LEIPZIGER ZEITUNG/ Auszug Ausgabe 86, seit 18. Dezember 2020 im HandelEs erscheint fast etwas surreal, doch auch das Jahr 2020 neigt sich in wenigen Tagen dem Ende zu. Viele hatten vor einigen Monaten noch die Vorstellung, dass zum Jahreswechsel von Corona keine Rede mehr sein würde. Doch die Lage ist angespannter denn je, es wird wohl ein durch und durch anderes Silvesterfest, als wir es bisher kannten.

Das neue Jahr begrüßt man vielerorts, so auch in Leipzig, mit Ritualen. Was für die einen das Bleigießen, ist für die anderen die Feuerzangenbowle, ist für wieder andere der Gang zum Connewitzer Kreuz. Hier treffen sich hunderte, gar tausende Leipziger/-innen seit Jahren, um gemeinsam den Jahreswechsel zu feiern – immer begleitet von der Polizei. So auch beim Übergang von 2019 zu 2020.

Wir erinnern uns: mehrere Verletzte, sowohl aufseiten der Feiernden als auch in den Reihen der Polizei. Ein Beamter der sächsischen Bereitschaftspolizei wurde so schwer verletzt, dass er noch in der Nacht im Krankenhaus operiert werden musste. Die Empörung in der Bevölkerung war groß, über die Eskalation am Kreuz wurde deutschlandweit berichtet. Noch in der Nacht sprach die Polizei in einer offiziellen Mitteilung von einer Not-OP, kurze Zeit später wurde die Pressestelle der Direktion für ihre Wortwahl hart kritisiert.

Die Lage zum Jahreswechsel 2019/20 eskalierte, mehrere Menschen wurden verletzt. © Jan Kaefer
Die Lage zum Jahreswechsel 2019/20 eskalierte, mehrere Menschen wurden verletzt. © Jan Kaefer

Denn auch wenn der Beamte schwere Verletzungen erlitten hatte, bestand zu keinem Zeitpunkt akute Lebensgefahr, wie es per Definition bei einer Notoperation der Fall ist. Andreas Loepki, der damalige Chef der Pressestelle der Polizei, versuchte, auf Twitter zu schlichten und für Klarheit zu sorgen. Mit wenig Erfolg: Deutlich ausgedrückt hat die Polizei die Zusammenhänge zwar nie, doch kurz nach dem Vorfall war Loepki seinen Posten los; er ist heute „nur noch“ Leiter des Direktionsbüros. Der an Silvester verletzte Polizist ist inzwischen genesen und wieder im Einsatz.

Silvester steht schon vor der Tür, die Aufarbeitung ist noch in vollem Gange

Heute, knapp ein Jahr nach „der“ Nacht, ist die Aufarbeitung der Ereignisse noch nicht abgeschlossen. Insgesamt waren nach der Silvesternacht 32 Verfahren eingeleitet worden. 23 richteten sich gegen konkrete Tatverdächtige, drei davon wurden inzwischen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Fünf der neun Verfahren gegen Unbekannt wurden inzwischen eingestellt, da kein/-e Tatverdächtige/-r ermittelt werden konnte.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 86, Ausgabe Dezember 2020. Foto: Screen LZ

Erst Anfang Dezember fand der dritte Verhandlungstag am Leipziger Amtsgericht statt gegen einen jungen Mann, der beschuldigt wird, einen Polizisten in der Silvesternacht tätlich angegriffen zu haben. Dagegen steht die Aussage, dass alles vielmehr gegenteilig verlief – dass ebenjener Angeklagte Opfer von Polizeigewalt wurde und nach einer körperlichen Attacke mehrere Minuten bewusstlos auf der Straße gelegen haben soll. Ein Urteil wird voraussichtlich erst im nächsten Jahr gefällt werden.

Mehrere Augenzeugen hatten nach den Vorfällen von Angriffen der Polizei auf Feiernde berichtet. Einige Personen beobachteten, wie auch aus den Reihen der Beamten scheinbar willkürlich auf Passanten eingewirkt worden war. Verletzte gab es auf beiden Seiten. Vier Personen kamen noch in der Nacht in Untersuchungshaft, das erste Urteil gegen einen jungen Mann, der einem rennenden Polizisten ein Bein gestellt hatte, wurde bereits wenige Tage nach Silvester verhängt. Er wurde wegen Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Im Falle des Beamten, der in der Nacht am Ohr operiert werden musste, richteten sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt wegen versuchten Mordes. Zunächst hatte der Tatbestand versuchter Totschlag geheißen, war dann aber hochgestuft worden. Der Tod des Beamten sei billigend in Kauf genommen worden, hieß es im Januar von der Staatsanwaltschaft Leipzig. Die Ermittlungen gegen den unbekannten Täter laufen nach wie vor, wie die Staatsanwaltschaft Leipzig auf Anfrage mitteilte.

Alles wie immer am Kreuz?

Die Polizei bereitet sich auch in diesem Jahr auf den Einsatz am Connewitzer Kreuz vor. Viele Augen werden die Geschehnisse beobachten, das weiß man auch in der Dimitroffstraße: „Der Polizeidirektion Leipzig ist nach den Geschehnissen des letzten Silvesters bewusst, dass auf dem bevorstehenden Jahreswechsel in Connewitz ein besonderer medialer Fokus liegen wird. Gleichwohl beziehen die laufenden Einsatzvorbereitungen alle Erfahrungen der letzten Jahre mit ein und berücksichtigen insbesondere die aktuell herrschende Pandemie“, erklärt Pressesprecher Olaf Hoppe auf Anfrage.

Grundsätzliches Ziel des Einsatzes sei es, „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und Straftaten zu verhindern sowie die Sächsische Corona-Schutzverordnung durchzusetzen.“

Denn die gibt es ja auch noch. Oft wurde in den letzten Wochen nachreguliert, am 11. Dezember beschloss das sächsische Kabinett schließlich die neue Schutzverordnung, die vorerst bis zum 10. Januar gilt. Bisher hält die Landesregierung zwar auch unter den harten Lockdown-Bedingungen an Ausnahmeregelungen für die Weihnachtstage fest, für den Jahreswechsel standen aber zunächst nächtliche Ausgangsbeschränkungen im Raum.

Diese kippte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am 10. Dezember, einen Tag vor dem Beschluss der neuen Corona-Maßnahmen im Landtag. Fast schon makaber: Wieder zwei Tage zuvor brachte Kretschmer den Beamten der Polizeiwache in der Wiedebachstraße in Leipzig-Connewitz persönlich einen Herrnhuter Stern vorbei und wünschte den Einsatzkräften ein ruhiges Silvester.

Dem Leipziger Ordnungsamt liegen bisher (Stand: 08.12.2020) keine Anmeldungen für Veranstaltungen vor. In Abstimmung mit der Polizei bereite die Stadt aber wie in jedem Jahr die Silvesterereignisse vor. Dabei würden nach Angaben des Amtes die aktuelle Lageeinschätzung, aber auch die Ereignisse des letzten Jahres berücksichtigt. Eine Prognose zum zu erwartenden Geschehen könne man allerdings nicht treffen.

Am Connewitzer Kreuz versammelte man sich bisher stets spontan, auch wenn es inzwischen seit Jahren nächtliches Ziel vieler an Silvester ist. Einzig Mitglieder von Die PARTEI hatten in den letzten fünf Jahren ihre Kundgebung angemeldet: „Bier statt Böller“, so lautete das alljährliche Motto von Thomas Kumbernuß, PARTEI-Mitglied und Leipziger Stadtrat in der Linke-Fraktion. Auf der Verkehrsinsel am Kreuz verteilte der Connewitzer auch im letzten Jahr selbst gebackenen veganen Kuchen.

Thomas Kumbernuss: „Bier statt Böller“. © Michael Freitag
Thomas Kumbernuss: „Bier statt Böller“. Foto: Michael Freitag

Darauf allerdings wird Die PARTEI in 2020 verzichten. „Wir planen in diesem Jahr keine Aktion“, so Kumbernuß. „Die Menschen treffen sich zu Weihnachten, kommen kurz darauf wieder in die Stadt und treffen sich am Kreuz wieder – es wäre schlichtweg verantwortungslos, eine Kundgebung oder ähnliches zu veranstalten.“ Er werde in der Nacht trotzdem vor Ort sein. „Ich wünsche mir, dass es friedlich bleibt, doch überzeugt davon bin ich nicht.“

Was passieren wird, kann wohl niemand konkret einschätzen. Schien es angesichts der letztjährigen Ereignisse und deren Aufarbeitung ohnehin schwer vorauszusagen, was in diesem Jahr am Kreuz passieren oder nicht passieren könnte, ist unter Corona erst recht keine Einschätzung möglich. Ob und auf welche Art in diesem Jahr am Kreuz gefeiert wird, weiß man wohl erst in den Stunden, wenn es am 31. Dezember auf Mitternacht zugeht. Zumindest die Polizei, das Ordnungsamt und sicherlich einige Medien werden vor Ort sein.

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