Das Jahr beginnt für den ambitionierten Pädagogen fortgeschrittenen Alters im September. Da lässt sich die Annuität seiner schwankenden Körperkräfte nur bedingt ausschalten. Vielleicht ist es ein „Weltfriedenstag-Reflex“, welcher die neoliberale Rundumerneuerung Ende des vergangenen Jahrhunderts hartnäckig überlebte, vielleicht aber auch nur ein fixes Datum im Lehrerkalendarium zwischen Arbeitsfreude und bildungspraktischer Katerstimmung.

„Leistung muss sich wieder lohnen.“ So hieß es Anfang der 90er Jahre aus dem christdemokratischen Lager und jede politische Partei hätte diesen Satz ängstlich wie einen populären Blankoscheck unterschrieben. „Leistung“ – das klang wie eine Zauberformel für Nobelpreisziele und Fernreiseziele. Endlich die weite Welt sehen und so teuer ist das alles gar nicht. Und wenn, dann fährt man eben mit dem Bus. Alles haben, alles kaufen, alles frei und demokratisch. Endlich freien Zugang  zu neuen Höfen am Brühl, zu den freundlichen Wohlstandsdealern, auf in die Sucht des Kaufrausches. Man muss nur „Leistung“ bringen. Also Mitmensch, spute dich, auf auf zur Sucht, pardon, Kampf, erbringe Leistung, erfülle die Anforderungen (althochdeutscher Ursprung für „Leistung“) und sieh zu, dass das irgendwie geht. Umso öfter kannst du Bus fahren. Bei größerer Leistung bald mit dem Auto.

Diese Botschaft hat in den Lehrerstuben und Wohnküchen nichts an allgemeinem, didaktischem Potenzial verloren. Zu Beginn des Schuljahres, also des Jahres für den Pädagogen, streut man sie wie virtuelle Flyer unter die Massen des Lehrbetriebs und manch Kunsterziehungslehrer schaut ganz verwundert, wenn dann als Lieblingsgegenstand das Konterfei von Herstellern süddeutscher Mittelklassewagen auf dem Blatt erscheint. Ja, Leistung soll sich ja lohnen. Vielleicht nennen wir’s dann auch konsequent „Kunst“ und nicht „Erziehung“?

Ich erspare mir den Ausflug in die oberlehrerhafte „Gutmenschen“-Rhetorik, welche erklären würde, dass ein einfaches Wort wie „Leistung“ kaum an inhaltliche Substanz gebunden ist. Interessant bleibt, warum Menschen so auf die positive Bedeutung des Ein-Wort-Mantras reagieren? Liegt es am Diphthong „ei“, der so hell und strahlend klingt wie ein sonniger Morgen voller protestantischer Arbeitsethik? L-ei-stung? (Dann wären wir nach diesem Sahara-Sommer ja beinahe überladen von Leistungsenergie und immunisiert gegen vorwinterliche Depression.)

Die Neuen schauen mich entgeistert an. Vom nicht unwichtigen Attribut, ein „guter Mensch“ als Lehrer zu sein und zugeschrieben zu bekommen, wähne ich mich vor meinen neuen Schülern saharaweit entfernt.  Möglicherweise ist eine erbrachte Leistung auch einem Sender-Empfänger-Muster unterlegen? Möglicherweise ist ALLES eine „Leistung“ (s. „K wie Kommunikation“)? Nur dass sie irgendwie unterschiedlich honoriert wird? Von den Empfängern? Ich bohre weiter. Die Neuen schauen mich „leistungsbereit“ an. Das ist immer so zu Beginn des Schuljahres. Nach spätestens  einem Monat scheinen die meisten allerdings nach Schulschluss in einem Zustand zu sein, in dem nichts mehr geht. „Leistungsbreit“. Da winken keine Fernreiseziele. Nur die kommende „Leistungs-ermittlung“.

„Den Menschen macht sein Wille groß und klein“, hört man Butlers Schiller im bald toten „Wallenstein“ sagen. „Leistung muss sich wieder lohnen“ hat eine motivierende Nachhaltigkeit wie Offerten von Kinderüberraschungseiern. Nichts entbindet mich von meiner Entscheidung, zwischen Richtig und Falsch, Wichtig und Unwichtig einer erbrachten Leistung zu unterscheiden. Und was noch wichtiger ist: Den Wert meiner Leistung muss ich selbst bestimmen können. Sie ins Verhältnis zu meinen Anlagen, meinen Möglichkeiten und Potenzen setzen können. „Setzen, 6!“ möchte ich manchem Politiker zurufen, der sich „asylkritisch“ äußert, „Klasse!“ meinem afghanischen Mitschüler bescheinigen, der sich zum ersten Mal meldet. Im Unterricht. Der eine muss, der andere will etwas (sagen.)  Der eine bekommt für sein „Leistungsversagen“ Diäten, der andere versucht es mit Selbstüberwindung. Kein Neid, nur Erkenntnis: „Leistung“ muss sich nicht immer lohnen.

Nichts ist „automatisch“ und von selbst gerecht. Auch noch keine Leistung. Dies zu sehen, brauchen wir kritische Geister. Welche die Notwendigkeit des herkömmlichen Aufwand-und-Nutzen- Musters von und durch sich selbst begreifen. Christian Fürchtegott Gellert, der kürzlich den 300. Geburtstag beging, auf dem Leipziger Südfriedhof die letzte Ruhe fand, schrieb so: „„Leben, ohne immer tugendhafter, edler, großmütiger, wohltätiger, geduldiger, arbeitsamer, nützlicher zu werden, heißt eigentlich nicht leben, sondern nur da sein.“ Auch eine Leistung.

Das Jahr beginnt im September.

Das Bildungsalphabet erschien in der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier von A-Z an dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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