Ohne nennenswerten Gegenprotest hat am Samstag, dem 29. Mai, die „Bewegung Leipzig“ auf dem Simsonplatz demonstriert. Etwa 60 Personen versammelten sich vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die „Querdenken“-nahe Partei „Die Basis“ war mit einem eigenen Stand vertreten. In den Redebeiträgen auf der kleinen Bühne ging es unter anderem um Kapitalismuskritik, das Geldsystem, den Nationalsozialismus und die Situation im sächsischen Zwönitz. Im Anschluss nahm die Polizei Ermittlungen wegen des Verdachtes der Volksverhetzung gegen einen der Redner auf.

Im einführenden Redebeitrag des Leipziger Versammlungsanmelders ging es zumindest in einer kurzen Andeutung um Wachstumskritik, allerdings auf schiefer Ebene. Die Corona-Pandemie wurde darin als „Plandemie“ bezeichnet, was wohl suggerieren sollte, dass das Coronavirus eine geplante Maßnahme als Teil einer weltweiten Verschwörung sein soll.Das Ziel der Verschwörung verschwieg der Vortragende allerdings heute – es könnte sich um den in Verschwörungskreisen beliebten „Great Reset“ handeln. Dabei geistert die Angst durchs Netz der „Querdenker“, die Regierungen und Eliten der Welt könnten sich mit finsteren Mitteln eine neue Bevölkerung basteln wollen.

Wie bei vielen Demonstrationen der „Bewegung Leipzig / Querdenken 341“ üblich, ging es auch weiterhin nur am Rande um Corona. Dem heutigen Anmelder der Versammlung von etwa 60 Menschen ging es um mehr direkte Demokratie und Volksentscheide, wobei er das Märchen in die Welt setzte, nur in Bayern seien Volksentscheide möglich.

Der neue Versammlungsanmelder der „Bewegung Leipzig“ für mehr direkte Demokratie, wo es sie schon gibt. Foto: LZ
Der neue Versammlungsanmelder der „Bewegung Leipzig“ für mehr direkte Demokratie, wo es sie schon gibt. Foto: LZ

Hier sehe er also „Prüfungsbedarf“, ob denn das Grundgesetz wirklich gelte und alle Macht vom Volke ausgehe.

Der Makel, den er dabei gefunden glaubte, existiert zwar schon mit Blick auf normale Wahlen nicht, doch auch die explizite Behauptung ist falsch. In allen deutschen Bundesländern sind sogenannte Volksbegehren oder Volksentscheide auf Landesebene und Bürgerentscheide in den Kommunen vorgesehen.

Seit Jahren drehen sich dabei die Debatten – offenbar unbemerkt vom „Querdenker“ auf dem Simsonplatz – eher um die Frage, vor allem auf Landesebene geringere Unterschriftenmengen in der dreistufigen, direkten „Volksgesetzgebung“ vorzusehen.

In Sachsen gelten beispielsweise rund 40.000 Unterzeichnerinnen bei 4 Millionen Einwohnerinnen als nötig, um einen sogenannten „Volksantrag“ zu einer Landessache auf das Niveau einer Gesetzesinitiative zu heben. Und so die Landesregierung zu zwingen, einen Gesetzesvorschlag ins Parlament einzubringen, der dem Sinn des Antrages entspricht.

Zuletzt scheiterte PEGIDA bereits an dieser Hürde mangels ausreichender Unterschriften mit der Idee, dass Sachsen aus dem Rundfunkstaatsvertrag für den MDR aussteigt.

Wird hingegen ein erfolgreicher „Volksantrag“ vom Parlament abgelehnt, sind in der zweiten Stufe 450.000 Unterschriften nötig, um einen „Volksentscheid“ herbeizuführen. Wird dieses fast utopische Ziel erreicht, muss die Hälfte aller sächsischen Wähler dann dem Vorhaben im „Volksentscheid“ zustimmen, damit der Vorschlag Gesetzeskraft erlangt.

Der Simsonplatz um 15:30 Uhr mit der um 15 Uhr gestarteten Versammlung. Foto: LZ
Der Simsonplatz um 15:30 Uhr mit der um 15 Uhr gestarteten Versammlung. Foto: LZ

Dass derselbe Redner vor diesen falschen Ausführungen bereits die Anwesenden bat, bei der Rundfunkgebühr nur manuelle Überweisungen vorzunehmen und dabei die Beiträge zu variieren, um „das System infrage zu stellen“, da ja die Nachverfolgung durch die Rundfunkgebührenzentrale Geld koste, zeugte von der gleichen inhaltlichen Qualität, wie die beim Thema Volksentscheid.

Für gewöhnlich zahlt die Zusatzkosten stets der säumige Zahler und Überzahlungen werden quartalsweise einfach verrechnet. Einen bewusst säumigen Zahler in Berlin hob er dann noch in den Status eines Märtyrers und Freiheitskämpfers, da dieser nunmehr angeblich wegen nicht gezahlter Rundfunkgebühren in Haft sei und sich, so der Redner, sicher über Post von den anwesenden Zuhörerinnen freuen würde.

Seine Schulden zu zahlen, um ihm die weitere Haft zu ersparen, stand als Vorschlag nicht zur Debatte.

Eugenikvergleiche zwischen NS-Zeit und heute

Alex zur Eugenik im Vergleich zwischen gestern und heute. Praktisch alles gleich zwischen NS-Zeit und heute. Foto: LZ
Alex zur Eugenik im Vergleich zwischen gestern und heute. Praktisch alles gleich zwischen NS-Zeit und heute. Foto: LZ

Ein Redner namens „Alex“ von der rings um „Querdenken“ entstandenen Organisation „Freie Linke“ setzte anschließend heutige Impfkritiker/-innen auf eine Stufe mit Kritiker/-innen an der NS-Eugenik (Wiki). Diese Eugenik gäbe es „heute mehr denn je“, gesteuert von „Eliten im Hintergrund“.

In seiner als fortlaufende Gleichsetzung des NS-Regimes mit der heutigen Situation zu verstehenden Rede verstieg er sich zu dem Satz: „Der Nationalsozialismus war eine gesundheitspolitische Großveranstaltung und sonst nichts“.

Was die anwesende Polizei – durch einen Twitterbeitrag dazu animiert – anschließend Zettel und Stifte zücken ließ, um von den Umstehenden Zeugenaussagen einzuholen. Im Kontext der Rede ermittelt die Polizei nunmehr wegen des Verdachtes der Volksverhetzung gegen den Mann.

„Während des Versammlungsverlaufes wurde bekannt, dass ein Redner möglicherweise volksverhetzende Inhalte in seinem Beitrag öffentlich kundgab. Aus diesem Grund wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und vor Ort die notwendigen strafprozessualen Maßnahmen getroffen“, so die Leipziger Polizei in einer Pressemitteilung zur Versammlung.

Neben Identitätsfeststellungen seien Beweismittel gesichert worden, wobei es sich nur um das wörtlich vorgetragene Manuskript des jungen Mannes handeln kann. Zeugen, die etwas zu dem Gehörten aussagen wollen, können sich bei der Kriminalpolizeiinspektion, Dimitroffstraße 1 in 04107 Leipzig unter der Telefonnummer (0341) 966 4 6666 melden.

Bürger/-innen statt Parteien

Direkt in den Bundestag. Foto: LZ
Direkt in den Bundestag. Foto: LZ

Thematisch passend zu den wirren Vorschlägen des Versammlungsleiters rings um mehr Volksdemokratie zum Beginn, kündigte eine weitere Rednerin an, in Leipzig als Direktkandidatin für den Bundestag antreten zu wollen. Sie warb dafür, dass mehr „einfache Bürger“ diese Möglichkeit nutzen, damit nicht mehr nur Parteimitglieder im Parlament säßen. Im Gegensatz zu diesen könnten die direkt gewählten Nicht-Parteimitglieder angeblich gewährleisten, dass das Volk „absolutes Mitspracherecht“ hätte.

Kein neuer Gedanke an sich und bereits in Form freier Wählerlisten praktiziert. Am 26. September 2021 wird sich also wie gewohnt erneut zeigen, wie weit Kandidatinnen ohne Parteienunterstützung bei den direkten Mandaten kommen.

In eine ähnliche Richtung orientierte sich Nils Wehner von der „Bewegung Leipzig“. Vor allem seien ein wichtiges Thema „die Kinder“, so der ehemalige Versammlungsanmelder des 7. November 2020 in seinem ungewohnt fahrigen Vortrag. Er plane nun zusammen „mit einem Projekt aus Hamburg“, eine eigene Schule zu eröffnen, in der Kinder mit oder ohne Maske lernen könnten.

Nils Wehner - den leipizgern noch im Gedächtnis als Anmelder der Versammlung am 7. November 2020 mit erzwungenem Ringrundgang. Foto: LZ
Nils Wehner – den Leipizgern noch im Gedächtnis als Anmelder der Versammlung am 7. November 2020 mit erzwungenem Ringrundgang. Foto: LZ

Er kündigte zudem an, nicht mehr auf große Demonstrationen (deren Zeit bei „Querdenken“ offenbar eh vorbei sind) setzen zu wollen, sondern auf sogenannte Gemeindeversammlungen. Diese sind im Grundgesetz verankert und können einen gewählten Gemeinderat ersetzen.

In Zwönitz soll eine solche von Bürger/-innen gebildete Versammlung angeblich laut Wehner schon 2015 entstanden sein.

Zuletzt waren in dem Erzgebirgsstädtchen regelmäßig zwischen 100 und 250 Menschen bei rund 11.000 Einwohnerinnen zu einem sogenannten Montagsspaziergang unterwegs gewesen und dabei mehrfach gewaltsam mit der Polizei aneinandergeraten.

Das eigentliche Problem der Idee der quasi parallelen Vertretungen: In Sachsen ist das gar nicht erlaubt. Wie alle Grundgesetze werden auch diese Grundregelungen durch weitere Gesetze der jeweiligen Bundesländer oder des Bundes konkretisiert.

Fraglich also, wie eine aus einer Minderheitengruppe entstehende „Gemeindeversammlung“ wirksam sein soll – auch und gerade angesichts regelmäßig gewählter Gemeinderäte und Bürgermeister.

Die Polizei greift durch

Im Anschluss an die Rede von Nils begannen Polizist/-innen damit, umfangreiche Maßnahmen bei ihm und anderen Redner/-innen durchzuführen. Zu den Gründen wollte sich vor Ort niemand äußern. Da sich die Polizei auch für das Videomaterial von Filmenden interessierte und teilweise selbst filmte, schien es naheliegend, dass es sich wohl um eine mögliche Straftat in einer Rede handelte.

Die Polizei wurde gegen Ende aktiv. Foto: LZ
Die Polizei wurde gegen Ende aktiv. Foto: LZ

Nach LZ-Rückfrage bei der Pressestelle war dann klar, dass sich die Beamten wie eingangs bereits geschildert, noch einmal intensiver mit der Rede von „Alex“ befassen wollen.

Bereits vor Beginn der Kundgebung hatte die Polizei die Masken-Atteste der Teilnehmenden kontrolliert. In mindestens einem Fall entsprach ein solches Attest nicht den Ansprüchen der Polizei. Die betroffene Person konnte an der Kundgebung nicht teilnehmen. Als die Polizei feststellte, dass es auf der Kundgebung mehr maskenlose Personen als zuvor gezählte Atteste gab, kontrollierte sie vereinzelt die Teilnehmer/-innen.

Abgesehen von wenigen Personen vor dem Landgericht, die gelegentlich ihren Unmut äußerten, gab es diesmal keinen Gegenprotest. Stattdessen füllte sich das Straßenfest in der Connewitzer Heinze-Straße. Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ hatte seine Abwesenheit bereits im Vorfeld damit begründet, der „Bewegung Leipzig“ keine Bühne schenken zu wollen.

Angesichts der wenigen Teilnehmerinnen und das nahezu bei null liegende Medieninteresse keine ganz falsche Überlegung.

Die genannten Redebeiträge (Ausschnitte) am 29. Mai 2021

Video: LZ

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Es gibt 2 Kommentare

@Nuhn: Kurz gesagt, wir versuchen das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Aber richtig: allmählich bewegt sich die Gruppierung unter der sogenannten Relevanzschwelle. Nur haben wir im laufe der Jahre gewisse Kontinuitäten (Montagsmahnwachen, Legida, Querdenken, Bürgerbewegung Leipzig 2021) festgestellt … Anders gesagt: das ist im Hintergrund und den Wirkungen nie vorbei und gehört vielleicht auch zu einer vielgestaltigen Gesellschaft dazu.

Es ist so schade, daß der eigentlich positive Begriff Querdenker beschmutzt wurde von Leuten, die diesen Begriff nicht verdienen, da sie gar nicht denken sondern blind alles glauben, was ihre Führer absondern.
Ihre Hirne sind so vertrocknet, daß nicht mal der Great Reset helfen würde, was man an ihrem seeligen Lächeln sieht.
Verlorene Seelen, die im Dunkeln tappen und verzweifelt auf der Suche nach jemanden sind, der ihnen die Welt erklärt und ihnen bestätigt, dass sie die wahren Wissenden sind.
Sagt mal,liebe L-IZ, wie lange wollt ihr eigentlich eure Zeit noch mit diesen Nicht-Demonstrationen verschwenden? Es gibt in Leipzig und Sachsen viel wichtigere Themen. So ist zB. Herr Wöller immer noch im Amt und der MP hat Verständnis für “besorgte Bürger”.

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