Der Fall Rauscher. Ist das überhaupt ein Fall? Einer, der in den heiligen Hallen der hohen Universität geklärt werden kann? Oder ist es nur ein Privatfall Rauscher, wenn ein Professor für ausländisches und europäisches Privat- und Verfahrensrecht an der Juristenfakultät der Uni Leipzig regelmäßig mit fremden- und islamfeindlichen Tweets auffällt?

Selbst die „Süddeutsche“ lotet recht vorsichtig aus, inwieweit die Meinungen des Prof. Dr. Thomas Rauscher noch von Meinungsfreiheit und der Lehrfreiheit an deutschen Universitäten gedeckt ist. „Der Rechtspopulismus tobt auch an den Unis. Die reagieren mal souverän, mal hilflos“, heißt es dort. Rauscher ist kein Einzelfall. Genauere Zahlen hat man nicht. Aber es gab auch an der Uni Leipzig schon einige recht hartgesottene Professoren, die mit Haltungen und Denkweisen auffielen, die zumindest aus dem erzkonservativen Bereich der deutschen Eliten stammen.

Auch wenn es heute wie eine Provokation wirkt, wenn Rauscher twittert „JE SUIS PEGIDA!“, ist das nicht wirklich neu. Die Denkhaltung jedenfalls nicht. Das war alles schon vorher da und gehört zum großen Nebelfeld der Neuen Rechten, die so neu nicht sind, sondern in sehr elitären Verbänden, Kreisen und Burschenschaften der Bundesrepublik immer ihre alte Vorstellungen zum einzig Richtigen pflegten. Was übrigens auch ein Grund dafür ist, dass es etlichen Staatsdienern in Deutschland so schwerfällt, sich wirklich von PEGIDA & Co. zu distanzieren.

Denn ursprünglich kommt das alles aus dem selben Topf, werden von alten Herren und neuen Rechten die alten Grundbausteine des Elite-Denkens immer wieder neu verbaut, hervorgezaubert in letzter Zeit mit dem Gestus einer neuen (deutschen) Alternative: Man verkleidet sich alternativ und verkauft den alten Chauvinismus als neue Opposition.

Das, was Rauscher twittert, stammt aus diesem großen Topf.

Am 1. Februar meldete sich der Student_innenRat der Uni Leipzig zu Wort und kritisierte Rauschers Äußerungen auf seinem Twitter-Account. Am 29. Januar hatte sich der Fachschaftsrat Jura auf Facebook mit einer Statusmeldung geäußert, in welcher Tweets von Prof. Dr. Thomas Rauscher den Studierenden zugänglich gemacht wurden. Mit dem Weltbild einer weltoffenen Hochschule und einer anzustrebenden pluralistisch-solidarischen Gesellschaft hätten Rauschers Äußerungen nichts zu tun, kommentierten die Studierenden.

Marcus Adler, Referent für Antirassismus: „Neben den für uns völlig inakzeptablen und gegen Muslime bzw. Geflüchtete hetzenden Inhalte seiner Tweets, schockiert uns vor allem die aggressive und autoritäre Wortwahl des Professors.“

Rauscher zeichne ein stereotypisiertes Bild von Menschen muslimischen Glaubens als Bedrohung für eine „deutsche Kultur“ und bezeichne Geflüchtete in Anspielung auf die prekären sozialen Umstände in französischen urbanen Randgebieten als „Banlieue-Horden aus dem Maghreb“. Vokabular wie „Schlauchboot-Spuk“ offenbare zudem einen Standpunkt zu den Themen Flucht und Vertreibung, der sämtliche humanistischen Grundwerte einer offenen und demokratischen Gesellschaft vermissen lasse.

„Wer auf sozialen Netzwerken im Internet zu Zeiten von vermehrt stattfindenden rassistischen Angriffen auf Geflüchtete, Migrant_innen und Asylunterkünften in völkischer Manier die Wehrhaftigkeit des ‚weißen Mannes‘ fordert, steht mit den Menschen, die diese Taten vollziehen zumindest ideologisch auf einer Stufe“, so Adler. „Dass Prof. Dr. Thomas Rauscher das Amt des ‘Auslandsbeauftragten’ innerhalb der Juristenfakultät unterhält, ist schlicht zynisch.“

Die Äußerungen würden zudem einmal mehr als deutlich zeigen, dass diskriminierendes Gedankengut auch unter den Dozierenden der Universität Leipzig verbreitet sei.

„Wir alle sind als mündige Student_innen und Mitarbeiter_innen dieser Universität ständig dazu aufgerufen, diskriminierenden und herabwürdigenden Aussagen zu widersprechen“, sagt Marcus Adler.

Thomas Rauscher, geboren 1955 in Erlangen, lehrt seit 1993 an der Universität Leipzig. Er hält eine Professur für Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung sowie Bürgerliches Recht inne. Aber so richtig zuhause in Leipzig scheint er bis heute nicht zu sein. Im Landkreis Rosenheim in Bayern trat er als FDP-Mitglied für verschiedene Wahlen an, wurde 2008 auch Mitglied im Kreistag von Rosenheim, kandidierte 2009 auch noch fürs EU-Parlament und 2013 für den Bundestag. 2013 trat er aus der FDP aus und führt sein Kreistagsmandat nun fraktionslos weiter. Wie macht er das, wenn er in Leipzig eigentlich Lehrverpflichtungen hat?

Da er seine abfälligen Kommentare freilich auf seinem Privat-Account veröffentlicht, hat die Universität Leipzig nicht viele Möglichkeiten, das zu sanktionieren. Sie kann sich nur distanzieren.

Aber hört ein Professor auf, eine Persönlichkeit der Öffentlichkeit zu sein, wenn er privat twittert? Und welche Rolle spielen eigentlich Teile der deutschen Intelligenz, wenn sie solche Positionen öffentlich vertreten? Denn wirklich privat sind ja die „social media“ nicht. Was hier getwittert und gepostet wird, soll ja die Öffentlichkeit erreichen. Und es sind ja nicht nur die postkolonialen Ansichten Rauschers, die auffallen. Er bedient auch anderes Vokabular, das zum Grundbestand von PEGIDA & Co. gehört. Da wird ein „Sprechverbot“ behauptet, eine „Zwangsrekrutierung“ durch Steuern (und das von einem Juristen?), und Klimaschutz erklärt er gleich mal zur Lüge.

Ach ja: Lüge.

Die Studierenden, die seine Tweets jetzt auch mal auf einer eigenen Website gesammelt haben, attestieren dem Prof. „krude Verschwörungstheorien“. Und die „Zeit“ stellt ernüchtert fest, dass augenscheinlich auch Teile der deutschen Hochschullehrerschaft denselben rechtspopulistischen Weltbildern anhängen wie die PEGIDA-Organisatoren.

„Wie Pegida-affin darf mein Professor sein? Diese Frage müssen sich Deutschlands Hochschulen stellen. Der Rechtspopulismus ist nicht mehr nur als Studienobjekt, sondern auch als Weltanschauung angekommen. Ist das normal oder alarmierend?“, fragt die „Zeit“.

Die Antwort ist einfach: Es ist in deutschen Hochschulen immer dagewesen. Mal offener (in den 1950er und 1960er Jahren), dann versteckter, weil man sich 1968 auf einmal im größten Shitstorm wiederfand, den die Republik je erlebt hat. (Woher dann auch die heute so deutlich formulierte Abscheu gegen die „Alt-68er“ stammt. Die  Wunden sitzen tief.) Aber mit der Kohlschen „Wende“ von 1983 ist das alte elitäre Gedankengut in etlichen Lehrstühlen wieder salonfähig geworden.

Und es sind ja nicht nur Juristen, die auffallen. Es sind auch Groß-Philosophen wie Peter Sloterdijk, die die irrationalen Bausteine des neuen rechten Denkens wieder in Umlauf bringen und dafür in zahlreichen Medien ihre Plattform finden. Mit Betonung auf „irrational“, denn all die „Dimensionen“ rechten Denkens, die heute in immer größeren Portionen in die gesellschaftliche Diskussion gekippt werden, ergeben ja am Ende ziemlich zwangsläufig einen abgesperrten und totalitären Staat. Die Herren mit ihren gewichtigen Sätzen tun zwar gern so, als seien sie nur ganz persönlich – als „weißer Mann“ – verängstigt und würden all die bedrohlichen Andersfarbigen und Andersgläubigen nur wieder zurückschaffen wollen in deren „angestammte“ und „naturgemäße“ Heimat: Aber dahinter zeigt sich ziemlich unverhüllt das alte koloniale Denken, das Menschen in Rassen teilt und den „weißen Mann“ mit seiner Kultur für etwas Besseres hält.

Das hat sich heute nur neu eingekleidet und gibt sich wissend, wo es tatsächlich mit Worten Vorurteile verbreitet. Und die Frage, die die „Zeit“ gestellt hat („Darf ein Professor so was twittern?“) führt eigentlich in die Irre. Denn das Problem ist längst eine öffentliche Debatte im Land, in der das alte elitäre Denken die eigentlich wichtigen Diskussionen immer mehr verdrängt. Ein Land, in dem scheinbar die wichtigsten Köpfe aus Politik, Wissenschaft und Medien nur noch „Probleme“ sehen, gerät ziemlich zwangsläufig immer mehr in Panik. Die alten Denker auf allen Kanälen bestätigen scheinbar die zunehmenden Ängste der Bürger.

Was fehlt, ist ein Klima der praktischen Problemlösung. Es hat sich scheinbar völlig in Luft aufgelöst – und wer Probleme löst, muss sich immer öfter auch noch als „Gutmensch“ titulieren lassen.

Die neuen Eliten sind unübersehbar die uralten. Aber zur Lösung der Tagesfragen haben sie ebenso unübersehbar nichts, aber auch gar nichts beizutragen.

Geht das nun auch die Hochschulen etwas an?

Eben doch: Denn solche Leute, deren private Äußerungen an Rationalität vermissen lassen, werfen kein gutes Licht auf die Hochschule, an der sie jungen Leuten eigentlich rationales Denken beibringen sollen.

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Wenn Rauscher ein Beamter ist, könnte er schon ein bisschen Probleme bekommen; denn ein Beamter
muss bei öffentlichen Meinungsäußerungen (wie eben auf US-amerikanischen Plattformen), auch als Privatmann, eine gewisse Akkuratesse zeigen.

Unsere göttliche Landesregierung wird aber selbstverständlich kein Disziplinarverfahren gegen Rauscher einleiten, wenn er doch so nach ihrem Gusto posaunt.

Übrigens, Sloterdijk ist nicht wirklich als Neurechter zu bezeichnen. Krawall hat damals die Süddeutsche Zeitung angezettelt, weil sie meinte, seine Elmauer Rede (und nur um die ging es) verzerrt verstehen zu müssen. Man sollte diese Rede mal vollständig lesen, vielleicht sogar zuerst als Warnbotschaft für künftige gesellschaftliche Entwicklungen. Sloterdijk ist wesentlich gesellschaftskritischer als selbst manchem (Wohlfühl?-)Linken lieb ist. Nein, ich bin kein Bewunderer von S., aber ich lese Texte.

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