Es ist passiert und im Netz fragen sich nicht wenige, was das eigentlich für Richter am Oberverwaltungsgericht in Bautzen sind. In der Nacht haben sie eine Entscheidung getroffen, die alles vorherige auf den Kopf stellt und die „Querdenken“-Bewegung in die Leipziger Innenstadt zurückholt. Ab 13 Uhr werden sie auf dem Leipziger Augustusplatz laut einem der L-IZ.de vorliegenden Beschluss mit einer angeblichen Begrenzung auf 16.000 Teilnehmer/-innen ihre Versammlung abhalten, „Leipzig nimmt Platz“ hat eine Demonstration auf dem Ring Höhe ehemalige Hauptpost ab 12:30 Uhr angemeldet. Es wird eng, wahrscheinlich zu eng in Leipzig werden.

16:10 Uhr: Zweiter Liveticker

Mit den Vorgängen rings um die Auflösung der Kundgebung und dem Geschehen ab hier eröffnen wir eine Fortsetzung unseres Livetickers. Diesen finden Sie hier  auf L-IZ.de.

16 Uhr: Die Masken fallen endgültig

Wer „Querdenken“ als friedliche Bewegung versteht, versteht etwas falsch. In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich zunehmend Rechtsextremisten und Neonazis angeschlossen, so auch in Leipzig vor Ort. Gegen 16 Uhr erschallen Gesänge „Antifa, Hurensöhne“ am Leipziger Ring und das Gerücht geht um, dass auf einen Fingerzeig von Nils Wehner auf der Bühne (da sollte es langgehen) einige versuchen, einen Gang über den Ring zu erzwingen.

Video: Tilly Domian / L-IZ.de

15:45 Uhr: Die Versammlung von „Querdenken“ wird aufgelöst

Querdenken-Anwalt Markus Haintz tritt auf die Bühne und verkündet, dass die Versammlungsbehörde und die Polizei mit Wirkung 15:35 Uhr die Versammlung mit sofortiger Wirkung beendet haben. Die Stadt Leipzig bestätigt die Auflösung im Netz und bei Twitter. Nun geht es an die Durchsetzung durch die Polizei Sachsen wegen anhaltender Verletzung, denn trotz dreimaliger Durchsagen hatte sich am Zustand wenig bis nichts geändert bei Querdenken.

Markus Haintz und alle Versammlungsleitungsbeteiligte verlassen die Bühne. Nils Wehner teilt noch mit, dass auch der geplante Rundgang über den Ring verboten ist. Die Polizei droht nun mit 500 Euro Bußgeld falls der Versammlungsort nicht verlassen wird. Sie ruft dazu auf, ruhig und friedlich Richtung Hbf abzuziehen.

Nach der 3. polizeilichen Durchsage bei „Querdenken“ um 14:20 Uhr auf dem Augustusplatz

Video: Tilly Domian / L-IZ.de

13:55 Uhr: Nils Wehner im Siegesrausch & „Wir sind das Volk“

Video: Tilly Domian / L-IZ.de

Das Thema ärztliche Atteste war seit dem 31. Oktober 2020 Thema in der sächsischen Presse. Dort hatten rund 600 Teilnehmer/-innen unter 3.000 gesamt der Polizei ärztliche Bestätigungen gezeigt, mit welchen sie aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht auch auf Versammlungen befreit seien. Seither ist die große Frage: so viele kranke „Querdenker“, die keine Maske tragen können und so viele Ärzte, die das bestätigen?

In Leipzig spielt sich gerade bei der „Großdemo“ Ähnliches in weit breiterem Maße ab (siehe Video). Da das Nichttragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske quasi mit Bezeichnungen wie „Merkellappen“ zur Demonstrations-DNA von „Querdenken“ gehört, haben laut Nils Wehner heute wohl so ziemlich alle ein Attest auf dem Augustusplatz. Polizeiliche Durchsagen werden anfangs ignoriert, mittlerweile mit einem höhnischen Gelächter der Kundgebungsteilnehmer/-innen quittiert.

Der Rechtsstaat hat begonnen, sich an der Nase herumführen zu lassen. Was mit der OVG-Entscheidung begann, einen „Wunschplatz“ im Zentrum einer 600.000-Einwohner-Stadt zuzulassen, über eine nahezu kaum prüfbare Scheinbegrenzung von 16.000 durch das gleiche Gericht ging, endet nun in einer maskenlosen Kundgebung unter den Augen der Polizei.

Wenn diese Kundgebung weiter so verläuft, muss sich in Deutschland niemand mehr wundern, wenn auch andere Regeln bald erodieren. Was die einen als Freiheitskampf feiern, ist den anderen eine akute Gefährdung der Leben Dritter. Denn niemand wird schon jetzt nach diesem Tag noch irgendwelche Infektionsketten mehr nachvollziehen können, auch wenn heimfahrende „Querdenker“ Unbeteiligte anstecken.

Es ist bereits vorbei. Der Schaden ist angerichtet. Und niemand wird am Ende die Verantwortung übernehmen wollen. Nicht die Richter am Oberverwaltungsgericht, welche eine geradezu fahrlässige Entscheidung trafen, nicht die polizeiliche Einsatzleitung, welche durch Dresden hinlänglich gewarnt war und immer noch belachte Durchsagen macht und die die Menschen maskenlos und unkontrolliert auf den Platz ließ.

Die um 13:55 Uhr erfolgte Ansage an die Versammlung, dass es nicht weitergeht, bis es sich deutlich entzerrt, ist bereits egal. Der „Freiheit“sbegriff der Egoisten hat heute gesiegt. In Leipzig, wo nun die Teilnehmer/-innen „Wir sind das Volk“ skandieren.

12:50 Uhr: Impressionen von verschiedenen Orten in Leipzigs Zentrum

Von der flächendeckenden Einhaltung der Maskenpflicht bei den „Querdenken“-Anhängern von bürgerlicher „Mitte“ bis ganz rechtsaußen. Von Fahnen und Haltungen, die sich auch heute in Leipzg für „Frieden und Liebe“ einsetzen wollen. Wird es hier grade etwas sarkastisch? Kann sein … Alle Fotos: L-IZ.de

12:15 Uhr: Alte Messe wird blockiert, Eventfeeling auf dem Augustusplatz und recht(zeitig)e Ankünfte am Hauptbahnhof

Von der Alten Messe einfach jetzt ein Video (folgt). Kann man sich selbst anschauen, was da so los ist – oder besser steht. Denn die Blockaden drumherum sind durch „Platz nehmen“ erfolgt, man steht und sitzt auf den Straßen, während die Polizei eine Route sucht, auf der der Corso in die Innenstadt kommt.

Auf dem Augustusplatz passiert das, was zu erwarten war: Festivalstimmung mit Bühnengraben und Maskenfrei bis Hawaii. Mal schauen, wie lange das „gutgeht“. Ein Polizei-Helikopter kreist unterdessen über dem Leipziger Stadtteil Connewitz. Im Vorfeld hatte es Drohungen gegeben, dass dort Überfälle durch rechtsradikale Schläger geschehen könnten.

Apropos: Am Hauptbahnhof wiederum kommen gerade offenbar sächsische Freunde der strammeren Unterhaltung an. Von Rechten aus dem Leipziger Umland, unter anderem Wurzen, ist vor Ort die Rede, die Polizei kontrolliert erst einmal die Maskenpflicht.

Impressionen von 12:15 Uhr

11:30 Uhr: Erste Blockaden an der Alten Messe

Blockaden in Leipzig. Screen
Blockaden in Leipzig. Screen

Nun geschieht eben das, was die Richter am Oberverwaltungsgericht Bautzen offenbar sehenden Auges in Kauf nahmen. Leipzig entwickelt sich mit den ersten Meldungen auf Twitter und anderen Kanälen umgehend in eine einzige Demonstrationszone mit Kern Zentrum. Erste Blockaden entstehen bereits an der Alten Messe, von wo ein „Querdenker“-Corso Richtung Innenstadt starten möchte. Eine Demo, die es wohl beim Standort Neue Messe nie gegeben hätte.

Es sind nicht viele Corona-Leugner, die sich da eingefunden haben, organisiert wird es von einem Mitglied von „Bewegung Leipzig“ – eine Art Vorgängerversion von Nils Wehners heutiger „Querdenken 341“.

Natürlich arbeitet man noch immer Hand in Hand, doch der kleine Rest, welcher hier in die Innenstadt fahren möchte, ist in der zunehmend radikalisierten Gesamtgruppierung immer weniger wahrnehmbar. Hier ist man zwischen Sonnenlichttherapie und esoterischem Tantra-Geschwurbel mit der ganz großen Weltrettung im Blümchenformat befasst, für die sich aber beim Thema Regierungssturz ansonsten kaum noch jemand bei „Querdenken“ interessiert. Ein Beleg dafür sind die vielleicht 30 bis 40 Personen, die sich hier am Start eingefunden haben.

Ihnen gegenüber junge Leipziger/-innen, die beispielsweise auf der Puschstraße und der Semmelweißstraße auf der Straße Platz genommen haben und den Demo-Weg blockieren wollen.

Augustusplatz um 11:30 Uhr am 7. Noveber 2020. Es füllt sich. Foto: L-IZ.de
Augustusplatz um 11:30 Uhr am 7. November 2020. Es füllt sich. Foto: Tilly Domian / L-IZ.de

Unterdessen füllt sich auch der Augustusplatz zunehmend mit Corona-Leugner-Touristen auf Stadtbummeltour.

10:40 Uhr: „Querdenker“ in Leipzig und der Glaube an die 16.000 beim OVG Bautzen + Demokarte

Wer die Abläufe in Berlin und die nachfolgenden Debatten um die Teilnehmer/-innenzahl beobachtet hat, ahnt, dass der Zynismus der Zahl 16.000 ein doppelter ist. Einmal unter der Fragestellung, dass man so nun „Querdenkern“ eigentlich ab dieser Zahl (nicht wie auf der Leipziger Messe) den Zugang zum Augustusplatz verwehren muss. Zum anderen, weil „Querdenken“-Anwalt Ralf Ludwig aus Leipzig in einem Kurzvideo umgehend darauf hinwies, dass man ja so nur tausend unter den in Berlin am 1. August anfangs von der Polizei gezählten 17.000 läge.

10:30 Uhr am 7. November 2020: Dank Entscheid des OVG Bautzen steht die "Querdenken"Bühne und der Platz füllt sich langsam mit Coronamaßnahme-Gegnern. Foto: Privat
10:30 Uhr am 7. November 2020: Dank Entscheid des OVG Bautzen steht die „Querdenken“ Bühne und der Platz füllt sich langsam mit Coronamaßnahme-Gegnern. Foto: Privat

Dass die Zahl (L-IZ.de sprach stets von 25.000 aufwärts) von Anfang an umstritten war und später nach oben korrigiert wurde, lässt der Leipziger Anwalt weg. Denn ihm kommt die seltsam konkrete Begrenzung im Urteil gerade recht. Nun fordert er bereits die aus allen Himmelsrichtungen nach Leipzig kommenden Corona-Leugner/-innen auf, so zu argumentieren, dass sie noch auf den Platz können – selbst wenn dieser bereits restlos gefüllt ist, da dass ja unmöglich mehr Menschen als in Berlin sein können.

So verwendet Ludwig die mutmaßlich anfangs falsche Zählung der Berliner Polizei (später war von mehr als 20.000 die Rede) gegen die Leipziger/-innen. Ein perfides Zusammenspiel aus Richterentscheid und Anwälten, die gern auch mal eine Ad-Hoc-Messe anmelden, wenn ihnen eine Versammlung aus Corona-Schutzmaßnahmegründen wie in München untersagt wird.

Die Richter am OVG haben damit also den Wunsch des Versammlungsanmelders Nils Wehner, unbedingt an einen historischen Ort zu demonstrieren, über jeden bekannten Sicherheitseinwand der Stadt Leipzig und der Polizei gestellt und lassen es heute in der Leipziger Innenstadt darauf ankommen. Vor Ort werden die drei unter dem Beschluss unterzeichnenden Richter/-innen vermutlich selbst nicht sein.

Wieder abgebaut: Noch inder Nacht zum 7. November hatte "Querdenken" aus Stuttgart wieder einpcken und abbauen müssen. Foto: L-IZ.de
Wieder abgebaut: Noch in der Nacht zum 7. November hatte „Querdenken“ aus Stuttgart wieder einpacken und abbauen müssen. Foto: L-IZ.de

Gegenprotest unter schweren Bedingungen

Ebenfalls erschwert wird durch diesen Weg auch der Gegenprotest. Dieser muss sich nun auch irgendwie unter Einhaltung von Schutzvorkehrungen um den engen Platz am Augustusplatz „balgen“. In unmittelbarer Reaktion auf die Entscheidung meldete „Leipzig nimmt Platz“ heute Morgen eine Kundgebung auf dem Leipziger Ring Höhe Hauptpost an. Das Motto wenig überraschend „Gegen die Entscheidung des OVG, gegen jedwede Corona-Leugnung und rechte Umsturzfantasien. Leipzig nimmt Platz!“.

Nun mobilisiert man zwar, dass die Leipziger/-innen dahin kommen sollen – weiß jedoch sehr wohl um den Umstand, dass man aus pandemischen Gründen lieber nicht in großen Menschenmassen demonstrieren sollte.

Weshalb es wohl noch weitere Aktionen wie Banner an Einrichtungen und markanten Punkten geben soll, um den Protest gegen die Leugnung eines Virus und die Zusammenarbeit mit Neonazis zu signalisieren. Dazu gleich mehr, denn auch bei der Busanreise haben sich in der vergangenen Nacht neue Infos ergeben.

Die Demokarte der Stadt Leipzig als Überblick für den 07.11.2020

„Querdenker“ in Leipzig: Eine Stadt wehrt sich

„Querdenker“ in Leipzig: Eine Stadt wehrt sich

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Es gibt 9 Kommentare

*Beschwerdegegners
(genau verkehrt herumgerechnet)
Beschwerdeführerin ist die Uni Leipzig

Die aktuelle Sache mit der Jura-Prüfung (Meldung vom 18. Februar 2021), in welcher der Jura-Prof das Urteil des OVG Bautzen als “politisch” bezeichnet hat, hat m.E. ziemlich wenig mit einer irgendwie gearteten Corona-Leugnung von seiten der OVG-Richter zu tun, sondern viel mehr damit, dass die OVG-Richter nicht dem Freistaat hochschulpolitisch in den Rücken fallen wollten.

Es handelt sich um ein spezielles Problem innerhalb der Hochschulen.

Onlineklausuren haben das bis heute bei allem Technologiefortschritt noch ungelöste Problem, sicherzustellen, dass der Prüfling selbst und ohne fremde Hilfe durch Technik und durch andere Menschen die Klausur schreibt.

Trotzdem drückt die Universität Leipzig (und nicht nur sie) diese “Prüfungs”form durch.

Die einzig richtige Lösung ist es, die Prüfung auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, sie dann aber wie gewohnt als Präsenzprüfung durchzuführen. (Ja, ich weiß um die Problematik der Verlängerung von sog. Prüfungszeiträumen. Es geht aber.^^)

Meines Wissens macht in Leipzig die HTWK genau das: Es werden Prüfungen, die für das jetzige Wintersemester 2020/2021 gezählt werden, einfach im Herbst 2021 geschrieben.
(Ich weiß es von einer Studentin, aber ich lasse mich gerne korrigieren.)

Und das dürfte m.E. den Kern treffen, warum der Jura-Prof das OVG-Urteil als “politisch” bezeichnet. Dazu heben die OVG-Richter leider nur auf einen Rechtsfehler des Beschwerdeführers abheben (mangelnde eigene Betroffenheit).

Ob die 16 Prüflinge wirklich infektiologisch korrekt untergebracht werden können, wäre auch so eine Frage. Der Raum müsste für mindestens 100 Leute (Faktor 6) ausgelegt sein, damit es überhaupt erstmal passen könnte, dazu eine regelmäßige Lüftung usw.

Ist schon nicht ganz ohne, so eine Präsenzklausur unter Pandemie-Bedingungen.

Da glaube ich nun nicht, dass die Schulen mit ihren Abiturienten so dolle besser umgehen… :-/

Bleibt gesund.

Welchen Sinn haben Verordnungen und Anweisungen, wenn sie nicht durchgesetzt werden? Wer soll das noch verstehen?
Dabei hätten die Bußgelder das Loch in der Leipziger Stadtkasse kleiner machen und z.B. im Kampf gegen Corona .eingesetzt werden können.
Wo gibt es das nochmal auf der Welt, daß ein Staat sich folgenlos auslachen läßt?

“Die Richterschaft in Sachsen ist ohne Fehl und Tadel”?
Ich dachte bisher: Die Richterschaft in Sachsen ist ausm Westen.

Ein Skandal, dass dieses Superspreader-Event überhaupt zugelassen wurde.
Und wenn dann noch Untätigkeit wegen der zahlreichen Maskenverstöße dazukommt, na danke.

Eigentlich müsste man die Teilnehmer alle zwangsweise in 2 Wochen-Quarantäne stecken.

Wie soll das denjenigen vermittelt werden, die sich an Recht und Gesetz halten?
Wahrscheinlich selbst schuld, wer das tut.

Wohl nicht ohne Grund ist gerade Bautzen eine Hochburg der Nazis, ist Bautzen eine Stadt, in der massiv Sorben verfolgt werden von Nazis. Eine Stadt, in der es wohl nicht so sehr weit her ist mit der Strafverfolgung gegen Nazis? Ja, bei solchen Richtern ….

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