Es ist ein klassisches Stück ausgelagerter Politik, was Leipzigs Umweltdezernat da zusammen mit anderen Ämtern im mitteldeutschen Raum fabriziert hat: Man hat die Erstellung eines Entwicklungskonzepts für den Tourismus in der Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum in Auftrag gegeben, ein mit zweifelhaften Zahlen untersetztes Papier bekommen – und will das jetzt vom Stadtrat beschließen lassen. Die SPD-Fraktion ist auch gleich drauf reingefallen.

Statt sich eine Position zu bilden, welche Rolle Leipzig in einer mitteldeutschen Tourismusstrategie überhaupt spielen kann und soll, hat man einen Änderungsantrag für drei Punkte in dem dicken Konvolut formuliert, als gäbe es da draußen irgendwo eine demokratisch legitimierte Steuereinheit, die dafür sorgen kann, dass ein Radwegenetz gebaut wird oder der Elster-Saale-Kanal auf seine Tüchtigkeit hin untersucht wird.

Schlafen die Genossen? Oder haben sie sich von den Jubelarien der Kanalbefürworter einlullen lassen?

Der Kanal ist nach wie vor Bundeswasserstraße. Leipzig hat überhaupt keine Befugnisse, an diesem Bauwerk irgendetwas zu untersuchen oder zu verändern.

Dem Freistaat Sachsen ist zwar die Übernahme dieses Gewässers angeboten worden, aber der hat dankend abgewinkt, weil allein die Gewässerunterhaltung jedes Jahr sinnlos hunderttausende Euro verschlingt.

Sollte der Leipziger Stadtrat dem „Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum“, kurz TWGK, zustimmen, entmachtet er sich in allen Fragen, die in diesem unfertigen Konzept aufgeschrieben sind, selbst. Und er wird es jedes Mal auch genauso um die Ohren gehauen bekommen, wenn auch nur eine der hier verankerten Fragen angeschnitten wird. Die Entscheidungsgewalt rutscht dann auf ein neues Gremium, das die Ämterebene der Kommunen im mitteldeutschen Raum zumindest für den Elster-Saale-Kanal schon anstrebt: einen neuen Zweckverband. Wer den neuen Verband finanziert, darf man dann später wahrscheinlich aus den Rechenschaftsberichten der Stadt erfahren.

Nur eines ist dieses TWGK ganz bestimmt nicht: ein Steuerungsinstrument, um die fehlenden Netzwerkstrukturen in der Leipziger Gewässerlandschaft herzustellen. Oder gar ein demokratisch erarbeitetes Papier, in dem sich vielleicht die Willensbildung des Leipziger Stadtrates widerspiegelt.

Wobei das Thema Demokratie dabei irgendwie überhaupt keine Rolle zu spielen scheint.

Das kritisiert jetzt vehement der Leipziger Ökolöwe, wo man sehr genau weiß, dass mit dem Papier auch wieder naturschutzrechtliche Belange ausgehebelt werden sollen. Genauso wie beim „Wassertouristischen Nutzungskonzept“ (WTNK), das auch immer als Entscheidungsgrundlage benannt wird, wenn es bauliche Veränderungen im Leipziger Gewässersystem gibt.

Das TWGK soll nun in einem noch viel größeren Raum mit noch viel mehr beteiligten Ämtern und Behörden Weichen stellen, ohne dass es dafür irgendwo eine demokratisch legitimierte Instanz gibt. So war es übrigens auch nie angekündigt. Es sollte, als es vor drei Jahren beauftragt wurde, erst einmal die Grundlage für entscheidungsfähige Konzepte bilden, die dann ineinandergreifen. Aber so eine Abstimmung in den verschiedenen Stadträten und Kreistagen gab es nie. Man hat immer noch das unausgegorene Papier der beauftragten Firma vor sich, die für ihre Auftraggeber irgendetwas zusammengebastelt hat, was irgendwie wie ein Arbeitspapier aussieht. Mehr ist es wirklich nicht.

„Doch Hand und Fuß hat das TWGK leider nicht“, sagt Anja Werner vom Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e.V.. „Ein Gesamtkonzept kann durchaus sinnvoll sein, da es klärt, wer wo was wie beanspruchen kann. Damit wird es möglich, einer Übernutzung entgegenzuwirken – wenn das Konzept gut ausgearbeitet ist. Der aktuelle Entwurf entspricht jedoch eher einer Broschüre zum Ausverkauf der Landschaft als einem durchdachten Konzept.“

Und besonders sauer ist man beim Ökolöwen, weil das Papier wieder ein typisches Trojanisches Pferd ist: Man schreibt dick und fett Naturschutz drauf, schreibt aber nur lauter Wunschschlösser für den „Wassertourismus“ rein.

„Zwar sind die Gewässer den Schwerpunkten Naturschutz, Naherholung und Tourismus zugeordnet, angelegt wurde dabei jedoch ausschließlich die tourismuswirtschaftliche Perspektive. So wird die touristische Erschließung auch dort geplant, wo Schutzgebiete bedrohte Arten schützen sollen oder Bürgerinitiativen für Naherholung kämpfen, z. B. im Leipziger Auwald, an den Seen im Süden Leipzigs oder am Kulkwitzer See“, kritisiert Anja Werner die Doppelbödigkeit des Papiers. „Dabei kann das TWGK die Wirtschaftlichkeit zahlreicher Investitionen – wie dem Saale-Elster-Kanal – nicht ausreichend begründen. Vielfach liegen unbelegte Zahlengrundlagen vor oder es drohen (naturschutz-) rechtliche Schwierigkeiten: So sind die Leipziger Stadtgewässer und der Auwald gar nicht schiffbar.“

Nach der Absage der Landesdirektion an die Schiffbarkeit des Leipziger Gewässerknotens erst recht nicht.

Der Ökolöwe hat dem Leipziger Stadtrat dies in einem Positionspapier dargelegt. „Nun ist es am Stadtrat, über das TWGK zu entscheiden. Wir hoffen, er handelt im Sinne unserer gemeinsamen Umwelt“, sagt Werner. „Fakt ist: Die Vorgabe einer Entwicklung für eine so große Region braucht echte Bürgerbeteiligung! Wichtig ist zudem eine Umweltverträglichkeitsprüfung zur Frage: Wie beeinträchtigt das TWGK den Naturhaushalt? Darauf aufbauend kann klar geregelt werden, welche Gewässer in Ruhe gelassen werden müssen und wo welche Nutzung möglich ist. Daraus ergeben sich Möglichkeiten für alle – jene, die Ruhe und Erholung suchen und jene, die den Rummel mögen.“

Vielleicht aber sollte ein ehrlicher Stadtrat bei dem Konzept einfach mal mit „Nein“ stimmen, damit der gedankenlose Rummel aufhört und die entscheidenden Leute einmal anfangen, wirklich ernsthaft erarbeitete Konzepte vorzulegen. Das TWGK, wie es da liegt, ist nichts anderes, als eine auf lange Sicht angelegte Entmachtung der demokratisch gewählten Gremien in allem, was irgendwie den „Wassertourismus“ betrifft. Und das mit Zahlen, die einfach frei erfunden sind. Buratino lässt grüßen.

Der leichtgläubige Antrag aus der SPD-Fraktion.

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