Vielleicht werden Debatten, wie sie am 19. Januar zu einem gemeinsamen Antrag von Sören Pellmann, Franziska Riekewald und Adam Bednarsky (alle Fraktion Die Linke) stattfanden, in naher Zukunft einmal nicht mehr nötig sein. Nämlich dann, wenn sich der Bundesverkehrsminister dazu durchringt, den Vorstoß des Deutschen Städtetages zu akzeptieren, in deutschen Städten künftig Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit zu machen. Bislang gilt Tempo 50 – und das sorgt auch in der Bornaischen Straße für immer wieder neue gefährliche Situationen.

Weshalb die drei Linke-Stadträt/-innen beantragt hatten: „Es wird geprüft, ob in der Bornaischen Straße von Höhe Ernst-Toller-Straße bis hinter die Einfahrt KITA Villa Unifratz (Bornaische Straße 138b) Tempo 30 eingerichtet werden kann.“

Und: „Zusätzlich wird geprüft, die Raschwitzer Straße bis hinter die Schulen (DPFA und Karl-Schubert-Schule) von 07:00 bis 17:00 Uhr zur absoluten Halteverbotszone zu erklären.“

Kindereinrichtungen schlagen Alarm

Vorhergegangen waren wohl etliche alarmierende Anrufe aus dort gelegenen Kindereinrichtungen. Mit Rücksicht auf diese Einrichtungen könnte die Leipziger Straßenverkehrsbehörde hier also in einem Abschnitt der Bornaischen Tempo 30 verhängen.

„Die Straßenverkehrsbehörde hat dabei einen Ermessensspielraum, den sie natürlich auch im Sinne der schwächsten Verkehrsteilnehmer/-innen (Kinder, Fußgänger/-innen und Radfahrende) auslegen kann. Da in unmittelbarer Nähe zwei Grundschulen mit Vorschuleinrichtungen unmittelbar an der Bornaischen Straße liegen, ebenso das Studentenwerk (Einrichtung speziell für Familien) mit der KITA Villa Unifratz, ist Tempo 30 unabdingbar“, stellt der Linken-Antrag fest.

„In der Raschwitzer Straße wurde mit der Karl-Schubert-Schule eine zweite Schule (mit Vorschule) eröffnet. Die Schule ist noch im Ausbau und wächst jährlich. Eine absolute Halteverbotszone ist unabdingbar, um die Verkehrssicherheit für die zufußgehenden Kinder zu gewährleisten.“

Wie viel Einfluss hat der Stadtrat?

Und Franziska Riekewald war dann wohl doch zu Recht etwas echauffiert, dass die Verwaltung bei der Prüfung zu dem Ergebnis kam, dass man über die aktuellen Maßnahmen hinaus dort nichts weiter machen werde – kein Tempo 30 auf der Bornaischen Straße und auch kein absolutes Halteverbot in der Raschwitzer Straße, wo es beim morgendlichen Bringen der Kinder zur Kita und beim abendlichen Abholen wohl doch – trotz ausgewiesener Stellplätze – immer wieder zu unübersichtlichen Situationen kommt. Die Straße ist eng. Und auch Eltern, die ihre Kinder zu Fuß oder mit dem Rad abholen, kommen ins Gedränge.

Und beim Verlassen der Raschwitzer Straße an der Bornaischen wird es gleich wieder gefährlich, wenn die Eltern mit den Kindern auf die andere Straßenseite und zum Park wollen.

Wobei die Debatte in der Ratsversammlung sich um die alte, seit einem Jahr geradezu akute Frage drehte, inwieweit der Stadtrat Einfluss nehmen kann auf die Entscheidungen der Leipziger Straßenverkehrsbehörde, die sich an vielen Stellen im Stadtgebiet schwertut, bestehende Konfliktstellen zu entschärfen und insbesondere für unmotorisierte Verkehrsteilnehmer die Situation zu verbessern.

Tempo 30 in deutschen Städten?

Zu Recht verwies SPD-Stadtrat Christopher Zenker darauf, dass Leipzig es durchaus schon fertiggebracht hat, auch auf Hauptstraßen Tempo 30 zu verhängen, weil nur so die Unfallgefahr für schwächere Verkehrsteilnehmer minimiert werden konnte. Das auch als Replik auf einen Redebeitrag von Tobias Peter (Grüne), der ja selbst feststellte, dass der „Ausgang der Prüfung unbefriedigend“ war.

Also die Straßenverkehrsbehörde ganz und gar nicht aufgezeigt hat, wie die Situation an und in der Raschwitzer Straße tatsächlich sinnvoll verbessert werden könnte.

Und natürlich hat Peter recht, wenn er sagt: „Wir müssen grundsätzlich an das Thema ran.“ Also so, wie es der Stadtrat mit seinem Auftrag an den OBM gemacht hat, sich über den Städtetag einzusetzen dafür, dass Tempo 30 in deutschen Städten zur Regelgeschwindigkeit werden kann.

„Ich bin guter Dinge“

Nur dauert das noch, auch wenn sich Baubürgermeister Thomas Dienberg zuversichtlich zeigt, dass der Vorstoß des Deutschen Städtetages zu einem Ergebnis führen könnte. Auch Dienberg sagte: „Die Sache ist ärgerlich.“ Nur sehe die Stadt auf Grundlage der aktuell gültigen StVO eben keine Möglichkeit, hier Tempo 30 zu verhängen. Aber was den Vorstoß beim Städtetag betrifft, meinte er: „Ich bin guter Dinge.“

Was für FDP-Stadtrat Sven Morlok trotzdem die Frage aufwarf, warum sich die Straßenverkehrsbehörde trotzdem so stur stellte und nicht mit den Ratsfraktionen reden wolle. Denn wenn es doch Spielräume für weitergehende Regelungen gibt, kann man ja darüber reden, auch wenn der Stadtratsmehrheit – wie Franziska Riekewald betonte – klar sei, dass der Stadtrat der Verkehrsbehörde keine Vorschriften machen könne. Ihr Seufzer war nur zu verständlich, als sie sagte: Schön wäre es manchmal, wenn das ginge.

Abgelehnt, aber nicht vom Tisch

Man merkte schon: Es knirscht an dieser Stelle. Und nachdem Leipzigs Straßenverkehrsbehörde mit Berufung auf die StVO schon des Öfteren auch Entscheidungen getroffen hatte, die später korrigiert werden mussten, genügt der ständige Verweis auf die Vorschrift nicht mehr.

Es ist ja nicht nur Leipzig, wo sich das Mobilitätsverhalten sichtlich ändert. Und die StVO bildet nun einmal das Ideal der autogerechten Stadt aus dem 20. Jahrhundert ab, schafft damit aber dauerhafte Konflikte mit allen umweltgerechten Verkehrsarten.

Grüne und SPD enthielten sich dann bei der Abstimmung zum Antrag der Linken – sehr zur Enttäuschung von Franziska Riekewald. Das Thema ist jetzt also erst einmal mit 16:25 Stimmen abgelehnt worden.

Aber es bleibt, wie Tobias Peter anmerkte, auf der Tagesordnung. Spätestens wenn das Bundesverkehrsministerium Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit für die Städte akzeptiert, bekommt die Diskussion auch in Leipzig neuen Schwung.

Bis dahin heißt es weiter: Aufpassen wie ein Schießhund – gerade als Eltern kleiner Kinder.

Die Debatte vom 19.01.2022

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