Der Verdacht bewegt ja viele Leipziger seit über einem Jahr. Viele erinnern sich noch an den 21. Januar 2015, als der Leipziger PEGIDA-Ableger LEGIDA großmäulig eine Demonstration mit 30.000 Teilnehmern in Leipzig ankündigte und die Polizei die komplette Innenstadt weiträumig abriegelte. Der Innenstadtverkehr wurde völlig lahm gelegt, das Polizeikonzept im Nachgang heftig kritisiert.

Einen Teilnehmerrekord “feierte” LEGIDA an dem Tag tatsächlich. Doch mehr als geschätzte 4.800 Teilnehmer waren nicht gekommen zu diesem Stelldichein der Fremdenfeinde, die diesen Dämpfer keineswegs zum Anlass nahmen, hinfort keine ausufernden Märsche mehr um den Leipziger Ring anzumelden. Auch wenn die Teilnehmerzahlen zusehends ins Dreistellige abschmolzen – die Leipziger Ordnungsbehörde sah keinen Grund, dem renitenten Häuflein immer wieder ganze Teile der Innenstadt für seine Rundgänge zu verweigern. Stets mit Verweis auf das in Artikel 8 des Grundgesetzes gewährte Recht auf Demonstrationsfreiheit.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 8
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aber hier steht nichts davon, dass damit auch das regelmäßige Lahmlegen des Verkehrs in einer Großstadt gegeben ist. Denn Artikel 8 betont nun einmal auch, dass das Versammlungsrecht “auf Grund eines Gesetzes” beschränkt werden kann.

Und was LEGIDA in Leipzig veranstaltet, kann durchaus auch als bewusster Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gewertet werden, wo es heißt:

Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
§ 1 Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Ob das, was da 2015 Montag für Montag geschah und 2016 im Monatsrhythmus angemeldet wird, als unvermeidbare Behinderung des Verkehrs gewertet werden kann, darf bezweifelt werden. Hier haben sich Ordnungsbehörde, Polizei und LEGIDA-Veranstalter augenscheinlich in einem Zirkel versammelt, in dem vor allem eines gewährleistet wird: Die regelmäßige Erinnerung einer ganzen Stadt daran, dass ein Häuflein von Demokratiefeinden durch seine Demonstrationen den Stadtverkehr für Stunden lahm legen kann.

Und so langsam haben auch die Organisatoren der Gegenproteste die Nase voll, die immer weiter auf abgelegene Versammlungsorte abgedrängt werden, weil die Ordnungsbehörde den Umzugsbereich der Fremdenfeinde weiträumig frei räumen lässt von jedem sichtbaren Gegenprotest.

Dieser Offene Brief geht nun nicht nur an den linken Ordnungsbürgermeister der Stadt Leipzig, Heiko Rosenthal, der das Ganze seit Anbeginn von Seiten der Stadt zu verantworten hat, sondern auch an seinen Vorgesetzten, den OBM Burkhard Jung, und an Leipzigs Polizeipräsidenten Bernd Merbitz.

Und Jürgen Kasek und Irena Rudolph-Kokot vom Aktionsnetzwerk “Leipzig nimmt Platz“ werden sehr deutlich, wenn sie jetzt auch das für den Abend des 1. Februar zu erwartende Szenarium ausmalen: “Tatsächlich stellt sich das Bild so dar, dass für angenommene 400 bis 600 Personen, die die Grundwerte unserer Demokratie und die Menschenrechte ablehnen, die Stadt in mehrere Bereiche geteilt wird. Vom Hauptbahnhof entlang des Tröndlingrings bis in die Jahnallee wird faktisch eine Grenze gezogen, die es nicht nur Teilnehmer_innen der Demonstrationen für Toleranz und Demokratie sondern darüber hinaus auch unbeteiligten Dritten unmöglich macht, vom Norden der Stadt in den Süden und umgekehrt zu gelangen. Dabei ist in diesem Bereich keine Demonstration angemeldet. Gleiches geschieht mit dem Westring vom Goerdelerring bis zum Neuen Rathaus. Während LEGIDA keine Einschränkungen in der Wegstrecke hinnehmen muss und sich am Bahnhof treffen und sodann, ohne Anmeldung, bis zum Richard- Wagner Platz ziehen darf, wird der Gegenprotest massiv beauflagt. Dabei werden grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt.”

Das ist eindeutig eine massive Behinderung des Verkehrs, die allein mit dem Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht begründet werden kann. Und es sind eindeutig die Demonstrationsanmelder, die durch ihre Routenanmeldung schon massiv in das Verkehrsgeschehen eingreifen – und das Leipziger Ordnungsamt gewährt diesen Eingriff. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten zum Gegenprotest immer weiter eingeschränkt – die angeordnete Verlegung einer Mahnwache an den Stolpersteinen am Dittrichring in die Nachtstunden hat ja schon entsprechende Resonanz erzeugt.

Ein Interessenausgleich oder gar ein Ausgleich der Grundrechte findet sichtlich nicht mehr statt. Für Kasek und Rudolph-Kokot liegt der Verdacht so fern nicht, dass auch das Leipziger Ordnungsamt hier politisch keineswegs neutral agiert und schon gar nicht im Interesse der Stadt. “Dennoch ist bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, geprägt durch eigene Erfahrungen, dass einzelne Polizeibeamt_innen und zunehmend auch das Ordnungsamt nicht mehr neutral handeln sondern in Teilen mit LEGIDA sympathisieren”, schreiben sie in ihrem offenen Brief.

Und wenn das vom Ordnungsbürgermeister so gedeckt wird, bleibt logischerweise nur der Appell an den Oberbürgermeister, hier selbst seiner Aufsichtspflicht nachzukommen.

Die Sache einfach “unsäglich” zu nennen, reicht nicht aus. Es müssen Regelungen gefunden werden, die die unverhältnismäßigen Behinderungen des gesamten innerstädtischen Verkehrs verhindern. Oder wie es die Briefautoren fordern: “den Grundsatz der praktischen Konkordanz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent anzuwenden und die faktische Demonstration der LEGIDA vom Bahnhof zum Richard-Wagner-Platz zu unterbinden und den Ring wieder freizugeben” und “Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite real zuzulassen.”

Der komplette Offene Brief zum Nachlesen.

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Es gibt 3 Kommentare

@L-IZ

Könntet ihr mal bei der Ordnungsbehörde nachfragen in wie fern die stetigen Angriffe auf Journalisten und Fotografen sich auswirken auf zukünftige Aufzüge?

Ich meine wenn man dem Gegenprotest alles gewalttätige andichtet kann …

Diese Festlegungen können beim Verwaltungsgericht angefochten werden.

Was hier Herr Jürgen Kasek und Irena Rudolph-Kokot äußern ist nicht verboten. Massive Vorwürfe gegen die Versammlungsbehörde sind jedoch fehl am Platze. Der Weg zum Verwaltungsgericht wäre die bessere und vernünftigere Lösung. Gerade ein Rechtsanwalt sollte das doch wissen!

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