3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit und wir auf der Strecke irgendwo zwischen Leipzig und Halle/Saale. Hier, kurz hinter der sächsischen Landesgrenze, treffen sich in diesem Jahr die, welche etwas zu feiern haben und die, welche dagegen protestieren wollen. Und dann noch jene, die gegen den Protest protestieren. Von Einheit wohl keine Spur, wenn heute die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele mehr die Stadt an der Saale besuchen. Die Hallenser jedenfalls freuen sich überwiegend auf den Tag, wenn man dem MDR glauben mag.

3.000 Polizeibeamte aus mehreren Bundesländern sind laut MDR schon seit einigen Stunden in der Stadt, die Feierlichkeiten am Vortag aus Landesministertreffen und gesperrter Leopoldina waren zu bewachen. Heute werden die Einsatzkräfte etwas belebtere Szenen erleben, denn Halles bekanntester Nazi-Sohn nach dem Kopf der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“, Reinhard Heydrich, Sven Liebich hat zum Protest der seinen aufgerufen.Neben ihm riefen diverse weitere Organisationen aus dem „Querdenker“- bis nationalsozialistischem Milieu via Telegram dazu auf, an diesem symbolischen Tag so laut wie es irgend geht heute in Halle Richtung Politiker und Menschen zu pöbeln. Und sich und andere dabei selbst zu filmen, für die Propaganda danach. Bereits gestern wurde bekannt, dass der braune Auflauf heute ohne den Transporter des Politclowns Liebich ab dem Steintor stattfinden wird, der brannte nach einer Brandstiftung aus.

Während man bei ihm also weiß, wo er steht und später zu einem Umzug starten möchte, wollen sich die „Corona-Maßnahmen-Gegner“ nach der in Berlin geübten Taktik überall treffen und via Telegram koordiniert an mehreren Punkten zusammenlaufen.

Da Halle/S. nicht sehr groß ist, wird es sicher ein Heidenspaß, ihr angeblich klandestines Vorgehen mitzuverfolgen, zu leicht erkennt man „Querdenker“ dann doch am wütenden Gebaren.

Die LZ ist heute mit dabei, wenn sich wohl ebenso viele oder mehr rings um die Initiative „Halle gegen rechts“ diesem rechtsextremen Treiben in den Weg stellen, ohne dafür gleich jene Politik anzuhimmeln, die am vergangenen Sonntag eigentlich abgewählt wurde. Zahlreiche linke Aufrufe, ab 10:30 Uhr nach Halle auf den August-Bebel-Platz zu kommen, bilden vor dem Start der Demonstrationen sozusagen das Gegengewicht zum rechten Aufmarsch. (hier gehts zum Aufruf der Initiative zum heutigen 3. Oktober)

In der Ankündigung heißt es in Kurzinformation: „Auftakt 10:30 Uhr August-Bebel-Platz, Beginn Demonstration 11 Uhr. Weitere Kundgebungspunkte werden am Tag selbst über social media bekannt gegeben, Aktionshashtag ist #HAL0310“.

Ob wir Frau Merkel oder andere Politprominenz vor die Kamera bekommen, ist ungewiss und eher unwahrscheinlich jenseits eines Schnappschusses auf Briefmarkengröße ob der Ferne. Dafür werden wir sicherlich viele demonstrierende Menschen finden.

Und da ist sie auch schon, die Überlegung vorab, die uns am heutigen Tag begleiten wird: Was eigentlich ist in den letzten 31 Jahren, seit am 2. Oktober 1990 mit einem Festakt das Ende der DDR und ihrer letzten Regierung besiegelt wurde, passiert, dass so mancher noch fremdelt mit dieser Einheit?

Sicher wird es keine eine, alles erklärende Antwort darauf geben, aber vielleicht dämmern uns ja zwischen den Bildern, Videos und Eindrücken, warum die einen feiern und die anderen so gar keine Freude über den Tag empfinden, der die Brüder und Schwestern in Ost und West wieder unter ein Parlament und Staat brachte.

Hier melden wir uns also sporadisch und abhängig vom mobilen Netz im schlecht digitalisierten Einheitsland vom Geschehen, geben Impressionen wieder und hoffen auf einen friedlichen und lehrreichen Tag für alle in Halle.

Die Video-Impressionen vom 3. Oktober 2021 in Halle

Das Video zeigt die Demonstrationen am 3. Oktober 2021 in Halle/Saale, den Gegenprotest, Sven Liebichs Demozug bis zum Reileck und Sequenzen vom Hallmarkt und der dortigen Ausstellung zum Tag der Deutschen Einheit zu sehen. Video: LZ

14:30 Uhr: Liebich läuft unter Protest

Vielleicht 100 Menschen sind dem Aufruf des rechten Aktivisten Sven Liebich in Halle am Tag der Deutschen Einheit gefolgt und absolvieren gerade eine Alternativroute durch Halle. Am Dönergeschäft, an welchem der Attentäter von Halle vor 2 Jahren zwei Menschen erschoss, wollte Liebich vorbeiziehen, diese Strecke wurde jedoch vom Gegenprotest blockiert.

Aktuell beendete der Neonazi seine Zwischenkundgebung am Reileck.

21 Uhr: Fazit des Tages in Halle/Saale

Viel zu lernen war am heutigen Tag leider nicht. Die etwa 100 Personen umfassende Versammlung von Sven Liebich wurde, begleitet von großem Gegenprotest, nicht am Ort zweier Morde von vor zwei Jahren – dem Dönerladen – vorbeigeführt, sondern musste eine Alternativroute nehmen.

Dieser, der Laden, wird nach LZ-Informationen nun wieder ausgebaut und soll unter dem damaligen und heutigen Besitzer noch im Oktober 2021 als Frühstückscafé wieder eröffnet werden.

Die offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit fanden abgeschirmt und weitab von den Menschen auf dem Halleschen Markt statt. Dort freuten sich die Budenbetreiber der Gastronomien aus allen Bundesländern über regen Andrang und teils ausverkaufte Waren.

Hier wiederum war von Feierlichkeit und den Demos nichts zu bemerken, dafür gab es Bratwurst ohne Brötchen, keine Fischbrötchen mehr und dennoch für alle genug zu essen.

Leider bleibt abschließend zu konstatieren, dass sich die eingesetzte Polizei am heutigen Tag wenig um das kümmerte, was 1989 auch mit erstritten, von den Menschen 1990 begrüßt und zunehmend öfter gegen Rechtsextremisten verteidigt werden muss: die Pressefreiheit.

So konnte eine Gruppe hinter Liebichs Zug herlaufen, welche ohne Eingreifen der Polizei teils den Gegenprotest, teils die Presse bedrohen konnte. Manche von ihnen schienen nur deshalb in Halle/Saale gewesen zu sein.

Foto-Impressionen vom 3. Oktober 2021 in Halle/S.

Rings um die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit

 

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar