Was passiert im Leipziger OBM-Wahlkampf, und was nicht? Das ist durchaus die Frage, nachdem die LVZ erst die Debatte um das (Nach-)Wahl-Plakat der Linken losgetreten hat, das mit seinem Slogan „Leipzig kippt nicht“ direkt auf die desaströse Ministerpräsidentenwahl in Thüringen zielt und den Leipziger Wahlkampf zu einer Art Lagerwahlkampf stilisiert, in dem AfD und CDU quasi in ein Glas geschüttet werden. Ein Motiv, das auch Uwe Schwabe aufregt. Gleichzeitig scheint es keine Sachthemen mehr zu geben - zumindest in manchen Medien.

An die LVZ habe er einen „Wutbrief“ geschrieben, schreibt die LVZ über Uwe Schwabe. Obwohl selbst das, was sie zitiert, eher nicht wütend klingt, sondern mahnend. Denn den bekannten Leipziger Bürgerrechtler treibt eine berechtigte Sorge um.

Die LVZ zitiert ihn zum Beispiel so: „,Es geht nicht mehr um Inhalte wie die Stadt sich am besten entwickeln kann, sondern um rechts gegen links‘, empört sich Schwabe und spielt damit auf OBM-Jung an.“ Und: „,Da werden ganze Wählerschichten in die rechte Ecke gestellt‘, warnt er vor den Folgen. ,Damit stärkt man nur die Extremen an den politischen Rändern und spaltet die Leipziger Stadtgesellschaft immer mehr.‘“

Wer in den letzten Wochen ausschließlich die LVZ gelesen hat, bekommt tatsächlich so ein Gefühl.

Wer hingegen auch die Wahlforen besucht hat und/oder die Berichte und Videos zu den Wahlforen auf der L-IZ gelesen und angesehen hat, der weiß, dass das genau so nicht stimmt. Gerade Burkhard Jung als langjähriger Amtsinhaber hat stets inhaltlich und substanziell antworten können, die langjährigen Stadträtinnen Franziska Riekewald (Linke) und Katharina Krefft (Grüne) ebenso. Wer diese Wahlforen vor der ersten Wahlrunde wahrgenommen hat, weiß, dass es in der zweiten Wahlrunde am 1. März sehr wohl um Inhalte gehen wird.

Auch wenn Sebastian Gemkow (CDU) mittlerweile alle Versuche weiterer Wahlpodien abzusagen versucht, kann er nicht verhindern, dass Sachthemen nun einmal eine Rolle spielen. Sein OBM-Wahl-Kalender ist – was fachliche Podiumsdebatten betrifft – mittlerweile leer. Was sehr dafür spricht, dass sich der derzeitige Wissenschaftsminister Sachsens nicht mit dem amtierenden OBM in den Ring traut, denn allein von drei gewichtigen Organisationen in Leipzig sind Versuche bekannt, eben solche vorzubereiten.

Wie sein Team der L-IZ.de gegenüber mitteilte, hat Gemkow angeblich keinen Gesprächsbedarf vor Publikum mehr. „Nachdem Sebastian Gemkow seine Ideen für Leipzig bereits im Januar beinahe täglich auf diversen Wahlforen vorgestellt hat, konzentriert er sich vor dem zweiten Wahlgang auf direkte Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern in Leipzig.“, so Dr. Beate Feist auf eine Anfrage der L-IZ.de zur Bürger-Townhall, an welcher sich mehr als ein Dutzend Vereine, Initiativen und Verbände beteiligen werden.

Was in diesen zwei Sätzen fehlt, ist die hohe Zahl abgesagter Podien seitens Sebastian Gemkow – so erfuhren stets kurzfristig der BUND Leipzig, die Parents for Future und der Stadtelternrat Leipzig bereits vor dem ersten Wahlgang am 2. Februar 2020, dass der CDU-Kandidat fehlen würde. Objektiv nachvollziehbare Erklärungen erhielten sie nicht.

Seine Inhalte blieben also nicht nur in den Zukunftsthemen Umwelt- und Klimaschutz sowie Schule und Bildung in Leipzig unklar und unbekannt, nachdem er vorab auf dem IHK-Forum eher blaß und bei dem Forum des „SpinLab Leipzig“ in der Moritzbastei unvorbereitet wirkte.  Auch beim LVZ/MDR-Forum fand der CDU-Kandidat in der zweiten Hälfte des Abends inhaltlich praktisch kaum noch statt.

Runde 2 und der Rückzug zweier Kandidatinnen

Dass Linke und Grüne, die ihre Kandidatinnen zurückgezogen haben, im zweiten Wahlgang Jung unterstützen wollen, hat eben nichts mit einem Lagerwahlkampf zu tun, wie ihn die LVZ offenbar bewusst stilisiert, sondern mit Inhalten. So haben beide verhandelt vor ihrem Ausstieg aus dem OBM-Rennen und die inhaltlichen Vereinbarungen anschließend öffentlich gemacht.

Aber da lenkt ja Jungs spontane Äußerung vom Wahlabend am 2. Februar von „rechts gescheitelt, rechts gekämmt“ so schön ab. Wenn man es so verkürzt wie die LVZ, dann wirkt es tatsächlich so, als ginge es nur um rechts und links und nicht um völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Stadt.

Wer das nicht vergisst, liest das komplette Zitat anders. Hier die Komplettversion aus der SPD-Zeitung „Vorwärts“: „,Ich habe genau das erwartet‘, kommentierte Burkhard Jung den Wahlausgang am Sonntagabend. In der zweiten Runde stehe nun ein Zweikampf zwischen ihm und dem CDU-Mann Gemkow bevor: ,Jetzt geht’s um die Wurst, um Progressivität oder eine Rolle rückwärts. Es geht um Internationalität, Weltoffenheit und eine bunte Stadt oder rechts gescheitelt und rechts gekämmt.‘ Jung beschwor seine Anhänger/-innen: ,Wir haben jetzt die Aufgabe, alle, die eine moderne, offene, internationale Stadt wollen, zusammenzubringen und in den zweiten Wahlgang zu ziehen. Und wir werden gewinnen.‘“

Es geht sehr wohl um Inhalte

Inhalte, die jede/-r L-IZ-Leser/-in kennt, die hier seit Jahren mitlesen und auch unsere regelmäßige Stadtratsberichterstattung wahrnehmen. Leipzig hat sehr wohl große Themen bewältigt und noch zu bewältigen. Aber es ist nicht das von CDU-Kandidat Sebastian Gemkow aufs Plakat gehievte Sicherheitsthema.

Rechts soziale Gerechtigkeit, links Sebastian Gemkow (CDU) mit einem "Scherheitswahlkampf" zur OB-Wahl am 2. Februar 2020. Foto: L-IZ.de
Rechts soziale Gerechtigkeit, links Sebastian Gemkow (CDU) mit einem  „Sicherheitswahlkampf“ zur OB-Wahl am 2. Februar 2020. Foto: L-IZ.de

Es sind: ÖPNV, Schulen, Kindertagesstätten, bezahlbare Wohnungen, Klimaschutz.

Das sind die Megathemen, die Leipzig in den nächsten Jahren in Atem halten werden. Und Grüne und Linke, so betonen es beide Parteien, unterstützen Burkhard Jung, weil sie mit ihm diese Themen anpacken können. Denn, so Katharina Krefft direkt nach der Entscheidung ihres Rückzuges, bei Sebastian Gemkow habe man praktisch inhaltlich nichts vorgefunden.

So gesehen war das „Leipzig kippt nicht“-Plakat durchaus ein Eigentor. Denn in Leipzig geht es – anders als in Erfurt und Thüringen – nicht um ein Abrutschen nach rechts, sondern um das, was der OBM mit dem Stadtrat in den nächsten sieben Jahren leisten muss. Wer hat die besseren Konzepte dafür? Hat sie überhaupt jeder der beiden Kandidaten?

Darum geht es eigentlich in der Endrunde des Wahlkampfes.

Der übrigens nicht erst durch das „Kippt nicht“-Plakat von den eigentlichen Inhalten wegdriftete. Dazu kommen wir noch. Denn da muss man sich mit modernem Marketing, der seit Angela Merkel bekannten „asymetrischen Demobilisierung“ beschäftigen und wie man Wahlkampf ohne Inhalte machen kann. Und mit der Art von Zeitungen, selbst Wahlkampf zu machen und ihre eigenen Lieblingskandidaten zu promoten.

Normalerweise stehen Zeitungen in der Pflicht, über Inhalte zu schreiben. Die Wähler/-innen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer eigentlich wofür steht und welche Politik mit dem jeweiligen Kandidaten zu erwarten ist. Doch nicht nur Bürgerrechtler Uwe Schwabe geht es beim Lesen der LVZ so, dass er das Gefühl bekommt, hier gehe es auf einmal nur noch um rechts gegen links.

Er meint seine Warnung tatsächlich ernst.

„Ich denke wir brauchen wieder eine Kultur des Meinungsstreits des Zuhörens, eine Kultur der Runden Tische, eine Kultur des Redens auf Augenhöhe. Ein Lagerwahlkampf in rechts und links bringt uns keinen Schritt voran“, schreibt er uns.

„Wir müssen auch viel mehr differenzieren zwischen rechts und links und Rechtsextrem und Linksextrem. Rechts und links hat einen Platz in unserer Gesellschaft solange sie auf den Grundfesten des Grundgesetzes stehen. Rechtsextreme und Linksextreme in unserer Gesellschaft und in unserer Stadt, sind entschieden abzulehnen. Ich denke auch, dass eine Polarisierung im Wahlkampf ok ist. Was aus meiner Sicht nicht ok ist, ist ein primitiver Lagerwahlkampf. Diesen hat Jung mit, aus meiner Sicht unnötigen Aussage, nach der Wahl eröffnet und zwar vor den Ereignissen von Thüringen. Die AfD Wähler werden jetzt vielleicht ihr Kreuz bei Gemkow machen. Ist das legitim oder nicht?“

Der OBM-Kandidat der AfD, Christoph Neumann, hatte diesbezüglich bei seinem Rückzug zumindest eine klare Anti-Haltung zu OBM Burkhard Jung parat, der in den letzten Jahren hier und da auffiel, etwas gegen Neonazis zu haben. Auch so kann man einen CDU-Kandidaten empfehlen.

Der Leipziger OBM-Wahlkampf sei auch nicht mit Thüringen zu vergleichen, so Schwabe weiter. „Dort haben gewählte Parlamentarier auf dümmste Weise mit dem Feuer gespielt. Dies ist absolut abzulehnen. In Leipzig handelt es sich um Wähler. Angesichts der Lage im Osten, hier gibt es weniger Stammwähler, weniger Bindungen an Parteien, müssen wir, glaube ich, damit leben, dass auch Personen oder im Leipziger Fall Bürgermeister, von vorherigen AfD-Wählern gewählt werden. Was wäre sonst die Alternative? Keiner darf mehr eine Wahl annehmen, wenn auch nur der Verdacht entsteht, er könnte mit Stimmen von vorherigen AfD-Wählern gewählt worden sein.“

Das Problem: in Thüringen wählten Abgeordnete einen Ministerpräsidenten, in Leipzig die Bürger einen Oberbürgermeister. Es ist wohl ein Unterschied, ob Björn Höcke einem Politiker ins Amt verhilft oder die Leipziger Bürger.

Die erste Townhall Leipzigs. Eine Idee, die es jährlich geben soll. Foto: L-IZ.de
Die erste Townhall Leipzigs. Eine Idee, die es jährlich geben soll. Foto: L-IZ.de

Zwei Kandidaten-Interviews & die erste „Townhall“ stehen noch aus

Das Interview mit Burkhard Jung, in dem wir ihm einige inhaltlich relevante Fragen gestellt haben, werden wir noch komplett auf der L-IZ veröffentlichen (es ist halt etwas länger und bedarf mehrerer Teile nach Themengebieten). Das Interview mit Sebastian Gemkow ist noch offen, genauso, wie seine Zusage zum großen „Townhall“-Bürgerwahlforum am Sonntag, 23. Februar, in der Peterskirche noch aussteht.

Denn genau das ist das Forum, auf dem die Kandidat/-innen (neben Burkhard Jung hat auch Ute Elisabeth Gabelmann wieder zugesagt) zu den inhaltlichen Fragen Antwort geben können, die wirklich aus der Stadtgesellschaft kommen. Denn für das Bürgerforum wurde das „Townhall“-Format gewählt: Kompetente Vereine, Initiativen und Verbände formulieren ihre Fragen an die Kandidat/-innen und das Publikum im Saal stimmt darüber ab, welche Fragen in welcher Reihenfolge drankommen.

Offener, bürgernaher und öffentlicher geht es nicht.

Hier die Liste der Organisationen, Vereine und Verbände, die am 23. Februar 2020 gemeinsam mit weiteren Bürger/-innen in der Peterskirche ihre Fragen an alle drei OBM-Wahl-Kandidat/-innen stellen wollen.

Stadtelternrat Leipzig
Evangelische Kirchgemeinde Peterskirche (und andere)
IHK zu Leipzig
Leipzig – Stadt für Alle
Parents for Future / Fridays for Future
We ride Leipzig (Leipziger Fahrradaktive)
ADFC Leipzig
BUND Leipzig
Leipzig nimmt Platz
Bürgervereine Anger-Crottendorf & Sellerhausen (& weitere)
DGB Leipzig
VLW e.G., Unitas, Lipsia etc. als Baugenossenschaftsverbund
Initiative Leipzig Plus Kultur
Landesverband Haus & Grund Sachsen
Buchkinder Leipzig e.V.
und weitere …

OBM-Wahl: Ein Oberbürgermeister im Wahlkampf & Rückzugskandidatinnen + Video

OBM-Wahl: Ein Oberbürgermeister im Wahlkampf & Rückzugskandidatinnen + Video

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