Sie wollten nur Brötchen kaufen: In einer Schlange vorm LUKAS Bäcker in der Petersstraße bis zum Ende des Leipziger Markts „versammelten“ sich am Freitagnachmittag, 24. April 2020, mehrere hundert Menschen zum friedlichen Protest. In Zeiten, in denen Demonstrieren nur unter verschärften Auflagen gestattet ist, riefen mehrere Aktionsnetzwerke am Nachmittag zum politischen Schlangestehen auf. Mit Atemschutzmasken und gebührend Sicherheitsabstand, versteht sich.

Aufgerufen zu der Aktion hatten die Ortsgruppen von Ende Gelände, Fridays for Future (FFF) sowie das Aktionsbündnis Leipzig nimmt Platz (LnP) und die Seebrücke Leipzig. Nachdem die am Montag von Leipzig nimmt Platz geplante Demonstration kurzfristig abgesagt wurde, wurde so eine Form gefunden, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, die derzeit weniger frei als beschränkt ist, wahrzunehmen.

„Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass es neben der Coronakrise auch andere Krisen gibt, die weiter wüten. Die Klimakrise besteht natürlich nach wie vor: Wir hatten diese Woche einen Brand in Leipzig, schon im April herrscht Dürre. Auch die dramatische Situation in den Lagern an der EU-Außengrenze verschwindet nicht von allein. Da wir aktuell unserer Protestform beraubt sind, wollen wir in dieser kreativen Art des Protests ein Zeichen setzen“, erklärte Max Becker von Ende Gelände Leipzig.

„Es soll aber auch darauf aufmerksam machen, dass momentan die grundlegenden Grund- und Freiheitsrechte stark eingeschränkt sind und dass wir darauf setzen, dass es eine Öffnung des Versammlungs- und Demonstrationsrechts geben sollte. Wenn die Menschen hier mit Sicherheitsabstand und an der frischen Luft stehen, ist es weniger gefährlich, als wenn sie in einer Fabrik oder einem überfüllten Supermarkt zusammenkommen. Deswegen hoffen wir auf die Einsicht der Politik.“

Bisher sind Demonstrationen in Leipzig und ganz Sachsen nur dann erlaubt, wenn Teilnehmer ihre persönlichen Kontaktdaten angeben. Für LnP war diese strittige Auflage am Montag Anlass, den geplanten Protest abzublasen.

„Dies ist aus unserer Sicht auch mit Blick auf die sonstigen Lockerungen, zum Beispiel bei epidemiologisch vergleichbaren Aktivitäten wie dem Besuch von Wochen- oder Supermärkten, unverhältnismäßig. Wir prangern dies nicht nur als Ungleichbehandlung, sondern als Abwertung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit an“, erklärte Irena Rudolph-Kokot in einem Statement am Mittwoch.

Irena Rudolph-Kokot & Jürgen Kasek von „Leipzig nimmt Platz“ zu Demos in Coronazeiten. Video: L-IZ.de 

Autoritäre Ideen würden durch die Auflagen und Einschränkungen verstärkt werden, ergänzt Max Becker. „Wir müssen aufpassen, dass diese Ideen nicht gewinnen. Es scheint ein sächsisches Problem zu sein und das wollen wir nicht mittragen.“ Auch in Dresden und Chemnitz waren am Montag Demonstrationen angemeldet worden, ebenso unter den verschärften Bedingungen.

Seit Beginn der Coronakrise in Deutschland rückten Probleme abseits von Viren und Beatmungsbetten vermehrt in den Hintergrund. Gerade deshalb sei es wichtig, weiterhin auf die Straße zu gehen, erklärt auch Michael Neuhaus, Stadtrat für die Fraktion Die Linke und Mitglied der Linksjugend Leipzig.

„Im Mittelmeer ertrinken Menschen, in den griechischen Flüchtlingslagern leben noch immer tausende Menschen auf engstem Raum zusammen. Die Bundesregierung spricht davon, diese Menschen nicht evakuieren zu können, während Erntehelfer aus anderen Ländern eingeflogen werden, um die Spargelernte zu retten. Das ist heuchlerisch. Wir sagen: Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind.“

Höchst problematisch sei auch die Situation, dass die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt sei, während beispielsweise Wochenmärkte weiterhin geöffnet seien, so Neuhaus. „Das ist fatale Prioritätensetzung.“

Bis das Versammlungsrecht wieder ungehindert ausgeübt werden kann, scheint das politische Schlangestehen zumindest eine legale Alternative. Auch andere Formen des Protests machten am heutigen Freitag auf verschiedene Themen aufmerksam. So unterstrich die Gastronomie-Branche Leipzigs mit der Aktion „Leere Stühle“ auf dem Augustusplatz ihre Forderungen an die Bundesregierung.

Ebenso aktiv war die Ortsgruppe von Fridays for Future, die an verschiedenen Plätzen Leipzigs, wie dem Wilhelm-Leuschner-Platz oder auf der Sachsenbrücke und im Lene-Voigt-Park, Banner und Plakate auslegte. In den sozialen Medien fand unterdessen der globale #NetzstreikFürsKlima statt.

Wann, wie und wo zum „normalen“ Protest zurückgefunden werden kann, ist unklar. Bis dahin gilt: Hinten anstellen.

Bildergalerie von allen Aktionen am 24. April 2020 (Fotos L-IZ.de)

Mittwoch, der 22. April 2020: Die Coronakrise beschäftigt die Gerichte

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(Nicht) Demonstrieren in Coronazeiten

(Nicht) Demonstrieren in Coronazeiten

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