Am 24. März verpflichtete der Leipziger Stadtrat Oberbürgermeister Burkhard Jung in seiner Funktion als Präsident der Deutschen Städtetages dazu, aktiv zu werden, dass deutschen Städten die Möglichkeit eingeräumt wird, Modellversuche zu flächendeckendem Tempo 30 durchzuführen. Bislang scheiterte jede Stadt, die dazu beim autoverliebten Bundesverkehrsminister vorstellig wurde. Am 6. Juli starteten nun sieben Städte – darunter auch Leipzig – einen gemeinsamen Vorstoß.

„Wir wollen in unseren Städten nicht flächendeckend Tempo 30 einführen. Und wir wollen keine pauschalen Regelungen für alle Städte. Aber wir wollen, dass Städte selbst entscheiden und neue Modelle von Geschwindigkeiten erproben können“, kommentierte Burkhard Jung als Städtetagspräsident diesen Vorstoß.„Damit solche Modellversuche unter Realbedingungen starten können, muss die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Diese Forderung ist auch in Entschließungen des Deutschen Bundestages aufgegriffen worden. In der neuen Legislaturperiode muss das rasch auf den Weg gebracht werden. Denn erst dann kann es losgehen mit mehr Entscheidungsspielraum in den Städten und Modellversuchen vor Ort.“ Unterstützt werden die Städte dabei von der Agora Verkehrswende.

Das Positionspapier der sieben beteiligten Städte hat Burkhard Jung am Dienstag auch dem Stadtrat zugeleitet.

„Dieses beschreibt ihren Anspruch, die innerörtlichen Straßen und Plätze mit ihren vielfältigen Funktionen zu betrachten. Neben der Verkehrsfunktion prägen diese öffentlichen Räume auch die Lebensqualität und Urbanität einer Stadt. Tempo 30 wird auch auf Hauptverkehrsstraßen als stadtverträgliche Geschwindigkeit im Kfz-Verkehr angesehen“, erläutert die Verwaltung den Hintergrund.

Denn es geht mitnichten nur um geringere Geschwindigkeiten und weniger Lärm.

„Es wird begrüßt, die erwarteten positiven Effekte auf Verkehrssicherheit, Lärm, Luft, Aufenthaltsqualität und auch Vereinfachung der Verkehrsregeln, in der Praxis zu erproben. Es wird angenommen, dass die Leistungsfähigkeit für den Verkehr durch Tempo 30 nicht wesentlich eingeschränkt wird, die Aufenthalts­qualität dagegen aber spürbar erhöht werden kann. Damit ist Tempo 30 (…) explizit eine Maßnahme für die Bewohner der Städte und Gemeinden und nicht gegen den Autoverkehr richtet. Auswirkungen auf den ÖPNV sollen ebenfalls genau betrachtet werden, um diesen nicht zu beeinträchtigen. Ziel ist es, dass die lokalen Straßenverkehrsbehörden in die Lage versetzt werden, eine angemessene Höchstgeschwindigkeit anordnen zu können, die das Ergebnis der Abwägung aller relevanten umwelt-, verkehrs- und städtebaubezogenen Belange darstellt.“

Das Positionspapier selbst verweist darauf, dass selbst der Bundestag und die Bundesverkehrsministerkonferenz entsprechend deutlich formuliert haben, dass es auch verkehrspolitisch Sinn ergibt, Kommunen zu ermöglichen, die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit nach eigenem Ermessen deutlich abzusenken. Und auch sämtliche Argumente zur Verkehrswende sprechen dafür, gerade dann, wenn Städte wirklich die Bedingungen für Fußverkehr und Radverkehr verbessern wollen.

Und so nebenbei erwähnt das auch von Leipzig mitgetragene Positionspapier die Rolle von Tempo 30 auf Hauptstraßen, wenn es um mehr Sicherheit für den Radverkehr geht: „Auf vielen Hauptverkehrsstraßen kann aus Platzgründen nicht oder nur mit erheblichem zeitlichem Vorlauf eine ausreichend dimensionierte separate Radverkehrsinfrastruktur geschaffen werden. Die Anordnung von Tempo 30 kann hier auch als Zwischenlösung bei Mischverkehr bzw. nicht ausreichenden Infrastrukturangeboten (z. B. Schutzstreifen) die Sicherheit erhöhen. Dazu fehlt es aber bislang an belastbaren Untersuchungen.“

Und es fehlt an Gestaltungswillen. Dazu genügt der Blick in europäische Nachbarländer, wo man beim Ausbau ausreichender Radverkehrsanlagen deutlich weiter ist, während deutsche Verkehrsminister mit aller Macht (und Quietscheentchen) den Vorrang für den motorisierten Individualverkehr verteidigen.

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Es gibt 5 Kommentare

Ein Schelm, wer denkt, daß es mit dieser populistischen Maßnahme nur darum geht, mit einfachen Mitteln mehr Bußgelder zu kassieren.😀😉
Tempo 30 einzuführen kostet nix, kann aber medial prima ausgeschlachtet werden, Man muß keine Maßnahmen ergreifen, die teuer sind, aber vielleicht mehr bringen.

Also falls DAS die geheime, eigentliche Strategie von Herrn Jung wäre, dann würde ich ihm dabei allen Erfolg wünschen, jede Aufmerksamkeit die er dafür bekommen kann und natürlich auch im Namen aller der Leute, die ich kenne, die alle auch keine solche Tempo-30-Regelung wollen, am Ende herzlich gratulieren!

Ich halte das Papier für eine Nebelkerze von Jung und seiner Verwaltung, der zuletzt im Stadtrat persönlich dagegengestimmt hat, dass bereits angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen überhaupt wirkungsvoll und konsequent durchgesetzt werden können und die Verwaltung wissentlich gewähren lässt, ihren Ermessenspielraum weit über das Nötige hinaus auszureizen und tlw. bis zu 33% Geschwindigkeitsübertretungen offiziell zu tolerieren. Ich glaube, Ziel ist es hier, das Pilotprojekt derart aufzublasen, dass es deutschlandweit Aufmerksamkeit und Opposition durch ADFC und BILD, etc. bekommt und so am Unions-geführten Verkehrsministeriums scheitert, bevor es überhaupt gestartet werden kann. Hinterher wird sich die Verwaltung wieder auf den Standpunkt zurückziehen, dass man alles versucht habe aber nichts tuen könne.

Das Positionspapier finde ich gut geschrieben und vor allem mit Entscheidungen von Bund, VMK etc unterfüttert, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diese Maßnahme fordern.
Top!

Welche sieben Städte es sind, scheint ja voll geheim zu sein. In den Links wird nur noch Freiburg erwähnt.

Zum Glück hilft Kugeln. Es sind Leipzig, Aachen, Hannover, Augsburg, Freiburg, Ulm und Münster.

Bei Münster, dessen Altstadt schon sehr menschenfreundlich ist, kann ich mir nur noch vorstellen, dass die drei-vier Rennstrecken, die es innerhalb des Rings noch gibt, auch noch beruhigt werden sollen.

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