Ruben W. wurde nur 16 Jahre alt. Wenige Wochen nach seinem Geburtstag kam der Teenager ums Leben, nachdem ihn am 12. Februar 2019 ein PKW im Ranstädter Steinweg erfasst hatte. Fast drei Jahre danach muss sich der Fahrer des Wagens nun wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht verantworten. Nach Auffassung der Behörden war er viel zu schnell unterwegs und der schwere Unfall daher vermeidbar.

Angeklagter: „Es tut mir sehr leid“

„Ich entschuldige mich bei der Familie. Es ist für mich auch nicht einfach, jemanden umgefahren zu haben. Es tut mir wirklich sehr, sehr leid.“ Es waren die einzigen Worte, mit denen sich der Angeklagte Seyit C. (33) am Montag vor dem Amtsgericht Leipzig persönlich äußerte. Nur wenige Meter entfernt saßen ihm die Eltern des Getöteten gegenüber, die den Prozess als Nebenkläger verfolgen.Seyit C. war Fahrer jenes Mercedes, der am Abend des 12. Februar 2019 etwa 19:22 Uhr aus Richtung Jahnallee stadteinwärts unterwegs war – und in Höhe des LVB-Halts Leibnizstraße den 16-jährigen Ruben W. frontal erfasste. Der Junge wurde gegen die Windschutzscheibe des Wagens geschleudert und 30 Meter mitgeschleift, konnte vor Ort zunächst reanimiert werden, überlebte die Nacht in der Klinik jedoch nicht.

Fahrlässige Tötung und weitere Vorwürfe

Offenbar war der Teenager trotz roter Fußgängerampel schräg über die Fahrbahn gerannt, um eine Straßenbahn zu erwischen. Dennoch wäre der schwere Unfall vermeidbar gewesen, denn der Angeklagte sei mit mindestens 87 km/h über die Straße gerast, sagte Staatsanwältin Andrea Siler.

Die Gedenkstätte für den getöteten Ruben am Ranstädter Steinweg kurz nach dem Unfall. Foto: LZ
Die Gedenkstätte für den getöteten Ruben im Ranstädter Steinweg kurz nach dem Unfall. Foto: LZ

Zusätzlich warf sie dem 33-Jährigen vor, zweimal ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren zu sein. Bei einer Verkehrskontrolle im April 2020 an der Herrmann-Liebmann-Straße hätte er auch einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker mit sich geführt, durch den zwei Polizisten einen Schlag erlitten.

Als ihn Beamte wiederum am 2. September 2020 anhielten, soll Seyit C. einen gefälschten Führerschein aus Polen vorgelegt haben.

Angeklagter war mit zwei Kumpels unterwegs

Der Angeklagte wollte sich zunächst noch nicht persönlich zu den Vorwürfen einlassen, sodass das Gericht am Montag unmittelbar in die Beweisaufnahme eintrat. Neben Unfallzeugen und einem Polizeibeamten sagten die beiden Mitfahrer von Seyit C. aus, die am 12. Februar 2019 gemeinsam mit ihm im Wagen unterwegs waren.

Beide bestätigten, dass sich das Trio am fraglichen Abend mit einem weiteren Kumpel treffen wollte. Zu dritt habe man zunächst eine Shisha-Bar auf der Jahnallee besucht, dort gemeinsam Pizza gegessen und sei dann im Mercedes Richtung Innenstadt aufgebrochen. Nachdem sie eine Straßenbahn auf der Jahnallee zunächst ausbremste, soll Fahrer Seyit C. am leichten Straßenknick, mit dem die Fahrbahn von den Schienen separiert wird, massiv beschleunigt haben.

Daran wollte sich jedoch keiner so recht erinnern: „Man ist automatisch etwas schneller“, sagte Mustafa A. (25), der auf dem Beifahrersitz war. Aber weder er noch Ahmed G. (31) auf der Rückbank hätten ein extremes Beschleunigungsverhalten registriert. Die Stimmung im PKW sei ruhig gewesen, auch habe es im Vorfeld keinen Alkohol- oder Drogenkonsum gegeben. „Es ging so verdammt schnell“, meinte Mustafa A., der im Augenwinkel noch jemanden über die Straße hatte rennen sehen.

Dekra-Gutachter: Zusammenstoß war vermeidbar

Dekra-Experte Peter Zwicker (60) kam in seinem Gutachten zu einem eindeutigen Schluss: Der Zusammenstoß des leistungsstarken Mercedes E 63 AMG (Technische Daten lt. „Auto-Motor-Sport“) mit dem Opfer wäre trotz dessen Rotlichtverstoß bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit vermeidbar gewesen. Zwar hätte der Wagen auch bei Tempo 50 und Vollbremsung erst hinter dem Punkt des Aufpralls gestoppt – diesen aber erst zu einem Zeitpunkt erreicht, wo Ruben W. auf seinem Sprint nach der Straßenbahn schon außer Gefahr gewesen wäre.

Anhand von Berechnungen grenzte der Dekra-Fachmann die Geschwindigkeit des Mercedes grob auf 69 bis 90 km/h ein. Das deckt sich mit der Frontkamera, die beim Zusammenstoß 87 km/h anzeigte. Zudem hatte einer der Passanten ein markantes Beschleunigungsgeräusch wahrgenommen. Sekunden später knallte es.

Unklarheit um technische Details: Platzt der Prozess?

Diskussionen mit dem Gutachter gab es allerdings um die Details von technischen Daten. Andreas Meschkat, Pflichtverteidiger von Seyit C., verwies auf eine Differenz zwischen dem per Tool ausgelesenen und dem am Tacho angezeigten Kilometerstand des Autos. Wegen dieser und weiterer Unklarheiten regte Nebenklage-Anwalt Curt-Matthias Engel an, zusätzliche Daten per richterlichen Beschluss vom Hersteller Mercedes zu beschaffen.

Das allerdings würde dauern: „Das führt dazu, dass das Verfahren ausgesetzt wird und wir uns nicht vor August wiedersehen“, prognostizierte Amtsrichterin Heike Gunter-Gröne. Ob es tatsächlich so weit kommt, ist bisher nicht entschieden. Der erste Prozesstag endete am Mittag mit einem nichtöffentlichen Rechtsgespräch der Beteiligten.

Aktuell sind noch zwei Verhandlungstermine bis 20. Dezember anberaumt.

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