Augenscheinlich hat Innenminister Roland Wöller (CDU) nicht mal mit der Wimper gezuckt, als er die Anfrage von Valentin Lippmann (Grüne) zur Überwachung demokratischer Projekte durch den Sächsischen Verfassungsschutz beantwortete. Es gibt zwar keine rechtliche Grundlage, aber durch eine kleine Richtlinie im Sozialministerium hat man sich einfach ein nettes Schlupfloch geschaffen, die Antragsteller dennoch vom Verfassungsschutz unter die Lupe nehmen zu lassen. Ein Unding, kommentiert das das Netzwerk Tolerantes Sachsen. Mit Demokratie und Transparenz hat das nichts zu tun.

„Die Einschätzungen des Geheimdienstes stehen nicht selten auf tönernen Füßen. Völlig intransparent bleibt, wie der Verfassungsschutz zu seinem ‚Urteil‘ kommt. Die Einordnung von Bestrebungen als ‚extremistisch‘ hält auch wissenschaftlichen Kriterien nicht stand“, kommentiert diesen nun offenkundig gewordenen Tatbestand Andrea Hübler, Sprecherin des Netzwerks Tolerantes Sachsen. „Dennoch wird dem Verfassungsschutz die Kompetenz zugesprochen, darüber zu urteilen, welche Demokratieprojekte demokratisch – und damit förderwürdig – sind und welche nicht?“

Wie durch Valentin Lippmanns parlamentarische Anfrage an die sächsische Staatsregierung nun bekannt wurde, haben sächsische Behörden Demokratieprojekte im Freistaat geheimdienstlich überprüfen lassen. Betroffen waren Projekte im Landesförderprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“. Das zuständige Ministerium hat demnach „regelmäßig“ Projektträger vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV Sachsen) überprüfen lassen, die Förderanträge gestellt haben. Geprüft wurde dabei laut Sächsischer Staatsregierung, „ob und inwiefern dort Erkenntnisse zu den zur Förderung vorgeschlagenen Projekten bzw. Projektträgern vorliegen, die eine Förderung infrage stellen bzw. ausschließen könnten.“

Die Überprüfungspraxis verstößt aber eindeutig gegen rechtsstaatliche Prinzipien, wie ein kürzlich veröffentlichtes juristisches Gutachten belegt. In Auftrag gegeben wurde es vom Bundesverband Mobile Beratung e.V. (BMB), dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD).

„Im Gutachten wurde unmissverständlich festgestellt: Es gibt es keine rechtliche Grundlage für die Überprüfung. Sie ist sogar verfassungsrechtlich bedenklich, denn sie stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte einzelner dar“, erklärt Andrea Hübler und ergänzt: „Diese Praxis widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien: weder erfahren Betroffene von der Überprüfung, noch wird ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt. Eine unabhängige Kontrolle gibt es ebenso wenig, wie eine Möglichkeit des Widerspruchs.“

Die Überprüfungen von Demokratieprojekten belasten das Vertrauensverhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der engagierten Zivilgesellschaft. Und sie setzen die alte Praxis fort, demokratische Initiativen staatlich mit Misstrauen zu überziehen.

„Wir sind es leid, vom Verfassungsschutz mit Verfassungsfeinden auf eine Stufe gestellt zu werden. Die Bekämpfung von menschenverachtenden Einstellungen ist nicht ‚extrem‘, sondern eine demokratische Grundpflicht“, erklärt Hübler.

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen ist ein Zusammenschluss von etwa 100 Organisationen und Vereinen der sächsischen Zivilgesellschaft, die sich für die Förderung demokratischer Kultur und vielfältige Lebensweisen sowie gegen Einstellungen der Ungleichwertigkeit, Antisemitismus und Rassismus einsetzen.

Sachsens Demokratieprojekte werden noch immer regelmäßig vom Verfassungsschutz überprüft

Sachsens Demokratieprojekte werden noch immer regelmäßig vom Verfassungsschutz überprüft

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