Mit rechten Dingen ging das möglicherweise nicht zu. Im April stimmte der Stadtrat dem Bau der Gustav-Esche-Brücke II zu, die sich im Verlauf der Gustav-Esche-Straße zwischen Neuer Luppe und Nahle befindet. Um eine Umfahrung für Kraftfahrzeuge zu schaffen, mussten Dutzende Bäume gefällt werden. Die Fällarbeiten begannen im August, mitten in der Vegetationsperiode. Wie kann das sein, fragt die Initiative Stadtnatur Leipzig und beantragt jetzt im Nachhinein eine fachaufsichtliche Prüfung.

Denn völlig unklar ist, wer hier in der Leipziger Verwaltung die „Genehmigungen zu Eingriffen in das Europäische FFH-Gebiet DE-4639-301 und SPA-Gebiet DE-4639-451“ ausgereicht hat.

„Am 01.08.2022 wurde mit der Baufeldfreimachung für das Vorhaben (bauzeitliche Umleitungsstrecke) begonnen. Eine organisatorisch-technische Zuordnung des zu verantwortenden Amtes ist leider nicht möglich, da nicht erkennbar ist, welche Behörde in welcher Sachlage die hier zu behandelnden Entscheidungen gebilligt bzw. veranlasst hat“, stellt die Initiative Stadtnatur in ihrem Schreiben an die Landesdirektion Sachsen fest, mit dem sie die „fachaufsichtliche Prüfung der Verwaltungstätigkeit der Unteren Behörden der Stadt Leipzig bezüglich des Vorhabens Brückenneubau an der Gustav-Esche-Straße (Gustav-Esche-Brücke II)“ beantragt.

Keine Befreiung von Verboten der Schutzgebietsverordnung

„Gemäß Planung wird nun eine bauzeitliche Umleitungsstrecke auf einer Länge von 165 m westlich der Gustav-Esche-Straße durch das FFH-Gebiet gebaut, die nach derzeitigem Stand mit der Entnahme von 47 Bäumen und der Inanspruchnahme von 1.770 m² des LRT 9160 verbunden ist“, stellt das Schreiben an die Landesdirektion fest.

„Dieses Vorhaben kollidiert – trotz Vorliegen von anderslautenden FFH- und SPA-Verträglichkeitsprüfungen – mit den Regularien des BNatSchG, insbesondere hier §§ 19, 34, 35 ebenda. Das gegenständliche Vorhaben liegt außerdem innerhalb des Landschaftsschutzgebietes ‘Leipziger Auwald’. Eine Befreiung gemäß § 8 von den Verboten der Schutzgebietsverordnung oder eine Erlaubnis nach § 5 der Schutzgebietsverordnung gemäß wurden nicht erteilt. Denn eine Verbändebeteiligung ist ebenfalls nicht erfolgt.“

Hat die Stadt hier also viel zu oberflächlich genehmigt? Und untertreibt die Beschlusslage für den Stadtrat die tatsächlichen Folgen für den massiven Eingriff in den Baumbestand?

Die Initiative Stadtnatur sieht da einige berechtigte Fragen: „Die vorliegende FFH-VP ist fachlich defizitär. Es wird im Rahmen der Auswirkungsprognose der FFH-Verträglichkeitsprüfung lapidar behauptet, der Eingriff in den LRT 9160 sei nicht erheblich, weil an gleicher Stelle wieder aufgeforstet und eine Waldumbaumaßnahme von 0,3 ha durchgeführt werden. Dies entspricht nicht den fachlichen Standards der Bearbeitung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung. Bei der Beurteilung der Auswirkungen sind nachgeordnete Maßnahmen nicht mit heranzuziehen.“

Dieser Wald erholt sich erst in 150 Jahren

Und es wird noch schwerwiegender: „Gemäß BfN (FFH-VP-INfo) sind Eichen-Hainbuchenwälder zudem ‘als kaum regenerierbar einzustufen, da eine Regeneration nur in historischen Zeiträumen (>150 Jahre) möglich ist
(vgl. hierzu auch Bierhals et al. 2004:233). Dies begründet sich insbesondere damit, dass diese Bestände auf alten bis sehr alten Böden stocken. Bei einer geringen Zahl und hohen Isolation von Einzelbeständen als mögliche Ausbreitungszentren für eine (Wieder-)Besiedlung durch typische Arten ist eine Regeneration nur in unvollständiger Form zu erwarten.’“

Das Gebiet westlich der Brücke nach den Fällarbeiten. Foto: Ralf Julke
Das Gebiet westlich der Brücke nach den Fällarbeiten. Foto: Ralf Julke

Was für die Initiative Stadtnatur zu der Folgerung führt: „Die UNB hat grundsätzliche fachliche Standards verletzt, indem sie die FFH-VP in dieser Form akzeptiert und nicht zurückgewiesen hat.“

Denn der Eingriff ist erheblich, wie die Initiative Stadtnatur feststellt: „Laut Gebietsdaten zum FFH-Gebiet Leipziger Auensystem befinden sich im Gebiet insgesamt 5,47 ha des LRT 9610. Damit werden durch den Eingriff von 1.770 m² in den LRT alle Orientierungswerte sowie das 1 % Kriterium überschritten. Durch das Vorhaben (Gustav Esche-Brücke II) werden 1.770 m² des LRT 9160 in Anspruch genommen. Diese Inanspruchnahme entspricht 3 % des LRT im Gebiet. Der Eingriff ist erheblich. Das Vorhaben bedarf damit einer Ausnahmeprüfung im Rahmen eines Ausnahmeverfahrens.“

Hinzu käme, dass die anderen beiden Brückenbauwerke – die Nahlebrücke und die Brücke über die Neue Luppe – nicht mitberücksichtigt wurden. Beide Brücken müssen in den nächsten Jahren ebenfalls neu gebaut werden. Wird es dann weitere solcher Eingriffe in den Baumbestand geben, weil wieder Umfahrungen gebaut werden müssen?

Sollte nur die Umleitung vermieden werden?

„Es sind außerdem der schlechte Waldzustand und die Dürre als kumulative Wirkungen anzunehmen. Hinzu kommen kumulative Wirkungen mindestens durch die beiden anderen geplanten Brückenbauwerke an der Gustav-Esche-Straße. Hier wäre noch ein interner Abgleich bezüglich weiterer Vorhaben, die den Auwald tangieren durch das Gutachterbüro, aber auch durch die Stadt Leipzig zu führen, um festzustellen, ob zusätzliche Eingriffe durch Straßenbau, Leitungsbau oder sonstige Beeinträchtigungen zu erwarten sind“, stellt die Initiative Stadtnatur fest.

Und merkt auch gleich an: „An der geplanten Brücke über die Neue Luppe (Gustav-Esche-Brücke I) sind z. B. weitere Fällungen von 570 m² des LRT 9160 vorgesehen, auch diese Beeinträchtigung des LRT ist schon für sich allein genommen erheblich (ebenfalls über 1 % des LRT). Die UNB hat die Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkungen des Gutachterbüros ebenfalls nicht beanstandet.“

Dass die Verwaltung einfach festgestellt hat, es gäbe in der Umgebung keine Umleitungsmöglichkeit für den Kraftverkehr, deshalb müsste eine Umfahrung gebaut werden, sei auch nicht einfach hinzunehmen, stellt die Initiative Stadtnatur fest:

„Es gilt zudem zunächst das Vermeidungsgebot des § 15 BNatSchG. Insbesondere erscheint die Abwägung nicht den Term des mildesten Mittels zu wahren. So wäre es dem Kfz-Verkehr zuzubilligen gewesen, das Areal großräumig während der Baumaßnahme umfahren zu müssen. Bei gänzlichem Fehlen von Annäherungs- und Abwägungswerten, wie die Behörde ihre Entscheidung zugunsten der Fällung und zum Nachteil einer anderweitigen Umfahrungsvariante getroffen hat, wird derzeit davon ausgegangen, dass diese ermessensfehlerhaft bzw. bezüglich des § 34 BNatSchG sogar rechtswidrig ergangen ist.“

Und dann wird es richtig brenzlig, denn die Initiative Stadtnatur stellt fest: „Darüber hinaus hat die Untere Naturschutzbehörde versäumt, für die erheblichen Eingriffe durch eine Neubaumaßnahme innerhalb des Landschaftsschutzgebietes ‚Leipziger Auwald‘ eine Befreiung von den Verboten oder Erlaubnis gemäß Schutzgebietsverordnung zu erteilen und die anerkannten Naturschutzverbände zu beteiligen.“

Da wurde dann – wenn das so ist – ohne Erlaubnis mitten im Schutzgebiet losgesägt.

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Es gibt 2 Kommentare

Da fragt man sich immer wieder, was städtische Ämter so alles abzuwägen haben. Einen Durchlass erhalten für eventuelle Hochwasser, obgleich die Elster oder Nahle ein mindestens 2-3 m tiefer liegendes Flussbett haben, 47 alte Bäume fällen , teilweise um die 100 Jahre, rd. 1.800 m² geschützte Natur beseitigen damit Autos ungehindert zwischen Wahren und Leutzsch fahren können, eine Umleitung wäre den Fahrzeuglenkern nicht zuzumuten. Warum kommt Keiner auf den Gedanken einer Ampelschaltung, so das jeweils eine Spur befahren werden kann? Warum wird solche Möglichkeit ausgeschlossen? An der Georg-Schwarz-Brücke bzw. an der Kreuzung der Georg-Schumann-Str. stehen die Fahrzeuge dann letztendes doch auch nur an einer Ampel.

Das Brückenbauvorhaben unterliegt nach dem SächsUVPG der Planfeststellungspflicht, da es in einem europäischen Schutzgebiet liegt. Sofern kein Planfeststellungsverfahren zur Herstellung des Baurechtes durchgeführt wurde, was all die Dinge rechtlich regelt, die in dem Artikel angesprochen sind, ist die Baudurchführung illegal…

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