Wenn ein Schüler „die ganze Nacht lang“ vor der Prüfung lernt, nennt man das zu Recht „auf den letzten Drücker“. Und es beschreibt wohl, wie lange da vorher nichts in den Kopf hineinwollte oder schlichte Denk- und Lernfaulheit. Die Folgen des Bulimie-Lernens: wenig Durchdachtes, viel Gemerktes, wenig Behaltenes schon wenige Stunden später – Placebo-Wissen für den Test. Wie nachhaltig das „Klimapaket“ der Berliner Koalition ist, wird sich erweisen, die ersten Ergebnisse werden gerade erst bekannt. Nach einer „Nachtsitzung“ am Morgen danach.

Update 23 Uhr: Fazit des Tages

In der Presse, die man zum progressiven Teil dieses Landes zählen kann, wird das als Eckpunktepapier betrachtete „Klimapaket“ als mutlos und absolut unzureichend zerrissen. Der Spiegel schreibt von einem „Päckchen“ und titelte am Abend mit „Gute Nacht“. Der Tenor: vor 30 Jahren wäre dieses Maßnahmenbündel noch ein guter Schritt gewesen – nun urteilten Experten bereits mit „Politikversagen“.

Auch vor Ort in Leipzig bei der Klimastreik-Demonstration sprachen sich im Laufe des Nachmittages die ersten Schritte der „GroKo“ herum und sorgten aufgrund der geringen Lenkungswirkung für die Endverbraucher eher für Kopfschütteln, als für Zuversicht. Die Maßnahmen setzen zwar an vielen richtigen Stellen an, doch sind jeweils in der Schrittlänge zu klein. Vor allem der geringe CO2-Preis als Möglichkeit flächiger klimaschädliches Verhalten auch der Endverbraucher zu verteuern, dürfte verpuffen, angesichts des Einstieges mit 10 Euro für die Tonne (siehe weiter unten im Ticker).

So gelangen die Erhöhungen kaum beim Endkunden an, sein klimaschädigendes Verhalten wird demnach nach diesen Plänen nur im gebrochenen Centbereich sanktioniert. Eine Größenordnung, die Unternehmen praktisch „wegschlucken“ können, während zu wenige Abgaben zur Umverteilung Richtung klimafreundlichem Verhalten hereinkommen.

Auf der anderen Seite der Skala (nicht auf der Demo, eher im Netz) schwoll bereits heute schon so manchem der Kamm angesichts des Wortes „Benzingelderhöhung“. Dass diese marginal ausfallen dürfte und zudem die Pendlerpauschale erhöht wird, mutet objektiv gesehen eher wie ein „linke Tasche-rechte Tasche“-Geldtrick an. Einer, der an der Pkw-Belastung der Großstädte wie auch Leipzig kaum etwas ändern dürfte, Bahnticket-Mehrwertsteuersenkung hin oder her.

Denn während die Autofahrer vom Anstieg kaum etwas spüren werden, ist bei den Bahnverbindungen in Deutschland das Problem fehlender Schienen und Züge in enger Taktung und höherer Stückzahl längst bekannt. Exemplarisch auch an der Leipziger S-Bahn zu beobachten – das tiefgreifendere Problem liegt in der Verfügbarkeit komfortabler Verbindungen, auch Nachts. Ob die kleinen Preissenkungen Lenkungswirkung hin zur Bahn zeigen werden, ist eher fraglich.

Während man im Nachrichten-Berlin bereits (erneut) am Sinn der CDU, CSU/SPD-Koalition zweifelt, ging heute so mancher in Leipzig mit dem Gedanken nach Hause, dass das wohl trotz der 20.000 Teilnehmer nicht die letzte Großdemonstration für den Klimaschutz gewesen sein dürfte. Da schweift der Blick auch mal Richtung 2021, wenn spätestens ein neuer Bundestag gewählt werden soll. Dass es ein Marathon wird, eine ernsthafte Klimawende einzuleiten, dürfte heute noch einmal klar geworden sein.

Der Auftritt von Bodo Wartke mit klarem Statement für den Hambacher Wald und gegen dumme Politik am 20. September 2019 in Leipzig. Video: L-IZ.de

Heute ließen es erst einmal bei stark absteigenden Herbst-Temperaturen am Abend „Feurig sein Peter“ aus Leipzig letztlich mit dem zweiten, dem Angst-Aspekt der derzeitigen Eierei in Berlin ausklingen. Die Angst vor denen, die beharrlich den menschlichen Anteil an der Klimakrise leugnen. Beim Ärzte-Cover „Schrei nach Liebe“, welches durch die Band explizit der AfD gewidmet wurde, konnte jeder vor der Bühne mitsingen.

Und bevor es vergessen wird: Es war ein friedlicher Tag und ziemlich junge Menschen von „Fridays for Future“ organisierten eine der größten Demos in der Leipziger Geschichte. Allein dafür haben sie Respekt verdient – auch von jenen, die heute Zeit hatten, in den sozialen Netzwerken gegen sie zu hetzen.

Update 19 Uhr: Klimastreik – Video; Reden und Musik bei Fridays for Future Leipzig auf dem Augustusplatz

Klimastreik – Video & Bildergalerie: Redebeiträge & Impressionen bei Fridays for Future Leipzig

Update 17:50 Uhr: Kein Ende des Zuges in Sicht

Der Klimastreik-Impact ist auch in Leipzig ein ziemlich großer bei der heutigen Demonstration. Mittlerweile kann man getrost von 25.000 Teilnehmern sprechen und von jeder Menge Staus und hupenden Autos. Ein Bild, was mancher Pkw-Lenker unangenehm mit sich in Beziehung gebracht sieht, wenn er – angesichts des derart langen Demozuges auf dem Ring – durchaus eine dreiviertel Stunde bis Stunde an einer Kreuzung warten muss.

Entweder haben einige noch immer unterschätzt, was sich da an Mengen ab 15 Uhr auf dem Augustusplatz trafen (und diesen füllten) oder sie wollten sich die Schilder, Plakate und Spruchbänder halt in Ruhe durch die Frontscheibe ihres Autos ansehen? Oder man ist halt stolz darauf, keine Nachrichten mehr zu lesen.

Während die ersten des Klimastreik-Zuges am Wilhelm-Leuschner-Platz und Rathaus vorbei sind, gehen die letzten vom Augustusplatz los. Es ist also zu erwarten, dass um 18 Uhr kaum alle auf dem Platz zurück sein werden, wenn dann weitere Ansprachen und nach Bodo Wartke und Sarah Lesch weitere Konzerte folgen werden.

Nachtrag: Da die Zahlen heute aufgrund der Menge, der Zu- und Abflüsse sowie der zwei Veranstaltungsteile auf dem Augustusplatz sehr schwer zu schätzen sind, bleibt es wohl derzeit bei 20.000.

Video: L-IZ.de

17 Uhr: Erste Videoimpressionen

Während der Demozug um den Leipziger Ring läuft, erhöhen sich die Teilnehmerzahlen auf gesamt 25.000. Den Zug führen wie gewohnt die Kids von Fridays for Future an. Videos der Ansprachen kann man hier nachhören.

Video: L-IZ.de

Video: L-IZ.de

Video: L-IZ.de

Video: L-IZ.de

Rund 20.000 Teilnehmer haben sich zum Klimastreik eingefunden.

14 Uhr: 300.000 Demonstranten in Sydney und Bodo Wartke in Leipzig

Dass eine umweltgerechte Wirtschaft und Lebensweise eher eine Querschnittsaufgabe durch alle Bereiche hindurch ist, haben die mittlerweile unzähligen „for Future“-Gruppierungen verstanden. Und die sind heute als Parents, Omas, Scientists, Schüler, Studenten, Unternehmer, Künstler und Arbeitnehmer auf der Straße. Im australischen Sidney begann der Tag mit sagenhaften 300.000 Teilnehmern, in Berlin stehen die Proteste zur Stunde am Brandenburger Tor und in Leipzig wird sich ab 15 Uhr alles auf dem Augustusplatz sammeln, um zur Demonstration einmal um die Innenstadt aufzubrechen, Konzerten (u. a. mit Bodo Wartke) und Redebeiträgen beizuwohnen (Programm unten).

Der Berg kreiste …

Die ersten Enttäuschungen dürften auch über das gerade bekanntwerdende Eckpunktepapier der Großen Koalition laut werden. Mehrere Medien berichten übereinstimmend, dass es sich zum Beispiel bei der lange diskutierten CO2-Bepreisung eher um eine Maus handeln dürfte. Im Verkehrs- und Gebäudebereich will die Koalition nach Informationen des SPIEGEL mit eher lächerlichen „Festpreisen für Zertifikate“ einsteigen. „Konkret sind für die Jahre 2021 bis 2025 Preise pro Tonne Kohlendioxid (CO2) von jeweils 10, 20, 25, 30 und 35 Euro vereinbart worden“, so SPON.

Bereits in den Debatten bis heute wurde eben dieser befürchtete, geringe Einstieg kritisiert, weil die Wirkung des CO2-Preises auf die Verbraucher somit der gering gehalten wird. Ob er damit die gewollte Lenkungswirkung entfaltet, darf man bereits bestreiten – am Ende steigen Preise selbst bei stark CO2-belasteten Produkten und Dienstleistungen für die Verbraucher nur im minimalen Centbereich.

Gleichzeitig soll tatsächlich ab 2021 die Pendlerpauschale um 5 Cent pro Kilometer erhöht werden, welche – so Kritiker im Vorfeld – eher wieder dazu beiträgt, den Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren aber auch generell eben nicht zu senken. Auch an der „schwarzen Null“ möchte die Koalition festhalten, ein wirkliches Investitionspaket über die heute bekanntgewordenen 50 Milliarden Euro bis 2023 hinaus wird es also mit CDU und SPD trotz Null- bis Minuszinsphase nicht geben.

Im Kohleausstieg scheint es kaum Bewegungen weg von 2038 hin zu 2030 gegeben zu haben, obwohl die Koalition heute beteuert, mit den nun bekanntwerdenden Maßnahmen die Klimaziele Deutschlands zu erreichen. Vielleicht hofft man ja auch auf ein ökonomisches Ende der Kohle in der Lausitz und anderswo im Land – die Kunden verlieren die Kohlekraftwerke ja längst. So will auch Leipzig bereits Ende 2022 aus der Fernwärme aus Kohlestrom aus- und auf ein stadteigenes Gaskraftwerk und Geothermie umsteigen.

Bislang wirkt es also eher so, als ob da in der Nacht und den letzten Tagen ein Berg mächtig kreiste und nun, aus Angst vor den konservativen bis AfD-Wählern eine Maus gebar. Apropos: die streikt heute auch, wie ein Twitterbeitrag verrät.

Ab 15 Uhr ist die L-IZ.de auf dem Augustusplatz vor Ort. Dann wird es in den Reden und Musikbeiträgen erste Statements zu den ersten Informationen aus dem „Klimapaket“ und Foto-/Videoimpressionen geben.

Das Programm für den Klimastreik am 20. September

Um 15 Uhr auf dem Augustusplatz beginnt die große Klimademo, zu der mehrere Tausend erwartet werden.

15:00-16:30 Uhr: Auftaktkundgebung mit Redebeiträgen von FridaysForFuture und von durch die Ausbeutung des Planeten betroffenen Menschen sowie musikalischen Beiträgen von Bodo Wartke, Dota Kehr und Sarah Lesch

16:30-18:00 Uhr: Demonstrationszug entlang des Innenstadtrings und über die Goethestraße zurück zum Augustusplatz in verschiedenen thematischen Blöcken

FridaysForFuture
Scientists4Future
Health4Future
Parents & Grandparents4Future
Artists4Future
SOS Amazônia
System Change (organisiert von Ende Gelände)
We will block you (organisiert von Extinction Rebellion)
Naturschutz und Landwirtschaft (organisiert vom NABU)
Global denken, lokal handeln (organisiert vom Ökolöwen)

Ab 18 Uhr: Abschlusskundgebung und Abschlusskonzert auf dem Augustusplatz mit „Makeda feat. Münchhoff & Friends“ und „Feurig sein Peter“.

Für die Auftakt- und Abschlusskundgebung wird eine Bühne auf der Opernseite des Augustusplatzes bereitstehen. Über das Weiterfahren der Straßenbahnen am Augustusplatz wird die LVB und die Polizei vor Ort entscheiden, während des Demonstrationszuges kommt es zu Straßensperrungen.

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