Am 18. August kam es im Zusammenhang mit der Vorführung von Oliver Stones Film „Ukraine on Fire“ im Rahmen des diesjährigen Globale-Filmfestivals zu einer durchaus für aufsehenerregenden Protestaktion. Doch da protestierten nicht irgendwelche aufgeregte Leipziger, die mit der Einordnung des Ukraine-Krieges durch die Festivalmacher nicht zufrieden waren. Da protestierte das Óstov Collective.

Und damit Leipziger, die wussten, warum sie protestierten und warum der Oliver-Stone-Film von 2016 nicht nur nicht in die Diskussion um den Ukraine-Krieg gehört, sondern auch ein verzerrtes Bild der jüngeren Geschichte der Ukraine bietet.

Aber lassen wir Óstov Collective selbst zu Wort kommen. Wir haben die jungen Leute gefragt, warum sie am 18. August protestiert haben und was sie umtreibt.

Warum habt ihr protestiert? Was genau hat euch an der Vorführung des Films „Ukraine on Fire“ besonders gestört?

Während der Vorführung haben wir versucht, auf die Problematik des Filmes hinzuweisen, weil der gezeigte Film „Ukraine on Fire“ eindeutig propagandistische Inhalte vertritt. Er beinhaltet erwiesenermaßen Falschinformationen und dazu wurde die Vorführung auch noch mit Geldern der Stadt Leipzig finanziert.

Bei der Vorführung ging es in unseren Augen nicht mehr darum, dem (teils, wie wir in Gesprächen herausgefunden haben, unwissenden) Publikum eine alternative historische Sicht auf die Ukraine oder ein wertvolles demokratisches Bildungsprogramm zu bieten, sondern um eine ganz klare Meinungsmache zugunsten des Putinismus und der Diktatur in Russland bzw. um die Verteidigung einer sehr spezifischen anti-westlichen Weltanschauung.

Der Film nutzt zudem fast sämtliche Methoden, die eben auch in klassischer Propaganda zu finden sind: Information und Meinung werden vermischt, entscheidende Fakten verdreht oder ausgelassen und über historisches Geschehen wird einseitig berichtet oder sich nur auf isolierte Aspekte fokussiert.

Das Ganze wird dann auch noch recht dramatisch inszeniert, was im Gegensatz zu einem rationalen und pluralistischen Diskurs steht. Wir hatten gehofft, dass die Veranstalter/-innen vor der Vorführung dem Publikum eine Einordnung über die Kontroverse des Filmes bieten, was jedoch nicht geschehen ist.

Zu der anschließenden Diskussion ist dann auch nur eine einzige eingeladene Rednerin erschienen, die ebenfalls eine recht ausgeprägte pro-russische Meinungen vertritt. An Einseitigkeit war die gesamte Vorführung also kaum zu überbieten.

Wir finden, dass ein demokratischer, pluralistischer und differenzierter Diskurs über ein politisch so relevantes Thema wie den Krieg gegen die Ukraine bzw. die Geschichte des Landes anders geht. Das, was bei der Vorführung geboten wurde, führt in unseren Augen nur zu einer weiteren Spaltung innerhalb der Gesellschaft in Deutschland und bietet Grundlage für Verschwörungstheorien.

Menschen sollten sich ja schließlich ihre eigene Meinung auf Basis von Fakten und nicht auf Manipulation in Form von Falschinformationen, einseitigen Diskursen oder verdrehten Sachverhalten bilden können.

Wolltet ihr wirklich die Diskussion über den Film unterbinden? Immerhin stammt der Film ja von 2016 und zeigt vor allem die Sicht von Oliver Stone auf die Orange Revolution von 2004 Was stimmt aus eurer Sicht an dem Film nicht?

Nein, wir hatten an sich nicht vor, die Diskussion über den Film zu unterbinden. Auch wenn wir von Anfang an natürlich gegen den Film und seine Inhalte waren, sind wir primär gekommen, um mit den Veranstalter/-innen des Filmfestivals vor Beginn der Vorführung zu reden.

Wir wollten uns aus unserer Perspektive gegen den Film aussprechen und uns über die Haltung der Veranstalter/-innen zu dem Film an sich aber auch dem Krieg gegen die Ukraine informieren. Wir hatten selbst ja nur kurze Zeit vor Beginn von der Veranstaltung erfahren.

Die Gespräche verliefen jedoch leider nicht gerade auf Augenhöhe und unter gegenseitigem Respekt. Vieles, was uns gesagt wurde, war zudem insbesondere gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine beleidigend und recht fragwürdig.

Wir hatten schnell den Eindruck, dass die Veranstalter/-innen den Film nicht kritisch oder zumindest differenziert betrachten, sondern sich vielmehr von den Inhalten und Narrativen des Filmes bestätigt fühlen und Meinungen mit der Vorführung ganz gezielt beeinflussen wollen.

Weiter ins Detail gehen können wir über die Aussagen der Veranstalter/-innen aufgrund des derzeit laufenden Verfahrens bedauerlicherweise nicht. Auch um den Rahmen dieses Interviews nicht zu sprengen, können wir leider nicht auf alle Problematiken des Filmes von Oliver Stone und Igor Lopatonok eingehen. Dennoch möchten wir hier ein paar Punkte zum Ausdruck bringen, die uns und auch viele Kritiker/-innen bzw. Expert/-innen an dem Film „Ukraine on Fire“ so sehr stören.

Zunächst einmal fokussiert sich der Film nicht auf die Orangene Revolution, sondern deckt in unterschiedlicher Detailliertheit historische Ereignisse vom 17. Jahrhundert bis zu den Jahren 2013/14 ab. Sozusagen die Hintergründe zu den Maidan-Protesten in der Ukraine, die letztendlich auch im Fokus des Filmes stehen.

Das an sich wäre natürlich nicht problematisch, wenn Stone und Lopatonok in ihrem Film nicht die These aufstellen würden, dass es sich dabei um einen Staatsstreich unter der Federführung der USA gehandelt hätte. Diese Kernaussage grenzt schon sehr nah an eine Verschwörungstheorie und hat bei Weitem nichts mit der Realität zu tun, dafür aber umso mehr mit russischer Propaganda gemeinsam.

Initial waren es vielmehr innenpolitische Faktoren, die ausschlaggebender Punkt für die Maidan-Proteste in den Jahren 2013/14 waren. So war einer der Hauptauslöser für die Proteste das geplatzte Assoziierungsabkommen mit der EU, das die ukrainische Regierung unter Yanukowytsch nicht unterzeichnen wollte. Den Protestierenden, die aus allen Teilen der Gesellschaft kamen, ging es also um das Eintreten für Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Freiheit und europäische Werte.

Daraufhin versuchte die russische Propaganda, genau wie der Film „Ukraine on Fire“, den Umsturz der ukrainischen Regierung als ein vom Westen finanziertes und von Nazis angetriebenes Ereignis darzustellen.

Wenig später wurde dann von Russland völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim annektiert, was zu extremen politischen Spannungen führte und letztendlich in einem militärischen Konflikt bzw. dem derzeitigen Krieg gegen die Ukraine mündete.

Als wäre das noch nicht alles, reproduziert der Film viele weitere Narrative, die genauso auch Teil der Propaganda Russlands sind und dort als Rechtfertigung für den Angriffskrieg auf die Ukraine verwendet werden. Stone und Lopatonok stellen die Ukraine ebenso wie Putin als ein Land dar, das lediglich ein Wettbewerbsfeld für Großmächte sei, nicht fähig sei, unabhängig von Russland zu existieren und im Kern aus Nazis bestehe.

Nationalismus wird im Film zudem gleichgesetzt mit Nazismus und die Halbinsel Krim war lediglich ein versehentliches Geschenk des betrunkenen Nikita Chruschtschow. Der Film suggeriert so zum Beispiel fälschlicherweise, dass 1941 die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung die Deutschen bei der Invasion begrüßt hätten und sich innerhalb kürzester Zeit 80.000 Menschen der Waffen-SS angeschlossen hätten, obwohl es sich lediglich um kleine Teile der Bevölkerung handelte.

Zudem lässt der Film ganze zwei Jahrhunderte der Geschichte komplett aus, in denen die ukrainische Kultur von Russland massiv unterdrückt wurde. Auch von Stalins politischer Repressionskampagne in den Jahren 1929 -1933 oder dem Holodomor in den 1930er-Jahren, bei dem aufgrund einer durch die Sowjetunion absichtlich herbeigeführten Hungersnot drei bis sieben Millionen Ukrainer/-innen starben, verliert der Film kein Wort.

Beides Fakten, die vielen Menschen wohl wesentlich verständlicher machen würden, warum die Ukrainer/-innen in dieser Form für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes eintraten und auch, warum die Besatzung der Nazis im Zweiten Weltkrieg von einigen Ukrainer/-innen als eine Art Befreiung von der unterdrückerischen Sowjetunion angesehen wurde.

Die Liste an historischen Fakten, die ausgelassen oder verdreht wurden, würde sich jetzt noch eine ganze Weile so weiter führen lassen. In unseren Augen besteht der Film „Ukraine on Fire“ jedenfalls zum größten Teil aus Oliver Stones fragwürdigen persönlichen Ansichten und einem Narrativ, das weitestgehend aus Unwahrheiten und paradoxen oder zumindest sehr diskussionswürdigen Darstellungen von Fakten und Ereignissen besteht.

Viel mehr als ein ideologisiertes Weltbild, das quasi deckungsgleich mit der russischen Propaganda ist, und eine
Schwarz-Weiß-Interpretation der ukrainischen Geschichte hat der Film nicht zu bieten.

Wie solch ein propagandistischer Film in den Augen der Veranstalter/-innen der Globale positiv zu einem demokratischen Diskurs innerhalb der Gesellschaft beitragen oder den Menschen in Deutschland die Komplexität und Ursachen dieses Krieges verständlich machen sollte, ist uns mehr als schleierhaft.

***

Wer die jungen Leute von Óstov Collective sind, lassen wir sie in diesem Beitrag selbst erzählen.

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Keine Kommentare bisher

“Nationalismus wird im Film zudem gleichgesetzt mit Nazismus”
Wie darf ich diese Differenzierung verstehen? Gibt es neuerdings eine Unterscheidung in guten und schlechten Nationalismus? Ist ukrainischer Nationalismus anders? Ein wenig völkisch ist okay? Und kein Journalist fragt mal nach? Dann wissen anscheinend alle wie’s gemeint war? Besten Falls nur einfältige Wortklauberei, im schlimmsten Fall darf man sowas gar nicht fragen.

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