Unwetter, Unglück, unschön – mit der Vorsilbe „un“ lässt sich kein Blumentopf gewinnen. Und ein Blumentopf mit Unkraut wäre mindestens ungewöhnlich und für viele ein Unding. Zwar begehe ich den 28. März nicht feierlich, aber ich weiß, dass es der Tag des Unkrauts ist. Und ich mag die Einteilung in Nutzpflanzen und Unkraut nicht. Zeit für eine Spurensuche.

Tief in der Senke liegt die Kleingartenanlage Johannistal. Das Skelett des früheren Technischen Rathauses ragt dahinter auf. Aber mir steigt nur Geruch frisch bewegter Erde in die Nase. Dieses grüne Kleinod geht stramm auf seinen 200. Geburtstag zu. Typisch dreieckige Gartentüren von 1832 fallen mir ins Auge. Vögel zwitschern und verdrängen jedes Stadtgeräusch. Am Hauptweg gedeihen ungestört Krokusse. Das Weiß der Schneeglöckchengruppen sticht hervor.In Kleingartenanlagen gelten Natur- und Baumschutzgesetz, erklärt mir Robby Müller. Naturnahe Kleingärten sind gewünscht, so der Vorsitzende des Kleingartenverein-Stadtverbandes. Naturbelassen dürfen sie wegen des Bundeskleingartengesetzes nicht sein. „Permakultur ist daher schwierig, aber Hauptsache einigermaßen ordentlich.“

Dann ärgert er sich über lärmende Laubsauger und Bi 58 – das Schädlingsbekämpfungsmittel aus dem VEB Chemiekombinat Bitterfeld ist immer noch käuflich zu haben. Obwohl der Wirkstoff Dimethoat auch in Polen seine Zulassung verloren hat. So sollten keine Insekten bekämpft werden. Denn Bi 58 wirkt systemisch – es bleibt nicht auf der Oberfläche von zum Beispiel Äpfeln, es durchdringt die Pflanze. „Auch bei Salz und Taumitteln werde ich böse“, schimpft Müller. Belasten die Umwelt, das Grundwasser und sind in Leipzig verboten.

Ich lenke meine Schritte in den Friedenspark. Am Eingangstor und an den Seitenmauern ist zu erkennen, dass es bis 1973 ein Friedhof war. Logisch, neben einer großen Klinik liegt meist ein großer Friedhof. Gleich vorn, auf der linken Seite sind Blühstreifen angelegt. Noch blüht und summt hier wenig. Aber das Amt für Stadtgrün und Gewässer will 100 Hektar Blühangebote schaffen und damit die biologische Vielfalt stärken.

Wildkräuter gelten als „wichtiger Bestandteil im biologischen Gefüge einer gesunden Stadtnatur“. Je vielfältiger die Blüher und je länger deren Blühzeit, desto länger finden Bienen, Schmetterlinge und Hummeln Nahrung. Einjährige bodenbedeckende Wildkräuter werden nur in großen Intervallen entfernt, andere bei Bedarf per Hand, ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Die neue Leipziger Zeitung (LZ) Nr. 89, VÖ 26.03.2021
Die neue Leipziger Zeitung (LZ) Nr. 89, VÖ 26.03.2021

Viele Hausmeister greifen zu Gasbrenner oder Motorsense, um zartes Grün in Beton- oder Steinritzen zu entfernen. In Gedanken versunken laufe ich und frage mich, ob das die Sehnsucht nach Akkuratesse ist? Oder der biblische Wahn, sich die Erde untertan zu machen? In der Philosophie wird dies auch als menschliche Entwicklung von der 1. zur 2. Kultur beschrieben – aus der wilden ungezähmten Natur zur zivilisierten Kultur.

Aber wir können Nahrungsmittel nicht im 3D-Drucker kreieren. Wir bleiben ein Teil der Natur und sind auf sie angewiesen, auf das Bestäuben der Bienen. Auf sauberes Grundwasser ohne Nitrat, Pflanzenschutzmittel oder Ackergifte. Ein Graus sind mir Steingärten – laut Leipziger Vorgartensatzung ohnehin verboten –, weil hier Pflanzen nicht nur verbannt, sondern jeder Sprießling mit Gift bekämpft wird.

Bei den LWB herrscht eine andere Meinung: „Unkräuter gehören zur Natur und sind wichtig. Es gibt Wildpflanzen oder Unkräuter, die wunderschön blühen und essbar sind. Zudem geben sie vielen Insekten Nahrung“, gibt Pressesprecherin Samira Sachse zu bedenken. „Unkräuter wachsen nur manchmal und je nach Sichtweise zur falschen Zeit am falschen Platz.“ Stichwort Verkehrssicherheit auf Gehwegen. Dann wird mechanisch gejätet – auf Wiesen jedoch nicht.

Gut so. Die Ökolöwen im Stadtgarten Connewitz sprechen konsequent von Beikräutern mit einem hohen ökologischen Mehrwert – Nahrung für Insekten, Futter für Schmetterlingsraupen, Pollen und Nektar für Bestäuber. Erst wenn sie ein angelegtes Beet dominieren, wird sanft reguliert. Auch Disteln und Brennnesseln dürfen in exklusiven Bereichen wachsen.

Kritisch wird es bei invasiven Neophyten, heißt es aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, also fremdländische eingewanderte Pflanzen, da sie oft konkurrenzstark sind und heimische Pflanzen verdrängen können. Stimmt. Aber ich freue mich, dass in Leipzig ökologisches Verständnis gedeiht, nicht nur nackte Verwertungslogik.

„Ein Mix aus Ordnung und Wildheit wäre schön“, sagt Christian Mehlgarten. Er bedauert die typische Kleingartenmentalität. In seiner Bioland-Gärtnerei kurz vor der Dölitzer Wassermühle ist das Stehenlassen von Beikräutern zeitaufwendig und unwirtschaftlich. Sie werden gehackt. „Aber wenn ich in den Beeten wild ausgesamte Minze, Melisse, Violen, Iris oder Kornrade finde, dann pflanze ich sie um.“ Auf den Wiesen an der Mühlpleiße kann alles wachsen und aussamen – zur Freude der Hühner.

Auch Imkerin Anne Kathrin Mohr wünscht sich mehr „unordentliche“ Kleingärten. Denn „der Wert eines Gartens für ein Ökosystem ist nicht gleichzusetzen mit dem Ordnungssinn des Menschen“. Das beste Wildbienenhotel ist ein toter Ast im Baum. Und gefüllte Prachtblüten sind ohne jeglichen Wert für Bestäuberinsekten – im Gegensatz zu Schafgarbe und Distel. Auf ihrem Connewitzer Honig steht: „Kann Spuren aus Marienbrunn, Lößnig, Südvorstadt, Reudnitz, Stötteritz enthalten.“

Ich bin zufrieden, weil ich viele Gründe gefunden habe, weshalb Unkraut keinesfalls unnütz ist. Mein Heimweg führt durch den Auwald, um etwas jungen Bärlauch zu pflücken. Mal sehen, ob ich ihn als Salat, Pesto oder Gemüse esse.

„Die Philosophie des Unkrauts: Warum die ungeliebten Pflanzen nicht unnütz sind“ erschien erstmals am 26. März 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

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