Seit 2017 machen Leipzigs Statistiker ja etwas, was sich in seiner Logik erst erschließt, wenn man es dann im Ergebnisbericht zur Bürgerumfrage liest: Sie trennen die Selbstständigen in der Statistik – nämlich nach solchen mit und ohne Angestellte. Denn es sind zwei völlig verschiedene Welten von Selbstständigen: Die einen sind Inhaber von Unternehmen, die anderen sind in der Regel Selbstausbeuter, sogenannte „freelancer“.

Als man die abgefragten Einkommenszahlen 2017 erstmals separat erfasste, zeigte sich sehr schnell, warum die Selbstständigen jahrelang mit eher miserablen Einkommen bestenfalls in den Verdiensthöhen von einfachen Facharbeitern und Angestellten landeten. So wie 2014, als diesen einfachen Arbeitskräften immerhin ein Median-Einkommen von 1.300 Euro im Monat attestiert wurde. Hier sind auch all jene Arbeiter und Angestellten erfasst, die damals von einem Mindestlohn nur träumen konnten.

Bei den Selbstständigen standen gerade einmal 1.275 Euro zu Buche.

Nur die Frage war nicht geklärt: Verdienen wirklich alle Selbstständigen so wenig? Auch Architekten, Ärzte, Rechtsanwälte und Chefs von 10 oder 100 Angestellten? Das war eigentlich undenkbar. Aber es dauerte bis 2017, bis Leipzigs Statistiker die Zahlen gesondert erfassten. Die Median-Einkommen der Selbstständigen stiegen übrigens ab 2015 deutlich an.

Auf 1.450 Euro, womit sie erstmals wieder etwas höher lagen als die der einfachen Arbeiter und Angestellten.

Aber 2017 fragen die Statistiker dann erstmals gesondert nach – und bekamen natürlich das erwartete Ergebnis: Zwei Drittel der Selbstständigen hatten keine Angestellten, waren also auf die Anpreisung und Ausbeutung ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen, müssen sich selbst vermarkten und selbst versichern. Und haben damit im Median trotzdem weniger Nettoeinkommen als einfache Angestellte erwirtschaftet: 1.388 Euro waren es 2017, während selbst einfache Angestellte und Facharbeiter auf 1.475 bzw. 1.500 Euro netto kamen.

Selbstständige, die auch noch Angestellte hatten, verzeichneten mit 2.394 Euro im Median freilich ein Nettoeinkommen, das dem der Spitzengruppe der leitenden Beamten und Angestellten nahe kam, das waren nämlich 2.459 Euro. Und während sich die leitenden Angestellten und Beamten 2018 weiter steigern konnten auf 2.503 Euro, schafften es die Selbstständigen mit eigener Firma auf 2.458 Euro netto im Monat.

Die Selbstständigen ohne Angestellte freilich verzeichneten wieder einen leichten Einkommensrückgang auf 1.356 Euro. Womit sie nun wieder unter dem Median-Einkommen aller Leipziger von 1.384 Euro liegen. Da werden ja bekanntlich auch Rentner, Arbeitslose und Auszubildende mitgezählt, die allesamt weniger Nettoeinkommen hatten als die selbstständig Freien.

Als Vermutung drängt sich natürlich auf, dass die so finanziell benachteiligten Selbstausbeuter irgendwann die Nase voll haben, dem großen Reibach hinterherzuhetzen, und ihre Selbstständigkeit an den Nagel hängen. Aber das scheint nicht mal im Jahr der Einführung des Mindestlohns der Fall gewesen zu sein. Im Gegenteil. Lag vorher die Quote der Selbstständigen in Leipzig bei 7 Prozent, waren es ab 2016 immer um die 8 Prozent der Fragebogen-Ausfüller, die ihre berufliche Position als „selbstständig“ angaben.

Wenn also die geniale Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung beabsichtigt, die vielen Selbstständigen mit ihrem niedrigen Einkommen dazu zu zwingen, sich einen besser bezahlten Job als Paketpacker oder Callcenter-Agent zu suchen, dann geht die Rechnung nicht auf. Dann scheint es so, als sei die Freiheit, seine Arbeit als Freier selbst zu gestalten und selbst zu bestimmen, was man tut und von wem man sich etwas sagen lassen will, wesentlich wertvoller als die 200 Euro mehr im Monat für einen Job, der die Seele ausbrennt.

Wobei als Rätsel natürlich noch offenbleibt, wie sehr die vielen Schein-Selbstständigen-Jobs etwa bei diversen Lieferdiensten in dieser Statistik auch eine Rolle spielen. Denn nicht alle Freien sind auch freiwillig frei, sondern wurden von ihren Unternehmen in eine abhängige Selbstständigkeit gedrängt, wo sie nur auf dem Papier freie Unternehmer sind, in der Realität aber die Billiglöhner eines auf Verschleiß arbeitenden Systems.

Fast 60 Prozent der Leipziger sehen Leipzigs Wirtschaft auf einem guten Weg

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