Zur Debatte um die Aufstellung von „Gabenzäunen“, also Orte, an denen zum Zwecke der scheinbaren Versorgung Obdachloser und Bedürftiger mildtätige „Gaben“ aufgehängt werden, gibt es nun ein Statement der Stadt Leipzig. Auf Anfrage von L-IZ.de haben sich Gesundheits- und Sozialamt zur Einrichtung der Gabenzäune eher negativ geäußert, mit der Kontrolle der wild entstehenden Stellen in der Stadt kommt man offenbar nicht hinterher. Die sprunghafte Verbreitung der Idee der Gabenzäune hatte vor wenigen Tagen vor allem in Großstädten wie Dresden, Leipzig und Berlin begonnen.

Durch die Corona-Pandemie stehen auch die etablierten Institutionen der Obdachlosenhilfe unter Druck. Die Tafeln mussten ihre örtlichen Ausgabestellen schließen und liefern mittlerweile stattdessen nur noch frei Haus. Auch viele Obdachlose hatten über die Tafeln eine Versorgung mit Lebensmitteln erhalten. Dieser Pfeiler bricht gerade weg und muss durch andere städtische Hilfsangebote ausgeglichen werden.

Der Aufforderung „zu Hause bleiben“ – die im Kontext von Obdachlosigkeit durchaus eine zynische Note erhält – wird Rechnung getragen, indem die Leipziger Notunterkünfte für männliche und weibliche Obdachlose ganztägig geöffnet sind. Zudem werden die Obdachlosen von den Streetworkern, dem Hilfebus Leipzigs und anderen Engagierten angehalten, sich in die Notunterkünfte zu begeben.

Gleichzeitig hat das Leipziger Suchtzentrum seine Bemühungen in der Versorgung der Obdachlosen seit einigen Tagen nach oben gefahren.

Einhaltung der Hygiene: Problematisch, Coronaübertragung nicht ausgeschlossen

Das Gesundheitsamt sieht bei den Gabenzäunen die Gefahr einer Ansteckung durch Unachtsamkeit oder ungenügende Hygiene. Sie richten sich zudem an eine Zielgruppe, die mehrere Risikofaktoren aufweist. Dazu gehören schlechter Zugang zu fließendem Wasser (Händewaschen) oder die gesundheitliche Konstitution der Obdachlosen, die häufig bereits schwere Erkrankungen zeigt. Hinzu kommt die Gefahr, sich durch verdorbene Nahrungsmittel Lebensmitteinfektionen zuzuziehen.

Insgesamt also eine eher negative Bewertung der Idee mit den „Gabenzäunen“durch das Amt. Das Fazit von Stadtsprecherin Martina Menge-Buhk: „In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung von ‚Gabenzäunen‘ – bei allem Verständnis für diese mitmenschliche Zuwendung – im Sinne der Hygienevorgaben als problematisch anzusehen.“ Zudem sei nicht auszuschließen, „dass bei Lebensmitteln der ‚Gabenzäune‘ durch Unachtsamkeit bzw. ungenügende Hygiene durch infizierte Personen Coronaviren weitergegeben werden können.“

Ein Gabenzaun im Leipziger Westen. Sinnvoll? Das Gesundheitsamt sagt eher nein. Foto: L-IZ.de
Ein Gabenzaun im Leipziger Westen. Sinnvoll? Das Gesundheitsamt sagt eher nein. Foto: L-IZ.de

In diesem Kontext wird auf die Rolle der Bevölkerung verwiesen: Diese sei angehalten, sich an allen Maßnahmen zu beteiligen, die die Verbreitung des Virus unterbinden. Das Betreiben von Gabenzäunen gehört offenbar nicht dazu. Es müssen sich also die Menschen, die Gabenzäune initiieren und betreiben, fragen lassen, welche Maßnahmen das Risiko einer negativen Auswirkung der Gabenzäune auf die Situation Obdachloser sie einhalten.

Unterdessen hat die Stadt Leipzig auch die in Leipzig regulär betrieben „Tauschboxen“ schließen lassen. Mit der Kontrolle und dem Abbau der im Moment überall wild entstehenden „Gabenzäune“ kommt man nicht hinterher, so die Auskunft Menge-Buhks, zumindest der erste am Hauptbahnhof Leipzig soll abgebaut worden sein.

Helfen – aber wie?

Nicht nur die Stadt Leipzig spricht sich für ein koordiniertes Vorgehen aus. Auch die Institutionen der Wohnungslosenhilfe wie beispielsweise das Suchtzentrum Leipzig hoffen auf Unterstützung und benötigen vor allem eines: Geld. Die Verteilung von Sachspenden ist derzeit schwierig, denn das Personal ist bereits stark ausgelastet und die Hygienevorschriften sind derzeit noch einmal deutlich erhöht, um den Erreger nicht allzu leicht zum Zuge kommen zu lassen.

Um den Obdachlosen beispielsweise die Möglichkeit zu verschaffen im Krankheitsfall Hilfe zu rufen, hat der Verein TiMMi ToHelp e. V. ein Crowdfunding gestartet. Zudem wird eine Verteilung von Gutscheinkarten organisiert, damit die Menschen sich in Supermärkten Lebensmittel kaufen können und Notrufhandys gesammelt. Unterdessen hat die Stadt seit Freitag weitere 25 Schlaf- und Wohnplätze in der Torgauer Straße für wohnungslose Personen in Leipzig eingerichtet.

Und das Frauenhaus für wohnungslose Frauen in Leipzig bittet dringend um Spenden. Ganz ohne Zaun.

Alle L-IZ-Fragen und Antworten des Gesundheitsamtes zum Thema Obdachlose in Leipzig

Wie schätzt das Gesundheitsamt das Risiko für die Gesundheit der Obdachlosen insgesamt (bspw. durch verdorbene Lebensmittel) und im speziellen durch Ansteckung mit dem Coronavirus ein?

Personen die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, zählen in allen Bereichen zu den Personen die ein hohes Infektionsrisiko aufweisen (Leben im Freien, kaum Möglichkeit Hände zu waschen u. a. m.). Zudem gehören sie bedingt durch oft gegebene zusätzliche schwere Erkrankungen zu der Risikogruppe, die in Gefahr stehen einen schwereren Verlauf der Erkrankung einer Coronavirus-Infektion durchzumachen.

Mit verdorbenen Lebensmitteln ist eine Ansteckung mit dem Coronavirus weniger gegeben, es könnten eher andere Lebensmittelinfektionen die Folge sein. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass bei Lebensmitteln der „Gabenzäune“ durch Unachtsamkeit bzw. ungenügende Hygiene durch infizierte Personen Coronaviren weitergegeben werden können.

Welche Maßnahmen wird das Gesundheitsamt vornehmen, um eine eventuell gegebene Gefährdung für die Gesundheit der Obdachlosen zu unterbinden?

Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unterliegen wie alle öffentlichen Einrichtungen die zur Versorgung von bedürftigen Menschen vorgehalten werden den Auflagen die durch die Epidemie jetzt aktuell durch den Freistaat Sachsen und durch die Fachvorgaben des Robert-Koch-Institutes gegeben sind.

Die Veröffentlichungen des Gesundheitsamtes (Homepage) und die Telefonhotline stehen den Mitarbeitern der Wohnungslosenhilfe ebenfalls zur Verfügung und können im Sinne der Verhinderung der Weiterverbreitung der Erkrankung genutzt werden.

Das Gesundheitsamt steht mit den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Bezug auf Hygienemaßnahmen in engem Kontakt. Zusätzliche Maßnahmen sind durch das Gesundheitsamt aktuell nicht geplant.

Wird ein ähnliches Verfahren in Betracht gezogen, wie mit zuletzt mit der „Tausch Box“ in Leipzig, die aus Gründen der Vireneindämmung geschlossen wurde?

Die Bevölkerung ist angehalten sich an allen Maßnahmen zu beteiligen, die eine Weiterverbreitung der Coronaviren eindämmen kann. In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung von „Gabenzäunen“ – bei allem Verständnis für diese mitmenschliche Zuwendung – im Sinne der Hygienevorgaben als problematisch anzusehen.

Das Gesundheitsamt kann allerdings nicht alle freien Plätze – oft handelt es sich um Orte in der Nähe von Schlafplätzen von wohnungslosen Menschen die auf der Straße leben – kontrollieren bzw. einschränken.

Die Bevölkerung sollte dazu informiert werden, dass aufsuchende Hilfe im Bedarf hinzugezogen werden kann und ggf. auch Lebensmittel und anderes (z. B. Schlafsäcke u. a. m.) an die wohnungslosen Personen ausgegeben werden kann. Dabei sind die jetzt notwendigen Hygienemaßnamen besser einzuhalten als mit „Gabenzäunen“.

Welche Maßnahmen sind seitens der Stadt Leipzig getroffen, auch die Obdachlosen in Leipzig zu schützen, zu versorgen und zu begleiten?

Mit Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen hat die Stadt Leipzig folgende Maßnahmen und Regelungen für obdachlose Menschen getroffen, die den Zugang zu Notschlafstellen erleichtern und eine Ausbreitung des Virus unter dem Personenkreis verhindern sollen:

Die Notschlafstellen (Alternative I, Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen und Übernachtungshaus für wohnungslose Männer) sind seit dem 23.03.2020 ganztags geöffnet. Die Bewohner/-innen der Notschlafstellen werden auf die Allgemeinverfügung zur Ausgangsbeschränkung und deren Inhalt durch Aushänge und persönliche Information hingewiesen.

Die beiden Tagestreffs für Wohnungslose wurden aufgrund der Ausgangsbeschränkungen und der damit verbundenen Minimierung der Kontakte geschlossen. Post wird weiter an die Klienten ausgegeben.

Die Beratung in den Räumen der Bahnhofsmission wurde geschlossen. Die Mitarbeiter/-innen suchen obdachlose Personen im / am Bahnhof auf und beraten diese über die ganztägige Öffnung der Notschlafstellen. Das Streetwork und der Hilfebus werden weiter aufrechterhalten, um obdachlose Personen, die aktuell im Freien nächtigen, aktiv aufzufordern, die Notschlafstellen (auch tagsüber) in Anspruch zu nehmen.

Derzeit werden 25 zusätzliche Notschlafplätze in vorhandenen Wohncontainern am Standort Torgauer Straße 290 eingerichtet. Die zusätzlichen Schlafplätze sollen ab Freitag (27.03.2020) zur Verfügung stehen und die Raumbelegung im Übernachtungshaus für wohnungslose Männer entspannen. Bei Bedarf können kurzfristig weitere Schlafplätze bereitgestellt werden.

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