Es ist kompliziert. Das Verhältnis zwischen Großstadt und Provinz, der Kampf gegen den Faschismus, die rivalisierenden linken Strömungen in Deutschland, der zerstörerische Konflikt im Nahen Osten, der Blick der deutschen Linken in Großstadt und Provinz auf Israel und Gaza. Es ist kompliziert. Könnte man meinen.

Für manche ist es aber überhaupt nicht kompliziert. Für manche gibt es nur eine legitime Haltung und wer diese nicht teilt – von Widerspruch ganz zu schweigen –, wird als Feind markiert. Aktuell lässt sich das auf dem Instagram-Account der „Antifa Salzwedel“ beobachten.

Diese hat für Samstag zu einer antifaschistischen Demonstration in der Kleinstadt im nördlichen Sachsen-Anhalt aufgerufen. Die Demo richtet sich sowohl gegen die Neonazis im Bundestag als auch gegen die Neonazis, die auf der Straße immer gewalttätiger und selbstbewusster gegen Linke, Queere und Migrant*innen vorgehen. Salzwedel ist ein Beispiel für rechte Gewalt: Dort wurde im Februar das autonome Zentrum angegriffen.

Parolen zum Nahostkonflikt unerwünscht

Am Donnerstag hat die „Antifa Salzwedel“ einen „Demokonsens“ veröffentlicht. Symbole von Parteien und Organisationen sind ebenso unerwünscht wie Nationalfahnen und Parolen, „die sich auf den Nahostkonflikt beziehen“.

Der Hintergrund ist klar: Seit dem 7. Oktober 2023 haben sich die Konflikte innerhalb der deutschen Linken drastisch zugespitzt. In Eisenach wurde im November 2023 sogar eine Antifa-Demo kurzfristig abgesagt. Die Organisator*innen hatten eine als antisemitisch bewertete Gruppe für unerwünscht erklärt; diese wollte trotzdem anreisen. In den sozialen Medien gab es hitzige Diskussionen und man befürchtete handfeste Auseinandersetzungen während der Demo.

Auch Leipzig, einst die angebliche Hochburg der Antideutschen – also jener Menschen von links und anderswo, die sich recht bedingungslos mit Israel solidarisieren –, wurde wiederholt zum Schauplatz solcher Konflikte, zuletzt im vergangenen Herbst.

Die Antifaschist*innen in Salzwedel wollen offenbar vermeiden, dass Demoteilnehmer*innen mehr mit sich selbst oder anderen Teilnehmenden beschäftigt sind als mit den eigentlichen Inhalten der Demonstration. Ob das gelingt, wird sich erst am Samstag zeigen. Schon jetzt zeigt sich allerdings auf der Instagram-Seite der „Antifa Salzwedel“, dass linke Demos solche Konflikte offenbar nicht vollständig vermeiden können.

Shitstorm gegen Demokonsens

Dort gibt es dutzende Kommentare, häufig von Leuten aus Großstädten wie Leipzig, Hamburg und Berlin, die komplettes Unverständnis über den Demokonsens äußern. Es ist sind fast ausschließlich Menschen, die Raum für Kritik an Israel einfordern.

Natürlich ist es legitim, auf die Situation der Palästinenser*innen aufmerksam machen zu wollen; auf das, was manche als Militäreinsatz und manche als Völkermord bezeichnen. Es ist nachvollziehbar, dass sich für manche im Moment alles um Gaza dreht – vor allem für Menschen, die Familie oder Bekannte in Gaza haben oder hatten. Aber es ist trotzdem anmaßend, von allen anderen ähnliches zu verlangen.

Für die Antifaschist*innen in Salzwedel geht es auf dieser konkreten Demonstration nicht um Israel oder Gaza, sondern um die faschistische Bedrohung durch Neonazis in Deutschland und vor Ort. Demos dieser Art in Kleinstädten sind alles andere als normal. Provinz-Antifas sind auf Unterstützung aus größeren Städten angewiesen, damit die Demo eine wahrnehmbare Größe erreicht und einigermaßen Schutz vor rechten Angriffen bietet.

Was eine Antifa-Demo in einer Kleinstadt am allerwenigsten gebrauchen kann, sind schlimmstenfalls offen ausgetragene Konflikte zwischen Teilnehmenden. Deshalb ist es nachvollziehbar, das derzeit mit Abstand größte Konfliktthema schon im Vorfeld von der Demo zu verbannen.

Schreien statt Schweigen

Ob das eine gute Entscheidung ist, kann man diskutieren. Aus zahlreichen Kommentaren spricht allerdings die Arroganz der Großstadt. Anstatt diese Entscheidung zähneknirschend hinzunehmen und gegebenenfalls zu Hause zu bleiben, hagelt es herablassende Kommentare, in denen nicht nur diese konkrete Entscheidung kritisiert wird, sondern Demo und Orga als Ganzes niedergemacht werden.

Da gibt es dann beispielsweise 121 Likes für den spöttischen Kommentar „Zionistische Aktion Salzwedel“, obwohl die Organisator*innen im selben Instagram-Beitrag die „durch nichts zu rechtfertigende Kriegsführung der israelischen Regierung“ beklagen und jegliche Vertreibung von Menschen ablehnen.

Andere behaupten, dass eine antifaschistische Demonstration, die nicht den Nahostkonflikt thematisiere, inhaltsleer, bürgerlich und staatstragend sei. Das kann eigentlich nur behaupten, wer den ausführlichen Demo-Aufruf nicht gelesen hat und vor 2023 nicht an Antifa-Demos teilgenommen hat. Die waren oft genug auch ohne Nahostkonflikt äußerst kämpferisch, radikal und autonom.

Kein Raum für Komplexität

Man könnte anerkennen, dass es für Antifaschist*innen in der Provinz gerade äußerst kompliziert ist. Sie sind nicht viele, sie kämpfen gegen eine starke AfD und sie sind Teil einer linken Bewegung, die in Deutschland angesichts des Nahostkonflikts so tief gespalten ist wie in wohl kaum einem anderen Land. Man könnte anerkennen, dass diese Situation schwierige Entscheidungen verlangt, die so oder so für Unmut sorgen.

Aber in dem Shitstorm auf der Instagram-Seite der „Antifa Salzwedel“, der augenscheinlich durch größere Accounts aus Berlin losgetreten wurde, gibt es keinen Raum für Komplexität. Wer nicht bereit ist, seine Demo für politische Anliegen zu öffnen, die mit dem eigentlichen Anliegen der Demo wenig zu tun haben, die aber erwartungsgemäß viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, ist ein Feind und wird lächerlich gemacht und aufs Übelste beschimpft.

„Wer nicht solidarisch mit allen Unterdrückten dieser Welt ist, hat vielleicht auch selbst keine Solidarität verdient“, heißt es in einem Kommentar. Aber natürlich geht es den Kritiker*innen nicht um „alle Unterdrückten dieser Welt“, sondern um ein bestimmtes Thema, das immer und überall dominieren muss.

Pech für die Menschen im Sudan, die seit Jahren unter der wohl größten Katastrophe auf diesem Planeten leiden. Für sie gibt es leider keine linken Massendemos, auf denen politischer Druck, sichere Fluchtwege und humanitäre Unterstützung gefordert werden.

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Keine Kommentare bisher

Erstaunlich wie komplex im Artikel über den Duktus Links gesprochen wird, wünschte ich mir bei Rechts auch mal. Was den Linken noch viel schwerer fallen wird, da man ja sich definitiv abgrenzen will. Ist nun pro Israel nun eher rechts oder links, die Politkatze beißt sich in den Schwanz und läuft im Kreis sich selbst hinterher…

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