Die Stadt verdichtet sich, Baulücke um Baulücke wird zugebaut. Aber auch Baugrundstücke in Innenhofbereichen werden wieder als Baugelände entdeckt. Was nun dazu führt, dass auch von ihren Anwohnern liebevoll begrünte Innenhöfe verloren zu gehen drohen. Ein solches Beispiel war am 14. September Thema im Stadtrat: das Quartier zwischen Zollschuppenstraße und Klingenstraße.

Eigentlich sollte Derartiges gar nicht mehr Thema sein. Gerade der massive Artenverlust, der Grünverlust und die zunehmenden Hitzebelastungen in der Stadt zeigen, dass grüne und unverbaute Innenhöfe dringend gebraucht werden. Was ja Thema des 2018 vom Stadtrat beschlossenen Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (INSEK) ist. Da steht auch die „Doppelte Innenentwicklung“ als Ziel drin.

Rüffel für die Verwaltung

Und auch das war ja am 14. September Thema im Stadtrat: diesmal als ziemlicher Rüffel für die Verwaltung, die das Konzept zur Doppelten Innenentwicklung noch immer nicht fertig hat. Da müssten dann die Vorgaben zu grünen Innenhöfen dick und fett auch drin stehen. Und das müsste zum Ergebnis haben, dass Bauprojekte in Leipziger Innenhöfen künftig so nicht mehr möglich sind.

Vielleicht.

Denn ein Vielleicht stand auch am Ende der Debatte um den Innenhof im Quartier Zollschuppenstraße / Klingenstraße.

Kann das beantragte Bauprojekt noch gestoppt werden?

„Der Oberbürgermeister legt dem Stadtrat rechtzeitig, jedoch spätestens bis Ende des dritten Quartals 2022, einen Aufstellungsbeschluss einschließlich einer Veränderungssperre für das Wohnquartier zwischen Klingenstraße und Zollschuppenstraße sowie Markranstädter Straße und Naumburger Straße vor. Ziel des Bebauungsplanes ist der Erhalt des bestehenden Sozial- und Nachbarschaftsgefüges, der Grünstruktur sowie einer Erhöhung der weiteren Flächenversiegelung im Innenhofbereich vorzubeugen“, hatte die Linksfraktion beantragt.

Denn gerade in diesem etwas abgelegenen Quartier in Plagwitz hat sich wieder etwas entwickelt, was in innenstadtnäheren Quartieren vor 20 Jahren mal möglich war und dann den zunehmenden Bauvorhaben Stück für Stück weichen musste. Die meisten Leipziger kennen so etwas gar nicht, weil ihre Innenhöfe abgesperrt, versiegelt und verbaut sind.

Womit die Innenhöfe der Häuser praktisch ausfallen als Treffpunkt, Erholungsort und Spielplatz.

Hinter der Zollschuppenstraße sieht das noch ganz anders aus, wie die Linksfraktion schildert: „Der grüne Hinterhof im oben genannten Quartier wird als Grün- und Spielfläche durch Mieter/-innen und Nachbar/-innen intensiv zu Erholungs- und Freizeitzwecken genutzt.“

Doch jetzt droht auch hier ein Ende der kleinen Freiheit.

Der Wert grüner Innenhöfe

Denn: „Ein Eigentümer begehrt eine Bebauung des Blockinnenbereiches und hat eigens dafür bereits eine Flurstücksteilung vorgenommen. Die Bebauung hätte eine Zerstörung der besagten Grünfläche im Hinterhof zur Folge und steht somit dem Sozialgefüge und den nachbarschaftlichen Beziehungen konträr entgegen. Trotz des Verlustes an Lebensqualität und Grünstruktur, der Erhöhung der Flächenversieglung, der Verschärfung im Umgang mit Oberflächenwasser ist das geteilte Grundstück nach § 34 BauGB bebaubar.“

Gleichzeitig stellt die Linksfraktion fest, welche fatalen Folgen diese immer dichtere Bebauung hat: „Vielerorts in Leipzig wird die Bebaubarkeit von Grundstücken ausgereizt. Je mehr Fläche bebaut wird, desto höher die Ertragsaussichten. Die reine quantitative Betrachtung der Schaffung von Bruttogeschossfläche löst möglicherweise mittelfristig die Wohnfrage in Leipzig, wirft jedoch zahlreiche Fragen auf. Bei einer Betrachtung, warum Wohnquartiere in Leipzig besser durch den Bevölkerungsschwund in den 90er Jahren gekommen sind als andere, liegt der Schluss nahe, dass Attraktivität und Qualität der Bebauung einschließlich Grünstruktur und Lagekriterium eine wichtige Rolle spielen.

Eine nur durch das BauGB begrenzte Bebauungsdichte führt zu einem Qualitätsverlust und zerstört das gründerzeitliche Erbe der Blockrandbebauung mit den begrünten attraktiven Innenhöfen. – Im Gegensatz dazu haben die vom Stadtrat beschlossenen Sanierungssatzungen in Leipzig u. a. zum Ziel gehabt, entsprechende Blockinnenhöfe zu sichern und sogar zu entsiegeln. Die Entwicklung geht seit Jahren genau in die entgegengesetzte Richtung, was einer kritischen Betrachtung unterzogen werden muss.“

Aber alle diese Satzungen und Leipziger Zielvorstellungen scheitern an einem Baugesetzbuch, dessen Prämissen Jahrzehnte alt sind und Bauherren alle Reche in die Hand geben, wenn auf einem Grundstück Baurecht liegt.

Und das ist wohl bei dem einen Grundstück im Innenhof der Fall, stellte Baubürgermeister Thomas Dienberg fest, nachdem Linke-Stadtrat Mathias Weber beherzt für einen Bebauungsplan geworben hatte, der ein Zubauen des Innenhofes verhindern würde.

Wobei Dienberg vollstes Verständnis für das Anliegen äußerte. Denn gerade die zunehmenden Klimabelastungen zeigen, wie wertvoll begrünte und unverbaute Innenhöfe in der verdichteten Stadt sind.

Rechtliche Unsicherheit

Aber selbst ein Bebauungsplan, der hier eine Nichtbebauung des Innenhofes definieren würde, wäre rechtlich angreifbar.

Das stellte auch das Stadtplanungsamt in seiner Stellungnahme fest: „Schon mit der Vorlage (VII-P-02093-DS-02-NF-01) wurde dargelegt, dass der Entzug bestehender Baurechte sich als äußerst schwierig darstellt und eine solche Planung einer fehlerfreien rechtlichen Abwägung der unterschiedlichen Belange Rechnung tragen muss. Daher wurde durch den Stadtrat beschlossen, dass zunächst eine gesamtstädtische Konzeption zu erarbeiten ist.“

Und genau das wäre die schon vor zwei Jahren bestellte Konzeption zur Doppelten Innenentwicklung, die erst in den nächsten Monaten fertig werden soll.

Aber wenn jetzt gewartet wird, bis die vom Stadtrat beschlossen wurde, steht in Plagwitz die Gefahr im Raum, dass der Bauantrag auch schon eine Genehmigung bekommt. Denn die darf die Stadt ja nicht verweigern, wenn das Bauvorhaben sich in die gesetzlichen Vorgaben einfügt.

Was also tun?

Die Stadt hatte ja sogar an ein Tauschgeschäft gedacht. Aber das ist nicht mehr möglich: „Der Antrag zielt darauf ab, dem einzigen im Blockinnenbereich gelegenen und selbstständig bebaubaren Grundstück das nach wie vor bestehende Baurecht zu entziehen, um vorhandene Grün- und Freiflächen zu erhalten. Zugleich hat jedoch die Stadt Leipzig (richtigerweise) ein in ihrem Eigentum befindliches Grundstück an der Ecke Markranstädter Straße/Klingenstraße im ansonsten fast vollständig entwickelten Blockrand im Jahr 2017 für die Konzeptvergabe ausgeschrieben. Damit kann dem Eigentümer der innenliegenden Baufläche kein adäquates Tauschgrundstück mehr angeboten werden.“

Die Rettung des grünen Innenhofes könnte Vorbildwirkung entfalten

Und auch im Stadtplanungsamt ist man sich sicher: „Die Vorbildwirkung, die von der Annahme dieses Antrags ausgeht, dürfte erheblich sein. Es besteht für den Stadtrat die Gefahr, Einzelfallentscheidungen ohne eine gesamtstädtische konzeptionelle Grundlage zu treffen.

Aus der Sicht der Verwaltung sollten jedoch Entscheidungen über die Einleitung von Bauleitplanungen, deren Ziele insbesondere auf die „doppelte Innenentwicklung“ und in diesem Zusammenhang auch auf den Entzug bestehender Baurechte ausgerichtet sind, auf Grundlage eines beschlossenen Konzeptes zur doppelten Innenentwicklung getroffen werden. Entsprechend VII-A-06824-VSP-01 soll dieses im IV. Quartal 2022 in die politischen Gremien eingebracht werden.“

Also warten auf das Konzept zur Doppelten Innenentwicklung. Und bis dahin? „Der Oberbürgermeister legt dem Stadtrat rechtzeitig, jedoch spätestens bis Ende des dritten Quartals 2022, einen Aufstellungsbeschluss einschließlich einer Veränderungssperre für das Wohnquartier zwischen Klingenstraße und Zollschuppenstraße sowie Markranstädter Straße und Naumburger Straße vor“, hatte die Linksfraktion beantragt.

Jetzt ist die Verwaltung am Zug

Etwas, was der Stadtrat ja nicht mehr schaffen wird, denn das dritte Quartal geht schon am 30. September zu Ende. Die nächste Ratsversammlung, bei der das beschlossen werden könnte, ist im Oktober.

Daran erinnerte FDP-Stadtrat Sven Morlok.

Mathias Weber hingegen konnte darauf hinweisen, dass auch der Stadtbezirksbeirat Südwest am 5. September dem Linke-Antrag mit 6 : 0 Stimmen bei zwei Enthaltungen zugestimmt hatte.

Das Anliegen findet also eine Menge Zuspruch.

Da wischte dann auch die Stadtratsmehrheit das nahende Ende des dritten Quartals erst einmal beiseite und stimmte dem Antrag der Linksfraktion mit 33:25 Stimmen zu. Jetzt ist die Verwaltung am Zug, einen Aufstellungsbeschluss mit Veränderungssperre auszuarbeiten, sodass die Ratsversammlung dazu alsbald abstimmen kann.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar