Irgendjemand muss da in den 1990er Jahren, als die Pläne für das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz geschmiedet wurden, komplett getrieft haben. Denn obwohl die Stadt Leipzig ihr Nordraum-Konzept beschlossen hatte und die ersten großen Ansiedlungen schon vertraglich gesichert waren, wurden mindestens zwei wichtige S-Bahn-Stationen, die das neue Gewerbegebiet hätten erschließen können, regelrecht vergessen.

Das eine ist die S-Bahn-Station für das Güterverkehrszentrum an der S-Bahn nach Halle, die andere Station erwies sich am 8. Juli auf einmal als nicht existent, als die Stadt Leipzig ihre Pläne für das neue Gewerbegebiet Seehausen II vorstellte. Dort fährt die S-Bahn nach Delitzsch direkt vorbei, der nächste Halt aber ist erst in Rackwitz.

„Das Plangebiet befindet sich in Leipzig-Nord, im Ortsteil Wiederitzsch zwischen Maximilianallee und Podelwitzer Straße“, beschrieb die Stadtverwaltung dieses neue Plangebiet, das über die Maximilianallee auch für Kraftfahrzeuge leicht erschließbar ist. „Mit dem Bebauungsplan sollen die Voraussetzungen zur Ansiedlung vor allem großflächiger Gewerbebetriebe geschaffen werden. Die zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft erforderlichen Maßnahmen sind im Plangebiet und auch außerhalb des Plangebietes zum Teil auch außerhalb des Stadtgebietes vorgesehen. Es handelt sich um ca. 9,5 Hektar, die sich im Eigentum der Stadt Leipzig befinden, z. B. zur Entsiegelung bzw. Aufforstung in Göbschelwitz (Stallanlage), Böhlitz-Ehrenberg (Schlohbachshof) Liebertwolkwitz (Stallanlage, Klinkerwerk), im Willwisch oder Anpflanzung von Straßenbäumen in der Podelwitzer Straße und Plaußiger Weg.“

So ganz neu sind die Pläne, auch hier im nördlichen Wiederitzsch ein Gewerbegebiet zu schaffen, ja nicht. Aber auf die Idee, die ganzen Industrie- und Gewerbeansiedlungen im Norden perspektivisch ans sowieso geplante S-Bahn-Netz anzuschließen, kam vor 20 Jahren augenscheinlich niemand. Das verkehrliche Gutachten nimmt auf das Problem direkt Bezug. Während der Kfz-Verkehr durch eine Anbindung an die B184 (Maximilianallee) leicht aufs Gelände kommt, kann von einer ÖPNV-Anbindung keine Rede sein.

Die nächste Haltestelle für den Regionalbus Nr. 196 befindet sich in 400 Meter Entfernung, die nächsten S-Bahnhaltepunke befinden sich 2,4 Kilometer (Rackwitz) und 2,7 Kilometer (Neue Messe) entfernt. Für Radfahrer seien das noch attraktive Entfernungen, meint das Gutachten, stellt aber auch fest, dass nach dem straßenbegleitenden Fuß-Radweg an der B2 noch ein ganzes Stück Radweg fehlt.

Dass man einfach keine mögliche S-Bahn-Station direkt am neuen Gewerbegebiet mitgeplant hat, ist ein Umstand, über den der Leipziger Ökolöwe jetzt nur den Kopf schütteln kann.

Der Ökolöwe kritisiert die Pläne für das neue Industriegebiet Seehausen II im Leipziger Norden deshalb deutlich. Neben der Flächenversiegelung sei der Hauptkritikpunkt, dass die Planer die S-Bahn-Haltestelle vergessen haben – obwohl die Bahn direkt am geplanten Industriegebiet vorbeifährt.

Für das Plangebiet Seehausen II mit einer Fläche von 49 bis 54 Hektar sind 50 Arbeitsplätze pro Hektar veranschlagt. Das entspricht rund 2.500 Arbeitsplätzen. Für diese Arbeitsplatzdichte brauche es natürlich eine Bahn-Anbindung, stellt der Ökolöwe fest. Andernfalls würden dem ohnehin stark belasteten Leipziger Nordraum weitere Auto-Verkehrsmengen aufgebürdet. Die zukünftigen Pendler/-innen in das Industriegebiet Seehausen II würden nach vorliegender Planung regelrecht zur Autonutzung gezwungen.

Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen, sagt dazu: „Erst die S-Bahn-Haltestelle, dann die Großansiedlung! So muss es laufen, wenn wir kein Verkehrschaos im Leipziger Norden produzieren wollen.“

In der Stellungnahme des Ökolöwen zum Bebauungsplan heißt es: „Das Gewerbegebiet Seehausen II benötigt zwingend einen S-Bahn-Anschluss. Die S-Bahn-Linie S2 Leipzig – Delitzsch – Bitterfeld – Dessau/Wittenberg fährt direkt an dem Gewerbegebiet vorbei. Es ist nicht nachvollziehbar, warum hier erneut keine S-Bahn-Zugangsstelle vorgesehen ist, nachdem man diesen Fehler im Zuge der Porsche-Ansiedlung im Bereich Radefeld bereits schon einmal begangen hat. Mittels städtebaulicher Verträge könnten Investoren sogar an der Finanzierung der nötigen Infrastruktur beteiligt werden. Das Vorhaben ist nur in Kombination mit der SPNV-Zugangsstelle zustimmungsfähig.“

Der Ökolöwe fordert den Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig deshalb dazu auf, das „Nordraumkonzept“ für Leipzig zu überarbeiten. Arbeitsplatzintensive Großansiedlungen müssten direkt an den S-Bahn-Haltestellen konzentriert werden. Bestehende große Industriegebiete wie das Porsche-Werk in Radefeld müssten zügig mit S-Bahn-Haltestellen nachgerüstet werden.

 

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