Große Teile der von uns als selbstverständlich angesehenen Internet-Infrastruktur, zu der die Internet-Plattformen gehören, sind in den Händen von US-amerikanischen und zunehmend auch chinesischen Unternehmen. Im ersten Teil des Gespräches haben wir über einige Auswirkungen dieser Besitzverhältnisse gesprochen. Im zweiten Teil geht es um die Frage, ob eine europäische Plattform nötig ist und wie diese gestaltet sein sollte. Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die nach den Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz (KI).
Wir können ja nicht mehr scharf trennen zwischen Social Media-Plattformen, Handelsplattformen, Bezahlplattformen und so weiter. Ich denke jetzt an den neuesten Player TikTok, der jetzt mit TikTok Shops den Online-Handel „revolutionieren“ will. Das bedeutet, wir haben immer mehr diese Verknüpfung von Information, Unterhaltung, Kommunikation und Bezahlung, das alles alles auf einer Plattform.
Facebook Marketplace ist auch eine große Handelsplattform.
Ich habe TikTok gewählt, weil es neu ist. Man kann fast sagen, dass die Plattformen immer mehr die Macht übernehmen und immer größere Teile unserer Gesellschaft beeinflussen. Ich habe in Straßburg mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments gefragt, ob wir eine europäische Social Media Plattform brauchen. Martin Schirdewan von den Linken und Axel Voss von der CDU haben das eindeutig bejaht. Tiemo Wölken von der SPD hat das vorsichtig bejaht. Wir haben mit Mastodon, einem Teil des Fediverse, schon eine freie Alternative. Mit Bluesky haben wir quasi das gute alte Twitter mehr oder weniger wieder. Reicht das?
Nein, auf keiner Ebene. Ich bin ein Fan des Fediverse und der Idee des Fediverse. Ich sehe aber momentan, dass es in seiner aktuellen Ausgestaltung, technisch als auch sozial, als auch vom Interface-Design her, nicht fit für den Job ist, Social Media zu übernehmen. Da gibt es noch eine ganze Menge Luft nach oben, bevor Mastodon oder das Fediverse eine Rolle spielen.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber da müsste richtig viel Geld reingesteckt werden. Wenn sich zum Beispiel die EU überlegen würde: Wir machen jetzt eine Großtransition der europäischen Social-Network-Landschaft auf Mastodon und stecken da richtig viel Geld rein. Wir bezahlen die Audits, wir bezahlen das Recoding, wir bezahlen das Design, wir bezahlen die Server und geben allen Leuten, die auf dem Fediverse ein Geschäftsmodell machen wollen, eine Startfinanzierung und machen einen Markt darum und so weiter. Man müsste dafür richtig Ressourcen in die Hand nehmen. Das ist halt der Punkt.
Die EU oder die Politik in Deutschland denken immer: Es wäre doch total toll, wenn wir ein paralleles Angebot zu den US-Plattformen hätten. Aber dann nehmen sie kein Geld in die Hand und wenn doch, geben sie es Siemens, Telekom oder SAP und hoffen auf ein europäisches Google.
Da muss beim politischen Nachdenken über diese Themen noch eine ganze Menge passieren. Ein Axel Voss glänzt mit Lippenbekenntnissen, aber gibt das Geld wieder den bereits mächtigen Oligarchen.
Wir müssen erstmal aus dieser ganzen neoliberalen Denke heraus und das mehr von der Infrastruktur her denken. Ich plädiere für einen „Public Stack“, also einen öffentlichen Technologiestapel von nützlichen Technologien, die in einer öffentlichen Cloud über öffentliche Schnittstellen angeboten werden, eben öffentliche Infrastruktur im Digitalen. Wie eine Straße allen an der Straße Möglichkeiten gibt, gibt der Public Stack nicht nur Start-ups , sondern allen Bürger/-innen Services und Computerpower für umsonst.
Dieses Mindset, das gibt es vielleicht bei Tiemo Wölken, der wäre vielleicht offen für diese Idee, aber der ist in der SPD und die SPD ist bei dem Thema einfach lost. Deswegen habe ich bei dem Thema wenig Hoffnung, auch wenn sich alle einig sind, dass man irgendwas tun müsste, aber die Leute sind noch nicht so weit.
Wir sollten also nicht versuchen, einen europäischen Mark Zuckerberg aufzubauen, weil wir dann wieder das Geld einem Monopolisten in die Hand geben?
Ich befürchte, wir würden versuchen einen europäischen Mark Zuckerberg zu machen, was allein von der Grundidee schon das komplett Falsche ist. Ich will auch von keinem europäischen Mark Zuckerberg regiert werden. Und das wird natürlich scheitern, weil diese Großunternehmen keine kreativen Leute haben und keine kreativen Freiräume bieten. Die probieren nichts aus, haben keinen spielerischen Zugang zu Dingen, sondern widmen sich von Anfang an dem Geldverdienen. Natürlich kommt da nur Corporate Bullshit raus, den keiner will.
Ihrer Meinung nach müsste man die kreative Energie des Fediverse nutzen und finanziell unterstützen, um etwas aufzubauen.
Der Staat sollte sich wieder auf ursprüngliche Funktion besinnen und sich als Infrastrukturanbieter aufstellen. Das heißt, er sollte durchaus in Technologie machen, aber nicht in den neuesten Scheiß, da sollte er sich komplett raushalten. Er sollte einfach eine solide digitale Infrastruktur bereitstellen. Wir wissen doch wie man Datacenter baut und wie das effektiv funktioniert. Vielleicht kann man sich ein paar Ingenieure aus den USA holen, die wollen ja jetzt alle weg.
Das heißt mit anderen Worten, es wäre ein leichtes erstmal eine digitale Infrastruktur bereitzustellen, meinetwegen auf dem Stand von vor fünf Jahren das würde für vieles völlig ausreichen. Dann mit dieser Infrastruktur den Leuten, zum Beispiel jungen Start-ups die eine Idee haben, ein niedrigschwelliges Spielfeld geben auf dem sie bestimmte Kosten und Risiken gar nicht haben, weil sie eine öffentliche Cloud-Infrastruktur zur Verfügung haben mit der sie arbeiten können.
Mit der sie von null auf Eins ein ausprobierfähiges Produkt haben. Das wäre ein echtes De-Risking und eine substantielle Kostenreduktion. Meine Hoffnung wäre, dass dann damit etwas Spannendes passiert. Aber dieses Denken, das ist noch nicht so richtig angekommen.
Ein kurzer Blick noch auf die KI-Entwicklung. Abgesehen von Deepfakes, wie wird sich diese Entwicklung Ihrer Meinung nach auf die sozialen Medien auswirken?
Vielleicht fangen wir trotzdem an mit dem was gerade passiert, denn das ist, glaube ich, der Punkt von dem aus wir denken müssen. Was passiert ist, dass die sozialen Medien durch die KI versloppen. Sie werden überschwemmt mit einer riesengroßen Flut an billigem generativen KI-Content. Vor allem die Meta-Dienste, Facebook und so weiter, da sieht man das krass, aber auch bei X und anderen Netzwerken.
Auf Instagram nehmen generative KI-Videos überhand, weil diese einen immer größeren Teil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Was verkaufen diese Social Media Netzwerke eigentlich? Sie verkaufen Aufmerksamkeit an Werbekunden und deswegen wird entlang der Aufmerksamkeit das Geld verteilt, auch an die Influencer:innen.
Das heißt mit anderen Worten, dass jetzt mit diesem KI-Paradigma Geschäftsleute einen Weg gefunden haben, möglichst billig die Aufmerksamkeit und damit das Geld aus den sozialen Netzwerken rauszusaugen. Das ist eigentlich ein Hack. Bei 404 Media wurde das als Brute-Force-Angriff auf den Newsfeed-Algorithmus dargestellt. Das heißt mit anderen Worten, menschlich gestalteter Content wird mehr oder weniger aus dem Newsfeed heraus gedrängt. Die ersten Opfer davon sind natürlich Influencer:innen, die dadurch plötzlich weniger Leute erreichen. Und wenn das dann weitergeht, dann wird das Ganze natürlich auch irgendwann gefährlich für die Social Networks.
Diese Slop-Geschichten, ich weiß nicht, ob Sie das schon mal gesehen haben, die sind häufig ohne wirklichen Inhalt, aber sehr aufmerksamkeitsheischend. Da wird meistens mit Abbildern von irgendwelchen Promis gearbeitet, die dann angeblich irgendwas Krasses gemacht haben. Eine Art Bildzeitungs-Schlagzeilen-Generator, nur dass eben die Bilder gleich mit generiert werden. Slop arbeitet mit Schockeffekten, Horrorszenarien und generell einem hohen Maß an „Weirdness“
Das heißt mit anderen Worten, das ist kein Conten,t den man sich anschaut und danach eine Befriedigung hat, etwas Neues weiß oder verstanden hat. Sondern es ist ja einfach nur Reizreaktion, Reizreaktion, Reizreaktion, Reizreaktion.
Was macht das mit unseren Gehirnen die an diese zentralen Slop-Maschinen angeschlossen sind? Für mich ist es eine sehr dystopische Vorstellung, dass wir als Scroll-Zombies uns einen KI-generierten Content nach dem anderen anschauen. Ich glaube aber nicht, dass das nachhaltig ist. Ich denke dieser ganze generative KI-Kram hat so einen Reiz, weil er neu und „weird“ ist und deswegen sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Aber all die Arten, wie man damit Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, werden irgendwann durchgespielt sein. Die Leute werden abstumpfen und werden sich davon abwenden. Irgendwann wird ein Punkt kommen, das ist meine Hoffnung, an dem die Leute anfangen nach Alternativen zu suchen. An dem sie merken: Hey, menschliche Creators sind vielleicht nicht so spektakulär und krass wie KI-Slop, aber ich nehme da mehr mit. Ich kann das ernster nehmen, mehr davon in mein Leben integrieren, mich davon berühren lassen.
Also, zurück zu dem ursprünglichen Social Web, das ist vielleicht eine romantische Erzählung von einem Überlebenden der frühen Internetzeit, das will ich nicht ausschließen, aber das wäre meine Prognose.
Ich glaube, momentan ist diese ganze Slop-Maschinerie sowohl für die Geschäftsleute dahinter, als auch für die Plattformen ein extrem gutes Geschäft.
Aber erstere werden selbstverständlich von den Betreibern beobachtet und die haben ja ihre eigenen Modelle, also warum sollten sie andere Leute Geld verdienen lassen, das sie selbst einsacken können? Meine Prognose: Die Plattformen werden dieses Geschäftsmodell selbst integrieren. Das heißt also, die ganzen Leute, die jetzt Geld verdienen mit dem Produzieren von Slop sind morgen arbeitslos.
Das bedeutet, ich werde dann nicht mehr von irgendwelchen Content Creators unterhalten, informiert und beraten, sondern direkt von einer KI der Plattform?
Genau, das passiert ja schon. Mark Zuckerberg hatte da ja schon KI generierten Avatare mit eigenen Konten auf Facebook und Instagram im Angebot, aber das wurde so schlecht angenommen, dass es wieder eingestellt wurde. Man hatte versucht KI generierte Pseudo-Influencer, nach dem Vorbild von echten Influencern zu kreieren, die mit den Leuten reden und chatten.
Das war ein totaler Flop, aber die schauen sich natürlich an, was funktioniert und lernen. Wenn irgendwelche Leute im Internet damit Aufmerksamkeit her heischt, werden die Plattformen das auch schaffen.
Letzte Frage: Sie haben „Die Macht der Plattformen“ vor fünf Jahren geschrieben, vor vier Jahren ist das Buch erschienen. Ist das noch aktuell oder müsste man das heute anders schreiben?
Ich würde sagen, in der Analyse ist es immer noch gut und brauchbar. Es sind immer noch die gleichen Mechanismen nach denen diese Plattformen arbeiten und Macht akkumulieren. Ich würde es trotzdem heute ein komplett anderes schreiben. Seitdem ich es abgegeben habe, haben wir eine Art Revolution erlebt, in der diese Macht der Plattformen dezidiert eingesetzt wurde, um politische Macht zu erlangen. Davor hätte ich gern deutlicher gewarnt gehabt, aber mir selbst fehlte die Vorstellungskraft.
Herr Seemann, ich bedanke mich für das Gespräch.
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