auf den/die Täter aus“, hieß es zuerst auf der Facebook-Seite der Partei. „Ich appelliere an alle Kameraden und Unterstützer von diversen Racheaktionen abzusehen“, meldete sich der Geschädigte danach auf der offiziellen Website der NPD Leipzig zu Wort.

"Fight Racism". Foto: Alexander Böhm
“Fight Racism”. Foto: Alexander Böhm

Auf dem Portal Indymedia beglückwünschte man die Täter und bezeichnete die Tat als „konsequenten Antifaschismus“. Damit steigert sich ein Teil der militanten Szene in Leipzig auf ein neues Gewaltniveau. Übergriffe auf Wohnungen, brutale Überfälle und die Gefährdung von Dritten scheinen immer mehr akzeptiert zu werden, was Leipzig bereits in einem nur halb ironischen Indymedia-Artikel den Titel „Randalemeister 2015“ einbrachte.

Auf der Gegenseite zeigen sich auch Neonazis und sonstige Rassisten so aggressiv wie lange nicht mehr: Regelmäßig kommt es zu körperlichen Angriffen wie etwa nach dem Pegida-Geburtstag im Hauptbahnhof, zu Anschlägen auf Wohnungen von engagierten Antirassisten oder zu ausländerfeindlichen Schmierereien rund um geplante Geflüchtetenunterkünfte.

Dass die Neonazikundgebungen von Connewitz in die Südvorstadt verlegt wurden, dürfte ein wenig Druck vom Kessel nehmen. Dass es dennoch zu Auseinandersetzungen kommt, scheint in Anbetracht des auf allen Seiten vorhandenen Gewaltpotentials fast unausweichlich. Zumindest in einem dürften sich tausende Gegendemonstranten am Samstag jedoch einig sein: Rassismus darf nicht unwidersprochen bleiben.

Fast 1.000 Demonstranten ziehen durch Südvorstadt und Connewitz:

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