Mit elf Stadträt/-innen ist die AfD im Leipziger Stadtrat seit der Kommunalwahl 2019 vertreten. Damit ist die AfD nach Linken, Grünen und CDU die viertstärkste Fraktion. Da könnte man eigentlich erwarten, dass die Männer und Frauen, die sich hier ins Stadtparlament haben wählen lassen, auch denselben Fleiß an den Tag legen wie die anderen Stadträtinnen und Stadträte. Aber schon nach einem Jahr ist die Luft raus. Ein sehr eigenartiger Antrag erzählt von einer völlig überforderten Fraktion.

Dass die Ratsversammlung immer häufiger tagt und viele brennende Themen der Stadt sehr ernsthaft und ausführlich diskutiert, haben die Bürger und Bürgerinnen ja schon mitbekommen. War es einst normal, dass eine Stadtratssitzung pro Woche genügte, das Aufgabenpensum zu bewältigen, ist es längst normal, dass es dazu zwei lange Sitzungen braucht. Auch drei Sitzungen hintereinander haben wir nun schon erlebt.

Und natürlich Stadträte – vor allem aus der CDU-Fraktion – die die teils sehr langen Diskussionen kritisierten und forderten, dass die einzelnen Themen doch bitteschön in den Ausschüssen besser vorbereitet werden sollten, damit in der eigentlichen Ratsversammlung nicht noch ewig Pro und Kontra ausgetauscht werden müssen.

Aber das ist wohl eher nicht das Problem. Und zeigt wohl eher, wie schwer es auch der CDU-Fraktion fällt, die Veränderungen wahrzunehmen, die sich auch mit der Einführung des Livestreams im Stadtrat ergeben haben: Die Arbeit des gewählten Stadtparlaments ist attraktiver geworden. Die Bürger schauen ihren Stadträten quasi dabei zu, wie sie diskutieren.

Dazu kommt: Auch die Zahl der Petitionen und Einwohneranfragen hat deutlich zugenommen. Auch sie werden immer wieder in der Ratsversammlung besprochen. Und immer mehr wichtige Anträge kommen auch aus dem Jugendparlament, den Ortsteilräten und den Stadtbezirksbeiräten.

Die Verantwortung für die Zukunft der Stadt wird überall immer ernster genommen.

Und das alte „Leipziger Modell“ ist tot. Das war das unter OBM Hinrich Lehmann-Grube installierte Modell der gemeinsamen Absprachen, bei dem viele Entscheidungen schon vorher im Ältestenrat geklärt wurden. In der Regel einvernehmlich. Dass das eigentlich nicht Sinn von Demokratie war, hat sich spätestens unter der Ägide von OBM Burkhard Jung gezeigt, als diese Einvernehmlichkeit immer seltener hergestellt werden konnte und Entscheidungen immer öfter zu einem Kräftemessen wurden, bei dem sich einige Fraktionen mit durchaus wichtigen Anliegen nicht mehr repräsentiert fühlten.

Erst waren es die Grünen, die deshalb das Leipziger Modell aufkündigten, die Linken folgten. Und mittlerweile merkt man auch, dass auch die Freibeuter-Fraktion und die SPD die Freude daran entdeckt haben, nicht mehr auf ein Zeichen des Wohlwollens aus der Verwaltung zu warten.

Man prescht dabei nicht nur mit eigenen Anträgen und Änderungsanträgen vor, sondern stimmt sich meist auch mit den anderen Fraktionen ab, um wenigstens ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der eigene Vorschlag mehrheitsfähig ist und von den anderen Fraktionen Unterstützung bekommt.

Was für die Verwaltung oft genug frustrierend sein dürfte, weil kaum noch eine Verwaltungsvorlage ungeschoren und ungeändert durch den Stadtrat kommt.

Auch bei der CDU-Fraktion merkt man inzwischen Anzeichen dafür, dass die dort versammelten Stadträt/-innen gemerkt haben, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Verwaltung und Stadtrat verschoben hat und die wichtigsten Initiativen mittlerweile alle aus den Ratsfraktionen kommen. Man konnte regelrecht zuschauen, wie Leipzigs höchstes Gremium in den letzten Jahren an Souveränität gewonnen hat.

Nur eine Fraktion spielt nicht mit.

Und der Antrag, den die AfD-Fraktion jetzt gestellt hat, ist im Grunde eine Bankrotterklärung. Mindestens das Wedeln mit einer Weißen Fahne: Die älteren Damen und Herren sind von der demokratischen Plackerei im Stadtrat sichtlich überfordert.

„Alle Fraktionen und Stadträte des Leipziger Stadtrates verzichten freiwillig und zeitlich begrenzt auf ihr Recht, in unbegrenzter Anzahl Anträge zur Ratsversammlung zu stellen“, beantragt die AfD-Fraktion in diesem eigentlich kuriosen Antrag, mit dem tatsächlich freiwillig auf demokratische Grundrechte verzichtet werden soll.

„Die Fraktionen und Stadträte des Leipziger Stadtrates einigen sich, ab dem Datum der Beschlussfassung für die danach drei aufeinander folgenden Monate nicht mehr als drei Anträge ins Verfahren zu geben.“

Die Begründung klingt nicht besser, denn sie erzählt von gewählten Volksvertretern, denen die Arbeit fürs Volk zur Plackerei geworden ist.

„Alle Leipziger Stadträte üben ihr Mandat im Ehrenamt aus. Das heißt, neben ihren beruflichen Tätigkeiten nimmt die Stadtratsarbeit einen nicht unerheblichen zeitlichen Rahmen in Anspruch. Daher ist es notwendig, dass die für das Ehrenamt zur Verfügung stehende Zeit so effektiv wie möglich genutzt werden kann“, kann man da lesen.

„In den letzten Monaten wurde es zur Gewohnheit, dass statt der üblichen einen oft zwei, manchmal sogar drei Ratsversammlungen pro Monat stattfanden. Dies war, neben den coronabedingten zusätzlichen Verwaltungsvorlagen, einem überaus hohen Aufkommen von eingebrachten Anträgen der Fraktionen geschuldet.

Viele Anträge und Vorlagen konnten daher nicht in der vorgesehenen Ratsversammlung behandelt werden und wurden somit auf den jeweils nächsten Termin verschoben. Die Folge war ein noch nie dagewesener Antragsstau. Dieser hält nach wie vor an, eine Entspannung ist bisher nicht in Sicht! Im Gegenteil: Für November 2020 ist bereits abzusehen, dass weitere Ratsversammlungen notwendig werden.“

Man kann jetzt schon ahnen, wie der Alten-Herren-Riege dafür vor versammelter Ratsversammlung der Kopf gewaschen wird. Denn durch wirklich konstruktive Beiträge ist die AfD-Fraktion in den anderthalb Jahren nicht aufgefallen. Meist hat sie nur eifrig dagegen gestimmt, wenn sich die Stadtratsmehrheit auf einen Antrag und seine Änderungen verständigt hatte.

Der Verweis aufs Geld ist im Grunde auch nur das Eingeständnis, dass man in der blauen Fraktion nicht wirklich verstanden hat, dass eine wachsende Stadt wie Leipzig auch mit mehr drängenden Aufgaben und Problemen konfrontiert ist. Im Angesicht von Klimaerhitzung und Verkehrswende, der Energiewende und den Problemen am Wohnungsmarkt ist auch der Aufgabenberg für die gewählten Stadträt/-innen gewachsen. Die wirklich engagierten Mandatsträger/-innen hängen tatsächlich noch einmal ein volles Arbeitspensum hintendran – für ihre Wählerinnen und Wähler.

Hatten die Kandidat/-innen der AfD eigentlich gedacht, dass Stadtratsarbeit gemütlich und entspannend ist?

Zumindest scheinen sie davon noch immer zu träumen und meinen: „Der vorliegende Beschlussvorschlag verfolgt das Ziel, die vielen zusätzlichen Ratsversammlungen, welche vor allem durch eine große Antragsflut seit Anfang des Jahres 2020 notwendig wurden, zu reduzieren bzw. überflüssig zu machen. Allein bis Oktober 2020 mussten sechs zusätzliche Ratsversammlungen einberufen werden, welche den öffentlichen Haushalt und somit den Steuerzahler mit bis zu 46.000 EUR allein durch Sitzungsgelder belasteten.

Um zu einem möglichst turnusmäßig-normalen Sitzungsrhythmus zurückkehren zu können, ist aus Sicht der antragstellenden Fraktion der einzig sinnvolle, effektive und zielführende Weg, eine über drei Monate zeitlich begrenzte fraktionsübergreifende Selbstbeschränkung von maximal drei Anträgen zu beschließen. Damit wird ein Grundstein dafür gelegt, dass spätestens ab Frühjahr 2021 wieder eine geregelte Stadtratsarbeit möglich ist, welche zusätzliche Ratstermine weitgehend überflüssig werden lässt.“

Wenn die Antragsteller nur ein wenig mitbekommen haben, welche Aufgabenberge Verwaltung und Stadtrat mittlerweile abzuarbeiten haben, müssten sie eigentlich ahnen, dass so ein Antrag genau dahin führen würde, dass die „Antragsflut“ (sie lieben augenscheinlich diese Bilder mit Welle, Flut und Boot) im Frühjahr noch viel größer sein wird, nämlich ein halbes Jahr angestaut und nicht abgearbeitet.

Und dann?

Dann spätestens dürften sich einige Leipziger/-innen fragen, was eigentlich elf Leute im Stadtrat zu suchen haben, denen dieses verflixte Ehrenamt sichtlich zu viel Arbeit ist.

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Es gibt 4 Kommentare

Das eine Halbmillionenstadt nicht am Abendbrotstisch so nebenher organisiert und entwickelt werden kann, sollte allen Mandatsträgern vor der Wahl klar gewesen sein.
Nun gibt es in dieser Legislaturperiode viele neugewählte Stadträte die sich in diese Aufgabe gestürtzt haben. Den erfahrenen Kollegen einer jeden Fraktion sollte es nun obliegen den ‘Neuen’ zu helfen und bei der strukturierten Arbeit in der Fraktion und im Stadtparlament zu unterstützen. Das mal ganz allgemein vorweg.

Jetzt wird also bemerkt das Demokratie anstrengend ist? Welch Wunder! Streit muss vorbereitet sein. Argumentativ. Rethorisch. Personell.
Als Fraktion hat man Aufgaben anzunehmen!
Das ist meine Forderung als Wähler. Nicht nur die eigenen Ziele sind dabei zu verfolgen, sondern auch die der anderen kritisch zu begleiten und zu diskutieren. Nur so kann man zu Ergebnissen kommen die den meisten der Bürger dieser Stadt nutzen oder zumindestens nicht schaden. Etwas abzulehnen weil man keine Ahnung vom Sachverhalt hat, ist bereits vorgekommen und unwürdig des Mandates.
Also arbeitet! Strengt euch an! Und wenn euch eure Partei, eure Gruppe, wegen fehlender Agenda oder eines unzureichenden Parteiprogramms nicht helfen kann, dann müsst ihr euch durch den mühevollen Weg der Anträge lesen. Und sie verstehen. Und dann entscheiden. Empathisch.
Und die Möglichkeiten der Bügerbeteiligung durch ‘Rationierung’ der Anträge einzuschränken, halte ich gelinde gesagt für vormundschaftlich. Einen vormundschaftlichen Staat habe ich schon einmal erfahren. Ich lehne ihn ab. Ich hoffe wir haben ihn überwunden und führen diesen nicht durch welche Hintertür auch immer, wieder ein.

Schön, daß man hier mal gut erkennen kann, was diese Partei von parlamentarischer Arbeit und parlamentarischer Demokratie tatsächlich hält.

Zugegeben sollte es aber auch nicht normal sein, mehrere Stadtratssitzungen pro Monat abhalten zu müssen.
Das sehr große Engagement der Stadtratsmenschen verlangt mir Respekt ab.
Aber werden dadurch nicht auch interessierte Bürger abgeschreckt, dort perspektivisch mitzuwirken, wenn der Aufwand nur durch “übermenschliches” Engagement zu bewerkstelligen ist?

Gibt es denn außer diesem zum Schmunzeln anregenden Vorschlag der AFD noch andere Anregungen von Fraktionen, dem Problem Herr zu werden?
Oder soll alles einfach – im wahrsten Sinne des Wortes – “ausgesessen” werden und es gilt, nur wer die stärkste Kondition hat, darf auch weiter mit dabei sein?

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