Dass die Wahlberichterstattung der LVZ in den vergangenen Wochen so wirkte, als wäre Gemkow der bevorzugte Kandidat, ist nicht nur uns aufgefallen. Eine drastische Konsequenz aus dem angeblichen Verhalten eines LVZ-Redakteurs hat heute auch der wiedergewählte Oberbürgermeister Burkhard Jung gezogen: Er sagte offenbar kurzfristig ein Interview ab. Besonders erregte jedoch heute, dass Thomas Feist (CDU) glaubte, einen alten Witz zu erzählen. Die L-IZ fasst zusammen, was am Montag, den 2. März 2020, in Leipzig und darüber hinaus wichtig war.

Burkhard Jung ist seit 14 Jahren Oberbürgermeister der Stadt Leipzig und darf das auch in den kommenden sieben Jahren bleiben. Das hat gestern die Mehrheit der Wähler/-innen entschieden. Mit 49,1 Prozent der Stimmen lag SPD-Bewerber Jung knapp vor seinem CDU-Kontrahenten Sebastian Gemkow, der 47,6 Prozent erhielt.

Dass die Diskussionen über die Oberbürgermeisterwahl mit dem Wahlergebnis enden würden, war nicht zu erwarten. Wir haben bereits in der Nacht mit Nachbetrachtungen zur gespaltenen Stadt den Anfang gemacht.

Heute folgte dann eine etwas überraschende Fortsetzung. Die LVZ verkündete am Mittag, dass Jung ein für 10 Uhr geplantes Interview kurzfristig abgesagt habe. Er begründete dies angeblich damit, dass er mit einem der beiden Journalisten, die das Interview führen sollten, nicht reden wolle, weil dieser am Abend des ersten Wahlgangs mit dem CDU-Bewerber Gemkow „in den Armen gelegen“ habe.

Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein, wäre diese Geste ein starkes Symbol für das, was viele Leser/-innen und Beobachter/-innen der LVZ in den vergangenen Wochen empfunden haben: Dass die Zeitung einen Wahlerfolg für Gemkow bevorzugen würde. Zu den genauen Gründen gibt es längst mehrere Annahmen, welche sich selbstverständlich ohne eine Erklärung der LVZ selbst kaum belegen lassen.

Angeblich übliches Verhalten

Der LVZ-Journalist Klaus Staeubert streitet den Vorwurf nicht ab: „Ich habe Sebastian Gemkow nach dem ersten Wahlgang im Neuen Rathaus zur Begrüßung kurz umarmt, wie das heutzutage oft üblich ist“, zitiert ihn die eigene Zeitung. Ob das tatsächlich üblich ist, darf durchaus bezweifelt werden. Selbst auf lokaler Ebene, wo es zwischen Journalist/-innen und Politiker/-innen mehr Nähe gibt als auf Bundesebene, ist ein solches Verhalten eher unüblich, zumal in Zeiten des Wahlkampfes gegenüber einem eventuell zukünftigen Oberbürgermeister.

LVZ-Chefredakteur Jan Emendörfer wiederum ist entrüstet. Er schreibt im selben Artikel: „Dass ein Politiker festlegen kann, von welchem Journalisten er interviewt wird und von welchem nicht, hat nichts mit Pressefreiheit zu tun.“

Das stimmt. Das hat wirklich nichts mit Pressefreiheit zu tun. Denn die Pressefreiheit schützt in erster Linie die Medien vor staatlichen Eingriffen. Ob ein Oberbürgermeister verpflichtet ist, einem bestimmten Journalisten ein Interview zu geben, sollte die LVZ im Zweifelsfall vor einem Gericht klären lassen. Die Fragen der LVZ habe er unterdessen schriftlich beantwortet, teilte die Stadt Leipzig auf Twitter mit.

Morgen wird jedenfalls ein größeres Interview zwischen der L-IZ.de und Burkhard Jung stattfinden; Vorbedingungen oder gar „Personalwünsche“ äußerte der wiedergewählte Oberbürgermeister, wie schon bei anderen L-IZ-Interviews mit ihm, vorab keine.

Eine weitere Debatte, die direkt mit der OBM-Wahl zu tun hat, ist bereits gestern Abend aufgekommen, nachdem sich der CDU-Kreisvorsitzende und Sachsens Beauftragter für jüdisches Leben Thomas Feist bei „Leipzig Fernsehen“ über Jung geäußert hatte. Dies ist in folgendem Video zu sehen:

Dass Feist dieses Zitat verwendete, kritisierten anschließend unter anderem Politiker/-innen von Linkspartei, Grünen und SPD, aber auch zahlreiche Nutzer auf Twitter. Feist verwies darauf, dass das Zitat von dem in Dresden geborenen Eberhard Cohrs stamme. Da dieser im Nationalsozialismus als Angehöriger der Waffen-SS und Wärter im KZ Sachsenhausen tätig war, folgte für Feist die nächste Welle der Kritik.

So wie sich die CDU im Wahlkampf als weltoffen und modern präsentierte und dies noch am Wahlabend konterkarierte, gab es auch bei RB Leipzig am Wochenende einen krassen Widerspruch zwischen Darstellung und Realität.

Wie unter anderem der MDR berichtet, mussten mehrere Japaner während der Partie gegen Leverkusen das Stadion verlassen, weil sie aus einem angeblichen Risikogebiet für das Coronavirus stammten. Der Verein entschuldigte sich heute für das Verhalten der Security-Mitarbeiter. In genau jenem Spiel präsentierten Fans des Vereins eine bunte Choreographie mit dem Titel „Love, Peace and Rasenball“.

Was heute außerdem wichtig war: Unbekannte haben im Kreis Görlitz das Auto des AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla abgebrannt. Die Partei vermutet linksradikale Täter. Außerdem hat Björn Höcke heute angekündigt, in Thüringen zur Ministerpräsidentenwahl antreten zu wollen.

OBM-Wahl 2020: Die gespaltene Stadt Leipzig

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Zu dem hinkenden Vergleich des Herrn Feist, bzw zu seinen Erklärversuchen: man muss nicht in Leipzig geboren sein, um sich hier heimisch und wohl zu fühlen. Man muss nicht den Urschleim der DDR und der Wende mitgemacht haben, um legitimiert zu sein für das Amt des OBM.
Mir ist es sogar fast egal, wer OBM ist. Wenn er sich für den Frieden in der Stadt, für das Vorwärtskommen, für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen einsetzt, wenn er es versteht, nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Menschen mitzunehmen, die sozialen Bedürfnisse nicht vergisst, dann ist das eine gute Basis.
Niemand ist perfekt, ein jeder lernt sein ganzes Leben lang. Und Fakt ist auch: der OBM regiert die Stadt ja nicht. Schon gar nicht allein. Das tun die Stadträte. Der OBM ist Chef der Verwaltung, die die Beschlüsse der Stadträte umsetzen soll. Ja, ich weiß, die Verwaltung kocht auch gern mal ihr eigenes Süppchen, muss auch mal gebremst und anderswo wieder bisschen getrieben werden.

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