Die Energiewende bedeutet nicht nur Abschied von Kohle und Erdgas. Sie bedeutet auch: Eine Stadt wie Leipzig braucht viel mehr Strom – zum Betanken von E-Fahrzeugen, für Klimaanlagen und Wärmepumpen. Das heißt: Auch das Stromnetz muss deutlich ausgebaut werden. Und es braucht zusätzliche Umspannwerke mitten in schon dicht gebauten Wohngebieten.

In Stötteritz wird gerade durchexerziert, wie so ein geplantes Umspannwerk auf dem Gelände des ATV für Konflikte sorgt. Das Stadtplanungsamt erklärt jetzt, warum es wohl keinen Ausweichstandort für diese Fläche gibt.

Zuvor war das Thema im Stadtbezirksbeirat Leipzig Südost hochgekocht. Dort fühlte man sich irgendwie überrumpelt: „Mit Unverständnis haben wir zur gestrigen SBB Sitzung zur Kenntnis genommen, dass die Planungen für ein Umspannwerk auf dem Sportplatz de ATV 1845 e.V. bereits seit 2023 voranschreiten.
Abweichend vom üblichen Verfahrensweg bei wichtigen Angelegenheiten wurde der SBB nicht einbezogen“, schrieb der Stadtbezirksbeirat in einem Antrag, doch lieber nach anderen Standorten zu suchen. 

„Es ist unstrittig, dass ein Netzausbau notwendig ist. Die Bebauung des großflächigen unversiegelten Naturrasenfeldes, welche dem Sport- und Freizeitbedarf dient und einen wichtigen klimatischen Beitrag zum Mikroklima der Stadt leistet, lehnen wir ab. Der Unmut der Beiratsmitglieder und der Gäste war deutlich wahrnehmbar.

Einer der bereits versiegelter Alternativstandorte ist zu bevorzugen, beispielsweise einer der Garagenhöfe Schlesierstraße/Holzhäuser Str. oder Ludolf-Colditz-Straße (Höhe Vaclav-Neumann-Straße). In Anbetracht dessen, dass ca. 32 Mio. Investitionen für das Umspannwerk veranschlagt werden und das Grundstück verhältnismäßig preiswert von der Stadt erworben werden kann, sollte eine angemessene Entschädigung für die jeweiligen Garagenbesitzer möglich sein.

Am Rande des Bedarfsgebietes 1 liegt die ehemalige Friedhofsgärtnerei, welche teilversiegelt ist und momentan als Baustellenabstellplatz, Lagerfläche und Unterkunft dient. Stötteritz wird momentan aus dem 3 km entfernten Thonberg versorgt, daher sollte eine Nutzung der Fläche 450 m vom Sportplatz entfernt, technisch möglich sein.

Somit käme auch der Garagenhof hinter dem Wertstoffhof infrage.

Der stadtweite Netzausbau kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung rechtzeitig mit eingebunden wird und keine ‚Hinterzimmertür-Planungen‘ stattfinden.“

Besorgnis auch in der SPD-Fraktion

Auch die SPD-Fraktion im Stadtrat zeigte sich besorgt und fragte in der Juni-Ratsversammlung nach. Das Stadtplanungsamt gestand damals zu, dass die Einbeziehung der Öffentlichkeit wohl wirklich zu spät erfolgt ist: „Die Einbeziehung der Bevölkerung und der politischen Gremien durch die Netz Leipzig GmbH soll im Falle weiterer, ähnlich gelagerter Vorhaben früher, verbindlicher und in enger Abstimmung mit der Verwaltung gestaltet werden.

Dennoch wird es auch künftig erforderlich sein, dass für eine entsprechende Beteiligung zunächst die substanziellen und belastbaren Plangrundlagen geschaffen werden müssen, um im Falle einer Beteiligung keine Erwartungen zu wecken, welche sich dann als nicht realistisch erweisen.“

Womit im Grunde auch schon angedeutet ist, warum die Information im Stadtbezirksbeirat so spät erfolgte: Irgendwie wollte man keine möglichen Standorte präsentieren, die sich dann technisch nicht umsetzen lassen. Zehn mögliche Standorte hatte die Netz Leipzig in Stötteritz untersucht. Die Fläche am ATV-Gelände erwies sich dabei als die am besten geeignete Fläche.

Aber im Stadtbezirksbeirat gab es dann trotzdem keinen Konsens über den vorgeschlagenen Standort. Und der Beirat hatte durchaus gute Argumente, mit denen er andere mögliche Standorte für das Umspannwerk in Stötteritz vorschlug.

Drei von zehn

Doch auch die eignen sich aus verschiedenen Gründen nicht für die Errichtung eines Umspannwerkes, wie das Stadtplanungsamt nun in seiner Stellungnahme zum Antrag aus dem Stadtbezirksbeirat Südost feststellt.

„Seit 2023 arbeiten Stadt und Netz Leipzig intensiv an der Suche nach einer geeigneten Fläche für ein neues Umspannwerk in Stötteritz. Aufgrund der vergleichsweise kurzen Planungs- und Realisierungsphase von nur 6 Jahren galt es im Zuge eines strikten Auswahlprozesses zügig geeignete Flächen mit einer Größe zwischen 3.000 qm und 5.000 qm zu identifizieren“, erläutert das Stadtplanungsamt den Findeprozess. Zehn Standorte wurden genauer untersucht.

„Im Ergebnis und in Abwägung der verschiedentlichen Kriterien konnten lediglich 3 der insgesamt 10 Flächen überhaupt in die engere Wahl genommen werden. Dies betraf die Grünfläche an der Kolmstraße/Ecke Schlesier Straße, den Garagenhof an der Holzhäuser Straße sowie eine Teilfläche der vom ATV 1845 e.V. genutzten Sportflächen zwischen Kolmstraße/Ecke Pauliner Straße“, das Stadtplanungsamt.

„Aus diesen 3 Flächen kristallisiert sich letztlich die im Eigentum der Stadt (Amt für Sport) befindliche und derzeit vom Verein ATV 1845 e.V. gepachtete Teilfläche an der Pauliner Straße heraus. Darauf aufbauend wurde seitens der Netz Leipzig GmbH mit dem Verein und dem Amt für Sport Verhandlungen über die Inanspruchnahme der Fläche aufgenommen und im Februar 2025 ein Letter of Intent (LOI) unterzeichnet.“

Einer von drei

Aber auch die möglichen Alternativstandorte eignen sich nicht wirklich, stellt das Stadtplanungsamt fest. „Die Grünfläche an der Kolmstraße (Standort 3) wurde nicht weiterverfolgt, da diese Fläche innerhalb des bestehenden Wohngebietes eine wichtige Aufenthalts- und Erholungsfunktion übernimmt sowie für das Lokalklima von sehr hoher Bedeutung ist (vgl. Stadtklimaanalyse).

Im Falle einer Bebauung wäre davon auszugehen, dass der Baumbestand nicht zu erhalten ist und der bestehende Freiraum vollständig bebaut würde. Die daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die in sehr großer Nähe zum Standort lebenden Menschen wären erheblich und durch andere Maßnahmen nicht auszugleichen.“

Aber auch der vom Stadtbezirksbeirat favorisierte Garagenhof an der Holzhäuser Straße bietet sich nicht wirklich an, wie das Stadtplanungsamt feststellt. Derzeit sind hier alle 143 Garagen vermietet und der Garagenhof grenzt an den zentralen Versorgungsbereich Holzhäuser Straße/Kolmstraße an (D-Zentrum).

„Die Einordnung eines Umspannwerkes im Blockinnenbereich, unmittelbar angrenzend an die bestehenden Wohnnutzungen an der Langen Reihe bzw. Schlesierstraße stellt gegenüber der heutigen, ebenfalls nicht zufriedenstellenden Situation weder eine Verbesserung für die Bewohnerschaft dar noch wertet es die heute als ungenügend zu bewertenden Aufenthaltsqualitäten im Nahversorgungszentrum spürbar auf“, schreibt das Stadtplanungsamt dazu.

„Viel mehr wäre zu befürchten, dass eine solche Entwicklung die ohnehin schon im Nahversorgungszentrum bzw. im Quartier zwischen Holzhäuser Straße und Schlesierstraße bestehende sehr ungünstige bioklimatische Situation mit starker Wärmebelastung und einem erhöhten Risiko für Tropennächte negativ verstärkt bzw. im Bereich des Garagenhofes die bestehende mittlere bioklimatische Situation mit (noch nur) mäßiger Wärmebelastung und einem (noch nur) geringem Risiko für Tropennächte sich weiter verschlechtern würde (vgl. Stadtklimaanalyse).“

Für eine andere Nutzung wäre der Garagenstandort hingegen besser geeignet, erklärt das Stadtplanungsamt: „Perspektivisch stellt die sehr gut an den ÖPNV angeschlossene Fläche ein hohes Entwicklungspotenzial im Hinblick auf denkbare Wohnnutzungen mit Ergänzungen zu den Angeboten des D-Zentrum dar. Freiraumbezogene Entwicklung eröffnen in diesem Kontext die Chance, die in diesem hochverdichteten Stadtquartier vorherrschenden lokalklimatischen Bedingungen durch eine stärkere Begrünung und Schaffung von (öffentlich nutzbaren) Aufenthaltsangeboten zu verbessern.“

Mit dem ATV schon weitgehend einig

Und so bleibt aus Sicht der Stadt nur die ca. 3.200 qm umfassende Teilfläche des Geländes des ATV 1845 (Fläche 10). Sie „liegt am Rand des identifizierten Lastschwerpunkts, jedoch in günstiger Entfernung und Lage zum Knotenschwerpunkt.

Die an die Paulinerstraße angrenzende Fläche ist Bestandteil eines zivilrechtlichen Pachtverhältnisses mit einer Laufzeit bis Ende 2035. Die Inanspruchnahme der Fläche für den Bau des Umspannwerkes bedeutet zunächst den Verlust einer Sportfläche, die durch den Verein, selbstorganisierte, freizeitorientierte Sportgemeinschaften sowie die Öffentlichkeit genutzt wird. Dieser Verlust könnte kompensiert werden, wenn z.B. eines der benachbarten Spielfelder als Kunstrasenplatz ausgeführt wird und so eine höhere Auslastung der verbleibenden Sportflächen aufgrund konstanter Bespielbarkeit ermöglicht wird.“

Der Sportverein sei auch grundsätzlich bereit, die langfristig verpachtete Fläche vorzeitig aus dem Pachtvertrag herauszulösen und das Bauvorhaben der L-Gruppe zu unterstützen, stellt das Stadtplanungsamt fest. „Es bietet ihm die Chance, Projekte des Vereins umzusetzen, welche einen nutzungsbezogenen Mehrwert für den Verein, das Umfeld und die Nachbarschaft darstellen können.

Ebenso kann z.B. durch den Bau einer Bewässerungsanlage mit Regenwasserspeicher eine nachhaltige Bewässerung des Naturrasens gewährleistet und den Verbrauch von Trinkwasser in diesem Zusammenhang deutlich reduziert werden. Als Grundlage dafür wurde zwischen Verein, Stadt Leipzig und der Netz Leipzig GmbH ein Letter of Intent im Februar 2025 unterzeichnet.“

Energiewende und Stadtklima

So oder so ist es ein Kompromiss: Was gibt man auf für das für die Energiewende dringend benötigte Umspannwerk, eine der ersten, die in Leipzig aufgrund des wachsenden Stromverbrauchs gebaut werden. In einem verdichteten Stadtraum, wo verfügbare Flächen sowieso knapp sind.

„Auch wenn mit dem Vorhaben die zusätzliche Versiegelung von einer Teilfläche von ca. 1.600 qm (Gebäudegrundfläche zzgl. Zufahrten) verbunden ist, werden die befürchteten Auswirkungen auf die laut Planungshinweiskarte der Stadtklimaanalyse sehr hohe klimaökologische Funktion der ATV-Fläche als vertretbar eingeschätzt“, fügt das Stadtplanungsamt noch hinzu.

„Hierbei wird nicht in Abrede gestellt, dass das gesamte Areal des Vereins mit ca. 6.8 ha Fläche im Zusammenspiel mit den angrenzenden ausgedehnten Freiräumen des Südfriedhofs und der landwirtschaftlich genutzten Flächen nördlich der Herzklinik in den Wechselwirkungen der klimabeeinflussenden Faktoren unstrittig eine wichtige Rolle einnimmt.“

Am 19. August beschäftigt sich noch einmal der Stadtbezirksbeirat Südost mit der Stellungnahme aus dem Stadtplanungsamt. Danach wird sie noch mehrere Ausschüsse des Stadtrates durchlaufen, bevor sie in der Ratsversammlung behandelt wird.

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Die Energiewende dürfte hierbei übrigens nicht die stärkste treibende Kraft sein. In Stötteritz fehlt schon immer ein Umspannwerk und nun leben dort auch noch erheblich mehr Menschen als noch in den 1990ern. Perspektivisch werden es mit dem Neubau des “Stötteritz Park” noch mal deutlich mehr werden. Da auch in Reudnitz mehr Menschen leben und auch dort noch einige größere Bauprojekte geplant sind, muss man zur Entlastung des bestehenden Umspannwerkes ein weiteres errichten, wenn man eine sichere Stromversorgung haben möchte.

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