Was wäre, wenn … wenn es in jedem Leipziger Ortsteil mindestens eine Straße gäbe, die ganz und gar den Radfahrer/-innen, Fußgänger/-innen und den Freisitzen gehören würde? Das war ja sogar mal eine Idee aus der späten DDR-Zeit, als in Lindenau ein Teil der Merseburger Straße zum Lindenauer Boulevard werden sollte. Jetzt hat der Stadtbezirksbeirat Altwest die alte Vision wieder aufgegriffen. Denn auch im Programm der Leipziger Klimaanpassung können solche Straßen eine starke Rolle spielen.

Die besondere Nebenstraße

Seit Jahrzehnten wird die Merseburger Straße zwischen Karl-Heine-Straße und Aurelienstraße als eine besondere Nebenstraße angesehen und genutzt. Bereits in den 1980er Jahren beschloss der damalige Rat der Stadt, die Attraktivität für diesen Teil der Geschäftsstraße zu erhöhen.

Bis heute sind markante Gehwegverbreiterungen, einzigartige Hochbeete und selten gewordene Kegelleuchten Zeichen der beginnenden Veränderung. In jüngerer Vergangenheit haben gesellschaftliche Initiativen, Gastwirt/-innen, Künstler/-innen sowie Läden des Einzelhandels diesen Abschnitt der Straße wiederbelebt. In Kürze wird ein Hostel das bunte Ensemble ergänzen.

Unterstützung des Ökolöwen

Um die vor 40 Jahren begonnene Verbesserung des Straßenraums aufzugreifen, hat der Stadtbezirksbeirat Alt-West einen entsprechenden Antrag gestellt.

„Wir fordern die Stadt auf, sowohl städtebauliche Maßnahmen als auch erweiterte verkehrsrechtliche Anordnungen umzusetzen, um besser nutzbare und multifunktionale öffentliche Räume für die Nachbarschaft zu schaffen“, erklärt Tobias Möller, einer der Initiatoren des Antrags und Mitglied im Stadtbezirksbeirat Alt-West, dazu.

Und Unterstützung dazu gibt es auch vom Leipziger Ökolöwen.

„Die Fußgängerzone Merseburger Straße wurde damals schon vorgedacht. Jetzt ist es an der Zeit, das ordentlich abzuschließen“, sagt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen und Unterstützer des Antrags. „Es bietet sich an, die Gestaltung zwischen Endersstraße und Lützner Straße an dieser Stelle zu spiegeln. Damit wird nicht nur die Aufenthaltsqualität erhöht, sondern auch die Fuß- und Radwegeverbindung zwischen Plagwitz und Lindenau gestärkt.“

Wichtig für die Radfahrer

Denn mittlerweile ist sichtbar, dass mehr Personen mit dem Rad und zu Fuß als mit einem privaten Pkw die kleine Merseburger Straße als Tangente zwischen den Stadtteilen nutzen. Ihre wichtige Verbindungsfunktion zwischen dem Bereich Georg-Schwarz-Straße bzw. Altlindenau und der Karl-Heine-Straße bzw. Plagwitz wird immer deutlicher.

Der Antrag des Stadtbezirksbeirates Alt-West fordert die Stadtverwaltung dazu auf, der vorrangigen Nutzung durch Radfahrende nachzukommen, indem die kleine Merseburger Straße zur Fahrradstraße umgewidmet und entsprechend markiert wird“, geht Tobias Möller auf ein Thema ein, das in der Leipziger Verkehrspolitik kaum beleuchtet wird.

Nämlich, dass Radfahrer/-innen sich auch ruhigere Nebenstraßen suchen, wenn das Fahren auf den Hauptstraßen zu stressig oder zu gefährlich erscheint. Bislang gibt es aber nur wenige Nebenstraßen, die so ein Ausweichen möglich machen. Die Merseburger Straße in ihrem Südteil ist eine dieser wenigen Straßen.

Wo noch immer die geparkten PKW dominieren

Heiko Müller vom Stadtumbaumanagement Leipziger Westen hebt einen weiteren wesentlichen Punkt des Antrags hervor: „Die Überarbeitung der Fußgängerzone zwischen Endersstraße und Lützner Straße ist auch ein Teil des Antrags des SBB Alt-West, den das Stadtumbaumanagement unterstützt. Gerade weil für den größeren Teil der angrenzenden Gebäude, wie das neuere Kaufhaus Held, die Ladenzeile und die Passage, heute und auf absehbare Zeit kaum Nutzungsperspektive besteht. Daher muss sowohl das Miteinander von Fuß- und Radverkehr verbessert als auch die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raumes erhöht werden.“

Bislang ist dieses Teilstück als Fußgängerzone ausgewiesen. Für Radfahrer/-innen ist die Durchfahrt frei. Aber dafür ist dann ab der Lützner Straße noch längst nicht das Gefühl zu erleben, hier als Fußgänger eine besondere Rolle zu spielen. Optisch dominieren die Reihen geparkter Pkw.

Weshalb der Antrag auch wünscht: „Analog zur Josephstraße und Holteistraße wird dieser Straßenabschnitt modellhaft zu einer Fußgängerzone umgebaut. Hierbei sind bauliche Maßnahmen umzusetzen, die eine Auflösung der Fahrbahn bewirkt. Die Qualität des Straßenraums wird partizipativ mit Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Besuchenden weiterentwickelt.“

Umsetzung 2024 möglich

Weitere Punkte im Antrag sind die denkmalschutzgerechte Sanierung der Hochbeete und Erneuerung der Kugelleuchten mit dem Ziel einer verringerten „Lichtverschmutzung“, die Erhöhung der Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Lastenräder im Verhältnis des Modal Splits des Nachhaltigkeits-Szenarios der Mobilitätsstrategie 2030 und eine Mobilitätsstation inkl. Carsharing und einer Ladestation für E-Autos.

Außerdem sollen Anwohnerschaft, Gewerbetreibende und Durchquerende an der Planung beteiligt werden. Bis 2024 soll eine Umsetzung der geforderten Maßnahmen erfolgen.

Grünes Licht der Ratsversammlung steht noch aus

Beim öffentlichen Spaziergang mit Oberbürgermeister Burkhard Jung wurde der Antrag in Auszügen vorgestellt und traf bei den Anwesenden auf Verständnis. Aktuell wird er im Stadtrat behandelt. Am 13. Oktober stand er erstmals auf der Tagesordnung des Stadtrates, um in die Gremien zur Beratung verwiesen zu werden.

Wenn die Ratsversammlung zustimmt, könnten die vorgeschlagenen Maßnahmen bis 2023 geplant und 2024 umgesetzt werden. Ob die „kleine, feine Merse“ nun die Attraktivität erhält, die für sie seit 40 Jahren vorgesehen ist? Die Frage steht. Sie könnte aber auch am Anfang einer Diskussion stehen, die Leipzig weit mehr solcher beruhigten Straßen für Fußgänger/-innen und Radfahrer/-innen verschafft.

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Keine Kommentare bisher

Tjaa — so wie dort auf dem Bild schaut es aus, wenn Leute so etwas planen, die weder regelmäßig Rad fahren noch zu Fuß gehen.
Eine nette kleine Visualisierung, in deren Nachfolgebild der Radler vermutlich mit den Fußgängern kollidiert, weil man wieder einmal auf jede Zuteilung der Flächen für die doch recht unterschiedlichen Verkehrsarten verzichtet.
Die sinnfreien Schilder links und rechts deuten bereits eine gewisse Kompetenz an.

Sollte diese Strecke für den Radverkehr eine größere Bedeutung haben, hoffe ich man besinnt sich darauf, diesen nicht halb durch irgendwelche Scharnigärten in Einkaufszonen zu leiten, sondern klar ersichtlich zu führen.
Bevor man wieder Unsummen verbuddelt und dann feststellt, daß es ständig zu neuen Konflikten kommt.

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