Niemand muss sich darüber wundern, dass die sogenannte Demokratieverdrossenheit im Osten besonders hoch ist. Es ist bis heute ein Tummelplatz für wirtschaftsnahe Politiker, denen geltende Regeln, Beteiligungsrechte oder gar Naturschutzauflagen herzlich egal sind. Nun geht es um die nächste 500-Millionen-Euro-Erweiterung am Frachtflughafen Leipzig. Und die sächsischen Behörden gehen die Sache genauso beratungsresistent an wie beim letzten Mal. Umweltverträglichkeitsprüfungen? Doch nicht in Sachsen.

„Die sächsische Landeregierung will in den nächsten Jahren den Flughafen Leipzig-Halle zu einem europäischen Frachtdrehkreuz bisher ungeahnten Ausmaßes ausbauen“, kommentiert Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“, die Vorgänge um die neuen Vorfelder, die noch mehr Frachtumschlag am Flughafen ermöglichen sollen.

„Dafür sollen 500 Millionen Euro, sinnreicherweise unter anderem aus dem Kohleausstiegsprogramm, investiert werden. Die vorbereitenden archäologischen Grabungen und Erschließungsarbeiten haben bereits begonnen. Diese Erweiterungen führen zu einer Vervielfachung der Überflüge und des Emissions-, vor allem des CO2- Ausstoßes, im direkten Umfeld des Flughafens Leipzig-Halle. Betroffen davon auch das europäische Natur- und Vogelschutzgebiet ,Leipziger Auenwald‘ und andere Naturschutzgebiete.“

Erst im Januar, als die Pläne für diese neue massive Erweiterung des Flughafens bekannt wurden, fragte die Bürgerinitiative deshalb bei der zuständigen Landesdirektion Sachsen an, wie es um das ausstehende Planfeststellungsverfahren und die eigentlich zwingend vorgesehene Bürgerbeteiligung stehe. Und die Landesdirektion teilte auch mit, dass der Vorhabenträger die entsprechende Öffentlichkeitsbeteiligung zeitnah geplant habe.

Aber irgendwie sieht der Vorgang wieder ganz ähnlich aus wie 2003/2004, als es um die Planungen für die Startbahn Süd ging. Der Freistaat als Haupteigentümer sieht sich irgendwie nicht in der Pflicht, Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung wirklich ernst zu nehmen.

Im Grunde prüft er ja als staatliche Behörde (Landesdirektion) selbst, was er als Eigentümer und Unternehmer (Mitteldeutsche Flughafen AG) mit den Geldern der Steuerzahler bauen will. Da geht so eine Prüfung, ob der Flughafen die neue riesige Versiegelung von Naturflächen überhaupt auf Umweltverträglichkeit prüfen muss, so schnell, dass es selbst Matthias Zimmermann schwindlig wird.

Die Planungsunterlagen dafür wurden am 11. Juli eingereicht und, wie aus der Bekanntmachung der Landesdirektion Sachsen vom 8. August ersichtlich, bereits bestätigt.

„Das Änderungsvorhaben betrifft die Erhöhung der auf der Funktionsfläche Ramp 3 mit hochbaulichen Anlagen überbaubaren maximalen Grundfläche um 37.000 m² und der maximal zulässigen Gesamtbaumasse hochbaulicher Anlagen um 220.000 m³. Das Vorhaben liegt innerhalb des bestehenden Flughafengeländes. Es sind ausschließlich Flächen betroffen, die entweder schon versiegelt sind oder deren Versiegelung bereits fachplanerisch zugelassen worden ist. Soweit die Flächen noch nicht versiegelt sind, haben sie keine relevante Bedeutung für den Naturhaushalt“, heißt es in der Begründung der Landesdirektion zu ihrer Vorprüfung, in deren Ergebnis sie feststellte, „dass für das Änderungsvorhaben keine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht“.

„Nach nicht mal vier Wochen Bearbeitung (!) hat die LDS demnach entschieden, dass es für ein Vorhaben dieser Dimension und Umweltauswirkung keiner (!!!) Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfe. Und damit nicht genug, die Feststellung ist nicht selbstständig anfechtbar“, kritisiert Zimmermann. „Die Entscheidung ist umso erstaunlicher, als dass die Landesdirektion Sachsen noch im Januar dieses Jahres auf Anfrage unserer Bürgerinitiative erklärte, dass der Vorhabenträger (also der Flughafen Leipzig-Halle, also das Land Sachsen als Mehrheitsgesellschafter) noch keinen Antrag auf ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren gestellt habe.“

Warum eine „fachplanerische Zulassung“ die noch nicht erfolgte Umweltverträglichkeitsprüfung überflüssig macht, erschließt sich aus der Meldung der Landesdirektion nicht. Aber sie macht offensichtlich, wie sehr sich sächsische Landesbehörden als über den Gesetzen stehend begreifen. Das steht in der Begründung der Landesdirektion, warum ihr Beschluss nicht anfechtbar sein soll: „Die Feststellung über das Unterbleiben der Umweltverträglichkeitsprüfung ist gemäß § 5 Absatz 3 Satz 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht selbstständig anfechtbar.“

Der benannte Satz im UVP-Gesetz aber lautet: „Die zuständige Behörde stellt auf der Grundlage geeigneter Angaben des Vorhabenträgers sowie eigener Informationen unverzüglich fest, dass nach den §§ 6 bis 14 für das Vorhaben eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Pflicht) besteht oder nicht. Die Feststellung trifft die Behörde … 3. von Amts wegen nach Beginn des Verfahrens, das der Zulassungsentscheidung dient.“

So stellt sich das Land selbst über die Gesetze und stellt sich für eigene Baumaßnahmen einen Persilschein aus – „von Amts wegen“.

Dass man dabei den Betroffenen zeigt, wie egal den Amtsinhabern Demokratie und Beteiligungsrechte sind, scheint völlig irrelevant zu sein. Man schwebt irgendwie über der Bevölkerung, man schwebt irgendwie wie in einer Insel Laputa über dem beherrschten Balnibarbi. Und man waltet ganz so, als ginge das die Leute in Balnibarbi gar nichts an.

Laputa wolle hier wohl noch fix vor den Landtagswahlen vollendete Tatsachen schaffen, vermutet Zimmermann: „Ganz offensichtlich soll mit diesem geschickten Schachzug nicht nur einer gewissen Unwägbarkeit bezüglich Ausgang der Landtagswahlen vorgebeugt werden, sondern auch einer Einspruchs-/Klageflut im Rahmen des luftrechtlichen Planfeststellungsverfahrens, das ja eigentlich nach Rechtslage und Aussage der Landesdirektion Sachsen noch folgen müsste. Oder versucht die Landesregierung Sachsen, gesetzliche Regelungen zu Planfeststellungen einfach zu umgehen?“

Anfrage zum Ausbau des Flughafens Leipzig / Halle

Antwort der Landesdirektion

Ein Planfeststellungsbeschluss mit Lücken und Tücken und einer engen Berechnungsgrundlage

Ein Planfeststellungsbeschluss mit Lücken und Tücken und einer engen Berechnungsgrundlage

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Nicht nur der Freistaat und seine Mittelbehörde steht über dem Gesetz, die Kommunen, kreisfreien Städte (wie Leipzig) und Landkreise (wie Landkreis Leipzig) stehen ebenso dort. Siehe WTNK oder Forst wort.
Was die Forderung von Frank Richter, die er zusammen mit Alt-Stalinistin Köpping zur Erweiterung der Selbständigkeit der Kommunen aufgestellt hat, um so unverständlicher macht. Richter sollte wissen, daß Kommunen (wenigstens im Osten) und deren Bürgermeister/Landräte gierig sind und sich einen Dreck um Umweltgesetze scheren.
Und er sollte auch wissen, daß diese Kommunen als selbständige Rechtssubjekte neben dem Bürger stehen – und oft genug diesem gegenüber. Im wahrsten Sinne des Wortes.

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