Das Wörtchen gemeinnützig bezeichnet im deutschen Vereinsrecht ganz offensichtlich nicht das, was der Gemeinschaft nützt. Mehrere Initiativen und Vereine, die sich tatsächlich mit Themen des Gemeinwohls beschäftigen, bekamen in den letzten Jahren die Gemeinnützigkeit aberkannt, während mächtige und gut finanzierte Lobbyvereine wie zum Beispiel der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. weiter als gemeinnützig gelten.

Der Berliner Verein innn.it e.V., Betreiber der gleichnamigen Petitionsplattform, beabsichtigt nun nach über fünf Jahren, den Rechtsstreit zur Wiederherstellung seiner steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit beizulegen und künftig auf die Gemeinnützigkeit zu verzichten. Innn.it e.V., manchen noch bekannt als Change.org, traf die Aberkennung der Gemeinnützigkeit genauso wie etwa Attac, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) oder Campact.

Der Entscheidung von Inn.it vorausgegangen war ein Revisionsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 2024, dessen schriftliche Begründung inzwischen vorliegt. Zuvor hatte innn.it sogar die Klage am Finanzgericht Berlin-Brandenburg in Cottbus gewonnen und damit die Gemeinnützigkeit zurückerlangt. Aber das Berliner Finanzamt ging in Revision und damit musste der Bundesfinanzhof in München eine Entscheidung fällen.

Wie sehr die Haltung der Berliner Finanzverwaltung dabei von Wirtschaftsinteressen geprägt war, wird in der Begründung für die Entziehung der Gemeinnützigkeit deutlich: „Menschen, die Petitionen an Unternehmen richten, sollten in Deutschland keine gemeinnützige kostenlose Plattform wie innn.it nutzen dürfen. Stattdessen wollte das Finanzamt, dass innn.it Petitionen an Konzerne und Unternehmen zukünftig löscht oder nur gegen Bezahlung zulässt. Petitionen an Elon Musk, Jeff Bezos oder andere Konzerne wären dann nicht mehr kostenfrei möglich gewesen.“

Als wenn (große) Unternehmen, die selbst massiv Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, kein Teil der Gesellschaft wären und damit dem Wunsch der Bürger auf Einflussnahme völlig entzogen wären.

Ein Neutralitätsgebot, das Meinungsbildung verdächtigt

„Das BFH-Urteil ist ein Rückschritt für die Zivilgesellschaft“, sagt Gregor Hackmack, Vorstand von innn.it e.V. „Zwar erkennt der BFH an, dass Petitionen an nicht staatliche Stellen kein Ausschlusskriterium für Gemeinnützigkeit sind – ein Etappensieg. Doch zugleich formuliert das Gericht ein striktes Neutralitätsgebot, welches unsere Arbeit bei innn.it faktisch unmöglich macht. Politischer Wirksamkeit wird durch einen eng verstandenen Demokratieförderzweck Steine in den Weg gelegt, gezielte Unterstützung engagierter Bürger/-innen wird zu einseitig betrachtet – Meinungsbildung wird verdächtigt, statt gefördert.“

Mit dieser engen Auslegung eines Neutralitätsgebots bezogen auf den Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ lasse sich keine Petitionsplattform mit Haltung gemeinnützigkeitsrechtlich sicher betreiben. Doch diese Haltung ist in Zeiten, in denen die Demokratie massiv unter Druck steht, wichtiger denn je, betont Hackmack. Der BFH habe zwar noch kein endgültiges Urteil gefällt, aber klar sei jetzt schon: Solche Gerichtsverfahren verbrauchen Ressourcen, die anderswo besser eingesetzt sind. Und das Gemeinnützigkeitsrecht wird blockiert.

Daher hat die Mitgliederversammlung des innn.it e.V. am 18. Juni 2025 entschieden: „Wir verzichten künftig auf die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit.“

Was bedeutet das konkret?

Die Plattform innn.it bleibt trotzdem bestehen – offen, kostenfrei, unabhängig und mit klarer Haltung.
Spenden an innn.it sind freilich nicht mehr steuerlich absetzbar. Sie setzen also tatsächlich die Uneigennützigkeit alle Spender voraus.

Der Verein innn.it ist damit aber auch keinem strengen Neutralitätsgebot unterworfen und kann Petitionen frei auswählen und diese zum Erfolg führen.

„Das aktuelle BFH Urteil zeigt: Das bestehende Gemeinnützigkeitsrecht blockiert Organisationen, die digitale Beteiligung ermöglichen“, sagt Gregor Hackmack. „Es ist Zeit für eine Modernisierung – politisch, gesetzlich, gesellschaftlich.“

Und Stephanie Handtmann, Vorständin der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung” betont etwas, was die Finanzgerichte immer wieder negieren: „Gesellschaftliches Engagement kann nicht strikt neutral sein, sondern erfordert Haltung. Wie schon das Attac-Urteil von 2021 ist dieses Urteil ein Appell an den Gesetzgeber, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden und Angriffen auf die Demokratie entgegenzutreten.“

innn.it setze sich deshalb gemeinsam mit einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein und ist Teil der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung. 

Zu einigen der wichtigsten Petitionen, die über inn.it initiiert wurden, gehört die Forderung zur Prüfung eines AfD-Verbots, die nach einem Böllerverbot, aber auch die nach einer Gemeinnützigkeit für den Journalismus, die es ermöglichen würde, journalistische Projekte zunehmend über Spenden zu finanzieren.

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