Seit dem Gründungskongress der AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ sorgt eine Rede für anhaltende Irritationen. Alexander Eichwalds Auftritt in Gießen wurde rasch skandalisiert, ebenso rasch von der Partei zurückgewiesen. Zwei Wochen lang blieb dabei vieles unklar – über die Person, die Motivation und die Bedeutung dieses Moments. Erst zwei Interviews, in der Süddeutschen Zeitung und im österreichischen Standard, erlauben nun eine genauere Einordnung.

Eine Motivation wird sichtbar, die eigentliche Intention jedoch bleibt schleierhaft. Und neben vielen offenen Fragen steht eine zentrale im Raum: Verdient Eichwalds Rede Aufmerksamkeit und Analyse? Oder war sie lediglich eine „Flood the zone with shit“-Aktion?

Schlüsselmoment – ja oder nein?

Die Politik schenkt uns bisweilen Ereignisse, die wie grelle Blitze erhellen, was längst sichtbar war und doch im Alltagsrauschen unterging. Ein solcher Moment war etwa das Potsdamer Treffen vor zwei Jahren, als der Begriff „Remigration“ durch die Correctiv-Recherchen an die Oberfläche des öffentlichen Bewusstseins stieg und eine gesellschaftliche Welle auslöste.

Was damals im Verborgenen verhandelt wurde, spricht die AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ heute ohne Zögern von der Bühne herab aus. Ja, dies ist ein Schlüsselmoment, wenn auf dem Gründungskongress ausgerechnet jene, die den zukünftigen Vorstand der AfD-Jugendorganisation bilden wollen, nicht mehr nur von „Remigration“, sondern von „millionenfacher Remigration“ sprechen. Was lange hinter Türen blieb, wird hier programmatisch ausgesprochen – offen und selbstbewusst.

Nun hat Alexander Eichwald, 30 Jahre alt, politikwissenschaftlich und soziologisch ausgebildet, Russlanddeutscher und AfD-Mitglied, mit seiner Rede auf eben diesem Kongress einen weiteren entlarvenden Moment geschaffen. Sein Auftritt löste Irritation und Alarm aus – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern vor allem innerhalb der eigenen Partei.

Die Reaktionen der AfD wirkten hastig und reflexhaft, als gelte es, einen gefährlichen Fremdkörper abzuwehren. Zum Schlüsselmoment wird dies vor allem deshalb, weil Eichwald inhaltlich kaum von dem abwich, was andere Rednerinnen und Redner an diesem Tag teils noch schärfer formulierten. Der Unterschied lag nicht in der Botschaft, sondern im Ton. Er sprach nicht radikaler – er sprach so, dass die Radikalität wieder hörbar wurde.

Ein politisches Bewusstsein – nicht die Karikatur, für die man ihn hielt

In den Interviews mit der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Standard“ wehrt Eichwald das Bild des verwirrten Außenseiters ab. Er sei kein Provokateur zum Selbstzweck, sagt er, und schon gar kein Satiriker – vielmehr „die Stimme von sehr, sehr vielen Menschen“. Seine Rede sei eine „geplante Aktion“. Und weiter: „Wir müssen in Deutschland darüber reden, dass ich Dinge geäußert habe, die viele hinter verschlossenen Türen oder hinter vorgehaltener Hand, am Stammtisch und in der AfD sagen.“

Die ihm bislang angehefteten Etiketten – „Hitler-Stil“, „NS-Rhetorik“, „Goebbels-Dracula“ – greifen offenkundig zu kurz. Der Mann im blauen Dinnerjacket ist ein politisch geschulter Akteur; Politikwissenschaft und Soziologie habe er studiert, sagt er dem „Standard“. Er spricht von Persona, C. G. Jung, von einer Maske, die mehr offenbart als sie verbirgt. Für ihn war dieser Auftritt kein Kontrollverlust – Eichwald stellt ihn ausdrücklich als bewusst geplant dar.

Doch seine eigentliche Motivation bleibt erstaunlich blass. Weidels Gleichsetzung von Hitler und Stalin sei für ihn als Russlanddeutschen ein „Schlag ins Gesicht“ gewesen – eine historische Verzerrung, die in seiner Wahrnehmung sowohl den Vernichtungskrieg gegen die slawischen Völker als auch die „Lebensraum-im-Osten“-Politik relativiere. Biografisch ist dieser Impuls nachvollziehbar.

Für die Wirkung seines Auftritts jedoch ist er nahezu irrelevant. Die Motivation erklärt den Ton – aber nicht den Moment. Entscheidend ist nicht, was Eichwald meinte, sondern was durch ihn sichtbar wurde.

Die AfD zeigt eine klare Abwehrhaltung – und eröffnet damit neue Einblicke

Unmittelbar nach der Rede begannen AfD-Funktionäre, sich von Eichwald zu distanzieren. Der frisch gewählte Bundesjugendvorsitzende Jean-Pascal Hohm sagte noch am selben Tag: „Egal ob linker Provokateur, V-Mann oder einfach verrückt – wer so auftritt, hat in der AfD und ihrer Jugendorganisation nichts verloren.“ Tino Chrupalla erklärte wenig später, Eichwald habe in der Partei keinen Platz; er solle austreten oder ausgeschlossen werden.

Die einfachste AfD-Lösung: Abschieben. Keine Analyse, kein Diskurs.

Eichwald hingegen zeigt demonstrativ seinen Parteiausweis, bezeichnet sich als AfD-Anhänger und möchte ersichtlich bleiben.

Er hätte sich einen anderen Umgang gewünscht: „Wenn die AfD politische Strategen hätte, dann hätten die angerufen und gesagt, Hallo Herr Eichwald, bitte, wir können das klären, aber wir danken Ihnen dafür, dass Sie mit Ihrer Rede die ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, weg von den anderen gewählten Mitgliedern des Bundesvorstandes der Generation Deutschland, von denen etliche gesicherte Rechtsextreme sind.“

Der Eklat erklärt sich weniger durch Eichwalds Worte als durch jene, die neben ihm gesprochen wurden. Denn andere Redner waren an diesem Tag unmissverständlicher.

Abschieben – dass die Startbahnen glühen

Kevin Dorow forderte, die Jugendorganisation müsse zu einer „Kaderschmiede“ werden, „ein Ort, an dem junge Menschen mit rechten Prinzipien durchdrungen werden (…) Und diese Jugendorganisation (…) wird die Speerspitze der jungen Rechten in Deutschland sein.“

Für eine weitere Passage prüft die Justiz nun ein strafrechtliches Verfahren wegen Dorows Sekundärzitats eines Hitlerjugend-Spruchs: „Jugend muss durch Jugend geführt werden.“

Julia Gehrckens erklärte Feminismus zur „geisteskranken und bösartigen Ideologie“ und sagte: „Nur millionenfache Remigration schützt unsere Frauen und Kinder.“ Mio Trautner verlangte, es müsse nun endlich so weit sein, „dass die Abschiebungen im Land starten, dass die Startbahnen in Deutschland glühen“. Helmut Stauf brachte es auf die Formel: „Wir müssen abschieben, abschieben, abschieben, bis Deutschland wieder Heimat wird.“

Diese Reden waren kein Randprogramm – sie bildeten den programmatischen Kern dieses Gründungskongresses. Und dennoch ist es Eichwald, dem jetzt die Tür gewiesen werden soll. Doch er war nicht der Ausreißer. Er war der Spiegel. Und kein politisches Projekt verträgt es, sein eigenes Spiegelbild so ungefiltert präsentiert zu bekommen.

Ein Weckruf für Deutschland

Für Bürgerinnen und Bürger kann der Fall Eichwald ein aufschlussreicher Moment sein – sofern man bereit ist, den Gründungskongress der „Generation Deutschland“ genauer zu betrachten und nicht vorschnell weiterzugehen. Er macht sichtbar, wie weit Teile der AfD-Jugend ideologisch positioniert sind und mit welcher Selbstverständlichkeit diese Positionen inzwischen öffentlich vertreten werden.

Der Blick lässt sich dabei verschieben: weg von der Person Eichwald, hin zu den Reaktionen. Sie erzählen von inneren Grenzlinien, von dem, was sagbar ist – und von dem, was erst dann irritiert, wenn es anders ausgesprochen wird.

Dass Eichwalds Auftritt Beachtung und Analyse verdient, liegt weniger an seinen Antworten als an seinen Zumutungen. Der Gründungskongress der „Generation Deutschland“ und die Persona Eichwald sendet so einen radikalen Weckruf durchs Land – deutlich genug, um gehört zu werden, offen genug, um unterschiedlich gelesen zu werden.

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Offensichtlich wird hier der Selbstdarsteller mit psychopathischen Zügen tatsächlich ernst genommen, naja während der Coronazeit haben das ja auch Millionen analog trainieren können, es kam ja im Fernsehen und stand in der Zeitung.

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