Was ist nur mit unseren Senioren los? Sie finden die Sicherheitslage in Leipzig besonders schlimm, sie schimpfen über die Sauberkeit auf Straßen und Plätzen. Und da, wo die jungen Leute sich am Grün und am Wasser erfreuen, ziehen sie eine finstere Miene und finden die Zustände von Parks und Gewässern eine ganze Ecke schlechter als die Jugend. Vielleicht, weil die Jugend da herumtobt.

Denn die jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) lieben Leipziger Parks, Grünanlagen und Gewässer. Ihre Sicht des Zustands all dieser Freiluftanlagen bewerten die jungen Leute um etliche Prozentpunkte besser als die Alten. Um 12 Prozentpunkte klafft die Einschätzung beim Zustand der öffentlichen Parks und Grünanlagen auseinander, beim Zustand der Gewässer sind es 9 Prozentpunkte, beim Zustand der Freizeitsportanlagen sogar 24 Prozent.

Man merkt regelrecht, wie die Freude der jungen Leute den Alten regelrecht Verdruss bereitet. Schulen und Kitas sind ihnen zwar herzlich egal, wie wir bei der Auswertung des Schnellberichts zur „Bürgerumfrage 2017“ schon feststellen konnten, dass sich ihre negative Sicht selbst bei solchen Wahrnehmungen der Stadtqualität spiegelt, verblüfft in dieser Weise schon.

Fühlen sie sich vertrieben? Ist es das, dass sie mit den Wünschen und Bedürfnissen der Jungen so gar nichts mehr anfangen können?

Es geht ja noch weiter. Denn augenscheinlich haben wir mittlerweile eine sehr engherzige und selbstbezogene Senioren-Generation, der auch die Zukunft völlig schnurzegal ist. Denn die gehört ja indirekt auch mit zum Katalog der angefragten „Probleme“. Stichwort: Umweltbelastung.

17 Prozent der jungen Leute sehen das als Problem. Ist ja nicht so, dass in Leipzig alles paletti ist. Die Schadstoffbelastung der Luft ist viel zu hoch, die Grundwasserkörper und Flüsse sind belastet. Aber das interessiert nur noch 7 Prozent der Alten, die dafür Armut mit 22 Prozent etwas häufiger als Problem empfinden als die Jungen (16 Prozent).

Und beim Stichwort Fremdenfeindlichkeit geht das weiter. Nur 10 Prozent der Alten glauben, dass Fremdenfeindlichkeit in Leipzig ein Problem ist, aber 23 Prozent der jungen Leipziger sehen das als Problem.

Es sind – so global betrachtet – scheinbar Nuancen. Aber sie erzählen davon, wie sehr die Befragten sensibilisiert sind für bestimmte Themen, ob sie sie tatsächlich ernst nehmen oder überhaupt nicht als Problem sehen.

Der Topos „Fremdenfeindlichkeit“ kam ja erst nachträglich in die Bürgerumfragen. Vorher stand dort nur das „Zusammenleben mit Ausländern“ als Problem, was für viele Verwirrungen sorgte. Und wenn 17 Prozent der Alten dieses Zusammenleben als Problem sehen, aber nur 10 Prozent der Jungen, dann wird auch hier eine große Distanz zwischen den Generationen sichtbar. Eine Distanz, die man wahrscheinlich noch viel konkreter zeichnen müsste, denn dann stehen sich auch völlig unterschiedliche Erwartungshaltungen an die Stadtentwicklung gegenüber und zwei stark differierende Weltbilder.

Das gilt nicht für alle, stimmt. Aber da die älteren Jahrgänge sowieso schon zahlenmäßig dominieren und sie auch häufiger zur Wahl gehen als die Jungen, bedeutet das natürlich, dass auch ihre Themen die Stadtpolitik stärker bestimmen. Zuletzt gesehen beim Krachmacher-Thema „Kriminalität, Sicherheit“. Zwar sehen auch 33 Prozent der jungen Leute hier ein Problem, aber das unterscheidet sich doch deutlich von den 69 Prozent bei den Alten.

Und noch deutlicher wird es, wenn nach der Zufriedenheit mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz vor Kriminalität gefragt wird: Damit sind 46 Prozent der jungen Leute zufrieden (was auch deutlich überm Durchschnitt aller Befragten mit 18 Prozent liegt), aber nur 6 Prozent der über 55-Jährigen.

Hier finden alle Unsicherheitskampagnen also einen Nährboden, einen Echoraum. Mit der Wirklichkeit hat das nicht mehr viel zu tun. Aber mit Verschiebung der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Denn die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes hängt ja auch von der Medienwahrnehmung ab.

Wenn Medien die Wirklichkeit schlimmer darstellen, als sie ist, beeindruckt das nun einmal vor allem die Älteren, die nicht mehr so fit und mobil sind. Und die vor allem auch „alte“ Medien nutzen, wo mit Panik um „Reichweite“ gebuhlt wird.

Eigentlich bestätigt selbst dieses Teilergebnis aus der Bürgerumfrage, wie sehr unsere Gesellschaft unter einer schrillen Dyskommunikation leidet.

Davon profitiert augenblicklich nur eine Partei. Sie jauchzt und frohlocket, auch dann, wenn ein sicherheitsbedürftiger Stadtrat Handfesseln, Sicherheitsstöcke und Polizeihunde für den Stadtordnungsdienst beschließt.

Die großen Löcher in der Umfrage und die unsichtbare Bürgergesellschaft 2. Klasse

Die großen Löcher in der Umfrage und die unsichtbare Bürgergesellschaft 2. Klasse

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Es gibt 4 Kommentare

@Mathias 1
Habe mir da mal ein paar Gedanken über Sicherheit und Freiheit über Altersgrenzen hinweg gemacht:
Jeder Mensch hat ein berechtigtes, persönliches Sicherheitsbedürfnis.
Dazu gehört zum Mindesten eine sichere ‘Behausung’ und die Unverletzlichkeit dieser Wohnung und eine beständige, finanzielle Grundlage des Lebens über den aktuellen Monat hinaus.
Beides ist nicht gegeben. Egal wie gut man im Moment ‘situiert’ ist, es können jederzeit nicht selbst beeinflussbare Umstände von außen eintreten, die das eigene (Über-)Leben in Frage stellen.
Und diffuse, nicht konkretisierbare also nur erahnte Bedrohungen (ver-)stören die Psyche. Genauso wie reale Bedrohungen, aber mit dem Unterschied, dass man einer irrealen Bedrohung nicht durch aktives Handeln entgegentreten kann.
Ob man hier mit Depressionen, allgemeiner Aggressivität oder auch überzogenem Narzismus (kann mir doch nicht passieren) reagiert, liegt in jedem einzelnen selbst begründet.
Aber allen gemeinsam ist, der menschliche Wunsch nach Sicherheit für das eigene Leben.
Da die nur mögliche, aber real (noch) nicht eingetretene Bedrohung sich nicht in Worten ausdrücken lässt, sucht man nach konkreten Anlässen für dieses Unsicherheitsgefühl.
Und da haben dann Populisten ein leichtes Spiel, alle möglichen ‘Sündenböcke’ von Überfremdung und Kriminalitätssteigerung durch Ausländer über die Pauschalisierung des Islams, Sozialschmarotzer, Linksextreme Gesellschaftszerstörer bis Gutmenschen in ihrer Naivität, Juden kommen später, weil man diese noch als Angriffsziel der bedrohlichen Moslems braucht usw. als Grund anzubieten.
Selbst wenn eine dieser angebotenen ‘Bedrohungen’ eine reale Grundlage hätte, keinerlei Vorgehen dagegen würde die eigene gefühlte Unsicherheit verändern.
Kein Hartz IV-Satz oder niedriges bis mittleres Einkommen wäre erhöht worden, die Profitgier der Vermieter wäre nicht begrenzt worden, renditeorientierte Konzerne hätten genauso Arbeitsplätze als Kostenfaktoren ohne einen vielleicht einmal vorhandenen Anspruch einer ‘Kaufmännischen Ehre und Verantwortung’ abgebaut,
ob nun mit oder ohne ‘Flüchtlingen’ und anderen Feindbildern.
Wenn sich die Politik jetzt dieser ‘Feindbilder’ annimmt und mit staatlicher Gewalt dagegen vorgeht, kann sie kein Sicherheitsgefühl erhöhen.
Im Gegenteil, GSG9 bei antifaschistischen Demos, wie in Grimma, der vermeintliche Schutz von Polizeibeamten durch technische, auch martialische Aufrüstung, die Kriminalisierung und quasi Inhaftierung schutzbedürftiger, geflüchteter Menschen zum Zwecke der möglichst sofortigen Abschiebung, die Sicherung der Grenzen vor einer äußeren Bedrohung usw.
erzeugt kein Gefühl der Sicherheit, sondern verstärkt das Gefühl, dass die Populisten wohl recht haben, also eine reale Bedrohung durch irgendwelche abgegrenzten, überschaubaren Menschengruppen besteht.
Ob das jetzt immer bewusste Absicht einzelner Politiker ist, um die Menschen von ihrem Bedürfnis nach einer lebenswerten, demokratischen Gesellschaft und einer Grundfinanzierung des Rechtes auf Leben in Würde für alle, abzuhalten oder eine solche Politik durch sich selbst quasi zum Selbstläufer wird..
Auf alle Fälle stehen da mächtige, rein profitorientierte Interessen dahinter. Ein ‘Volk’, was in der Lage wäre, den eigenen Tellerrand zu erkennen und die Freiheit einfordern würde, selbstbestimmt darüber hinauszugehen, muss man zum Schutz der eigenen Interessen mit sich selbst beschäftigen.
Und da bietet sich das Thema ‘öffentliche Sicherheit’ einfach an..

@Ellen: Sehr interessant! Vielleicht sehr verkürzt, Sicherheit eingetauscht gegen Freiheit. Nur dumm, das einerseits es garnicht so gewollt war und anderseits die Freiheit in den letzten Jahren immer mehr eingeschränkt wird.

Interessant wäre, die Gruppe der 2017 55- bis 85-Jährigen noch einmal zu trennen.
Wenn man auf das Jahr 1989 schaut, war diese Gruppe damals mindestens 27 Jahre alt.
Den Einschnitt der manifestierten Teilung Deutschlands 1961, haben wohl nur die vor 1946 Geborenen, ab einem Alter von 16 Jahren, selbst erlebt. Diese waren 2017 mindestens 72 Jahre alt, im Jahre 1989 mindestens 44 Jahre.
Wenn ich auf die Zeit der Wende zurück schaue, gab es damals bei den heute ‘Alten’, so grob gesehen, 2 Gruppen mit verschiedenen Motivationen.
Die 27 bis 43 Jährigen hatten meist eine eigene Familie gegründet, hatten mehrere Kinder unter 18, waren in ihrem Beruf fest etabliert, hatten eine eigene, bezahlbare Wohnung, meist ein eigenes Auto.
Also in der einzig bekannten DDR-Welt eingerichtet, finanziell gesichert, keine Zukunftsangst, das weitere Leben bis zur Rente vorgezeichnet.
Irgendwie auch damit abgefunden, dass Reisen bis zur Rente nur in das sozialistische Ausland möglich waren.
Das Gefühl des Eingesperrtseins kam erst verstärkt zu Bewusstsein als auch diese Reisemöglichkeiten nach und nach bis auf Null eingeschränkt wurden.
Und auch die Hoffnung auf ein besseres Leben in der DDR durch Gorbatschows Perestroika hatte sich durch die Borniertheit und Ignoranz der DDR-Regierung zerschlagen.
Neben der meist jüngeren Umweltbewegung entstand hier die Notwendigkeit, dass es, für sich selbst und seine Kinder, so nicht weitergehen kann.
Die untragbaren Verhältnisse mussten vor Ort durch gemeinsamen, friedlichen Protest entgegen der eigenen Angst geändert werden, was dann ja auch zur Friedlichen Revolution führte.
Den folgenden Aufruf “Für unser Land” hätten sicherlich viele mitgetragen, wenn sich nicht der unsägliche Egon Krenz an die Spitze gesetzt hätte.
Er stand für das alte Denken, keine Veränderung, und weiter so wollte keiner.
Und eine mögliche Reisefreiheit ins westliche Ausland, wurde durch dafür notwendige, aber nicht vorhandene Devisen ad absurdum geführt.

Und nun kam die Gruppe der deutschen Wiedervereiniger ins Spiel. Wer damals die fanatischen Schreie von “wir sind ein Volk!” und “D-Mark jetzt!” hörte, zog sich meist desillusioniert zurück.
Die älteren, damals mindestens 44 also heute über 72-Jährigen, die ein vereintes Deutschland noch kannten, und meist auch die Trennung von ihren Verwandten im Westen erleben mussten, haben ihr Ziel erreicht und werden wohl auch heute noch eher glücklich sein und sich mit ‘altersweisen Belehrungen an die unvernünftige Jugend’ zu frieden geben..

Der andere, jüngere Teil der Altersgruppe erlebte im folgenden, wie sämtliche als selbstverständlich angenommenen Sicherheiten wegbrachen.
Reisen und Konsum, aber auch eine bessere Umwelt gegen den eigenen Arbeitsplatz, bald auch Verdrängung aus der eigenen Wohnung durch Sanierung, fremdbestimmte Politik ohne Einfluss.
Alles was sicher geglaubt schien, weggebrochen, die eigene Biografie entwertet. Und dann noch irgendwie der Vorwurf, dass man sich ja in dem Unrechtsstaat DDR eingerichtet habe.

Nun, und das erlebte Trauma weggebrochener Sicherheiten verbunden mit einem Gefühl allem hilflos ausgeliefert zu sein, das “Fördern und Fordern” hat da nichts besser gemacht, unterqualifizierte Beschäftigung auch nicht.
Es bleibt das Gefühl einer ständigen persönlichen Bedrohung und verlorener Sicherheiten ohne eine Ursache benennen zu können(dürfen?).
Wenn dann scheinbar allgemein anerkannte “Sündenböcke” für das eigene Dilemma angeboten werden, die durch ihre ständig präsentierte ‘Kriminalität’ die Sicherheit bedrohen,
kann man dann schon mal, in Verkennung der eigentlichen, eigenen Gründe, nach mehr Sicherheit und ‘Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit’ durch entsprechende Autoritäten rufen.
Muss man nicht, aber scheint mir auch eine der Ursachen zu sein.

Einige meiner Gedanken zum Thema:
Meiner Ansicht nach sind die unterschiedlichen Bewertungen der Fragen auch Ausdruck dessen, dass unsere “Lebensumwelt” in riesiger Veränderung begriffen ist. Die “älteren” Menschen finden sich darin immer weniger wieder, sie werden einfach ignoriert. Alles was mal “Lebensnorm und Orientierung” war geht verloren. Wonach sollen wir alle eigentlich leben, wo ist eine Orientierung. Viele fragen auch: WER kann sie geben? Ich merke das an mir selbst. Manche Veränderung will ich gar nicht mitmachen, obwohl ich mich über ein neues menschlicheres Leben freue. Und es kostet Kraft sich immer selbst im Leben zurecht zu finden….

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