Nach zwei aufgeheizten Legida-Jahren in Leipzig von 2015-2017 war es danach ein wenig ruhiger geworden. Doch bei den Protesten gegen eine AfD-Veranstaltung mit der Bundestags-Spitzenkandidatin Alice Weidel in der Alten Handelsbörse konnte man am Dienstagabend eine Art Comeback erleben: Bekannte Slogans, die spürbare Spannung in der Luft und manch nur allzu vertrautes Gesicht.

Nach Angaben der LVZ unter Berufung auf Augenzeugen 60 bis 70 Menschen, nach eigener Schätzung etwas mehr, beteiligten sich am Dienstagabend am Protest gegen ein Treffen der AfD in der Alten Handelsbörse mit Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl am 24. September.

Schon eine Stunde vor dem offiziellen Beginn postieren sich erste Gegner der Rechtspopulisten hinter dem Gebäude, entrollen ihre Transparente. Sie hätten doch keine Ahnung und sollten erstmal richtig arbeiten gehen, beschimpft ein älterer Herr drei jugendliche AfD-Gegner sinngemäß. Woher er seine Arroganz nehme, kontert das Trio. Gleich die erste und nicht letzte Konfrontation des Abends.

Auch auf der anderen Seite, am Eingang zum Gebäude, versammeln sich Gegendemonstranten, Neugierige und Beobachter, es kommt zu ersten Diskussionen. Eine als „OfD-Heidi“ bekannte Dame spaziert unbeirrt mit AfD-Flyern und einem Schild „Die Linke will Bleiberecht für ALLE. Wir nicht!“ durch die Menge. Auf Nachfrage erklärt sie, sie wisse noch nicht, wen sie am 24. September wählen wolle. Wie das mit ihrer offenen Parteinahme für die AfD zusammengeht, bleibt unklar.

Sprechchöre und Trillerpfeifen setzen immer wieder ein, während sich die Menge der AfD-Sympathisanten im Vorhof der Handelsbörse trifft. AfD-Landtagsmitglied Uwe Wurlitzer läuft ungerührt hin und her. Dann wird auch noch ein anderer Bekannter bei den Rechtspopulisten gesichtet: Stephane Simon.

Der ehemalige Bundespolizist aus Frankreich fiel schon als Redner und Teilnehmer bei den „Mahnwachen für den Frieden“ im Jahr 2014 auf, rief später auch bei Legida und Pegida oft seine Weltsicht ins Mikrophon. Mehrfach sorgte er bei Gerichtsprozessen für Eklats, indem er die Legitimität der Juristen anzweifelte. Zu den Zielen seiner verbalen Angriffe zählten neben den Medien schon Juliane Nagel, Bernd Merbitz – der sich übrigens auch kurz sehen ließ – und Journalisten der L-IZ. Bei einer Diskussionsveranstaltung über den geplanten Bau einer Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde wurde der Franzose im November 2013 aus der Gohliser Michaeliskirche verwiesen, da er nach dem Abdrehen des Mikrophons weiter herumgebrüllt hatte.

Off the records, also nicht zitierfähig, attackiert ein älterer Herr kurz darauf einen Mann, der sich als Anhänger der AfD-Gegner und Mitglied der Linkspartei zu erkennen gibt. Wir geben die gefallenen Worte hier nicht wieder, nur unsere Schlussfolgerung: Manchen fehlt offenbar die gute Kinderstube und höheres Alter macht nicht jeden weiser.

Nicht weniger heftig, aber zumindest ohne persönliche Beleidigungen geht es hinter der Handelsbörse zu, wo sich eine Gruppierung mit ihren Transparenten postiert hat. Kontrovers diskutieren zwei Männer über die Kölner Silvesternacht von 2015/16, die Angriffe von damals und die Täter. Man wirft sich wechselseitig Realitätsverweigerung und rechte Hetze vor. In einem ist sich der empörte Bürger mit seinen linken Opponenten zumindest einig: „Der da ist genauso schlimm!“ Gemeint ist FDP-Bundeschef Christian Lindner, der von den Wahlplakaten ringsherum hinabschaut.

Der gesamte Abend verläuft friedlich, die präsente Polizei hält sich im Hintergrund. Nach Abschluss der Veranstaltung kommt es hinter der Handelsbörse erneut zu einem Aufeinandertreffen der verfeindeten Lager. Wieder beginnen Verbalraufereien. Ein junger SPD-Anhänger geht „OfD-Heidi“ an, will von ihr wissen, was die AfD zum Thema Rente zu sagen hat. Sie weicht aus, lenkt das Gespräch auf Hartz IV und die große Ungerechtigkeit. Wie könne jemand mit vielen Arbeitsjahren das gleiche Geld vom Staat kassieren wie ein Jüngerer, der noch nie richtig geackert hat? Zumindest hier gibt es Schnittpunkte bei den zwei Streithähnen.

Auch Stephane Simon diskutiert munter mit, äußert sich gegen ein EU-Diktat aus Brüssel. Als ehemaliger Bundespolizist habe er Erfahrung mit Europa, macht er geltend, wirft dem jungen SPDler, mit dem er eben debattiert hatte, Arroganz vor.

Für ihn ist klar: Angela Merkel ist eine Verbrecherin, hat bei der Welle an Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kam, Gesetze missachtet, trage mit ihrer Einladung quasi die Schuld an Ertrunkenen im Mittelmeer. Den Einwand, der Krieg gegen den Irak, dessen Spätfolgen wir bis heute spüren, habe 2003 auf Geheiß der USA und ohne Merkel begonnen, lässt Simon nicht gelten: Schließlich sei Merkel Schröder damals mit ihrer US-freundlichen Position in den Rücken gefallen. Dann hätten die USA also auf den Krieg verzichtet, hätte sich die heutige Kanzlerin seinerzeit hinter Schröders Antikriegskurs gestellt?

Er sei auch mal ein Idealist gewesen, was Geflüchtete angeht, betont ein älterer Mann auf dem Fahrrad. Doch seine Erfahrungen als Helfer in einem Flüchtlingsheim hätten ihn eines besseren belehrt. Und warum würde die Masse an jungen Männern aus Syrien nicht in ihrem Land gegen den IS kämpfen, sich durch Flucht einer Wehrpflicht entziehen? Auch er habe doch in der DDR zur Fahne gemusst. Ob er das auch getan hätte, wenn die DDR wie Syrien im Krieg gestanden hätte, fragen wir zurück. „Das weiß ich nicht“, gibt der Herr immerhin ehrlich zu.

Und verweist dann auf einen LVZ-Bericht, wonach viele Geflüchtete kürzlich nicht zu einem von der Stadt Leipzig initiierten Arbeitsprojekt erschienen seien. Wir erwidern darauf, dass die LVZ hier offenbar unhinterfragte Zahlen kolportiert und damit diversen AfD-Ideologen in die Hände gespielt hatte. Unser Kollege Ralf Julke hat sich die Statistik erst kürzlich genauer angeschaut und ein etwas anderes Fazit gezogen. Wir wüssten offenbar Bescheid, entgegnet der Herr erstaunt. Er scheint die Bemerkung ernst zu meinen, verabschiedet sich dann, er müsse nach Hause, und verschwindet mit seinem Fahrrad in die beginnende Nacht.

Um uns herum ist alles ruhig geworden. Auch für uns ist der Abend beendet – mit der Erkenntnis: Miteinander reden funktioniert längst nicht immer, ist kein Wundermittel, aber hilft manchmal schon. Und besser als Gewalt ist es allemal.

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