Das hatte Leipzigs Verwaltung auch schon ein paar Mal drauf: Da hat man ein teures Gutachten bestellt, um Argumente zu haben, um Stadtratsanträge ablehnen oder befürworten zu können – und dann wurde das Gutachten einfach unter Verschluss gehalten, sodass die 70 Stadträt/-innen nicht wussten, ob sie richtig liegen oder falsch. Das geht nun wohl auch bei einem Gutachten zum 365-Euro-Ticket so. Die Freibeuter fordern die sofortige Veröffentlichung.

Denn natürlich wollen die meisten Stadtratsfraktionen aus Verantwortung für die Stadt entscheiden und die Stadt nicht in Entwicklungen hineinlaufen lassen, die am Ende zum finanziellen Desaster werden. Diese Angst hat ganz besonders FDP-Stadtrat Sven Morlok, der durchaus aufmerksam verfolgt, wie gerade Grüne, Linke und SPD-Fraktion versuchen, die Idee des 365-Euro-Tickets trotz bislang fehlender Fördermittel vom Bundesverkehrsministerium irgendwie Realität werden zu lassen.Wenn aber die nötigen Finanzen fehlen, könnte das Ganze ein schöner, aber viel zu teurer Traum werden.

Also fordert die Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat in einem Antrag Oberbürgermeister Burkhard Jung auf, das Gutachten zur Einführung eines 365-Euro-Tickets in Leipzig umgehend zu veröffentlichen.

Geschrieben hat ein solches Gutachten Professor Dr.-Ing. Carsten Sommer von der Universität Kassel. Und natürlich macht es nicht viel Sinn, wenn die Verwaltung zwar weiß, welche Schlussfolgerungen Sommer zieht, die Ratsfraktionen in der Diskussion aber im Dunkeln tappen lässt.

Also formulieren die Freibeuter ihr Anliegen so: „Die Stadt Leipzig hat Professor Dr.-Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel) mit der Untersuchung beauftragt, unter welchen Voraussetzungen die Einführung eines 365-Euro-Tickets in Leipzig sinnvoll ist. Die Ergebnisse sind in den Gremien des Stadtrates diskutiert worden. Das Thema ist auch weiter Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung. Darüber hinaus liegt ein Antrag zur teilweisen Einführung des 365-Euro-Tickets vor. Im Sinne der Transparenz gegenüber den Bürgern der Stadt Leipzig und zur sachgerechten Diskussion des vorliegenden Antrags in öffentlicher Sitzung ist die Veröffentlichung des Gutachtens zum 365-Euro-Ticket dringend geboten.“

Der Fraktionsvorsitzende der Freibeuter, Sven Morlok (FDP), sieht die Veröffentlichung des Gutachtens dringend geboten: „Nach wie vor ist die Einführung des 365-Euro-Tickets in Leipzig Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung. Insbesondere dank der Forderungen seiner Befürworter oft in zeitlicher Nähe zu bevorstehenden Wahlen, ist der Stadtrat immer wieder gezwungen, sich mit der Einführung des 365-Euro-Tickets zu befassen. Ohne die Ergebnisse des Gutachtens ist eine sachgerechte Diskussion des Themas jedoch unmöglich. Und auch den Leipzigern muss transparent gemacht werden, welche Voraussetzungen vor Einführung des 365-Euro-Tickets erfüllt sein müssen.“

Aktuell liegt ein Antrag von Linken und SPD zur stufenweisen Einführung des 365-Euro-Tickets vor.

Die Forderungen in diesem Antrag entfalten, so Morlok, keine verkehrlichen Wirkungen und leisten somit auch keinen Beitrag zur Verkehrswende. Das Problem ist nämlich auch, dass das Leipziger Straßenbahnnetz noch gar nicht leistungsfähig genug ist, um deutlich mehr Fahrgäste (dann mit 365-Euro-Jahresticket) zu verkraften. Es muss erst flächendeckend investiert werden, damit deutlich mehr Bahnen in kürzeren Takten unterwegs sind.

„Linke und SPD verteilen lediglich das Geld der Steuerzahler an ausgewählte Bevölkerungsgruppen“, meint Morlok. „Mit Verkehrswende hat das nichts zu tun. Es ist schlicht unmöglich, einen solchen Antrag sachgerecht in öffentlicher Sitzung zu diskutieren, wenn man in der Diskussion die Ergebnisse des Gutachtens nicht verwenden darf.“

Die Stadt Leipzig hatte Professor Dr.-Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel) beauftragt zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Einführung eines 365-Euro-Tickets in Leipzig sinnvoll ist. Die Ergebnisse des Gutachtens sind bisher lediglich in nichtöffentlichen Sitzungen diskutiert worden. Der Antrag der Freibeuter wird in der Ratsversammlung am 24. Februar 2021 erst einmal in die Gremien des Stadtrates verwiesen.

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Die Stadt wird (zum großen Teil) demokratisch gesteuert durch den Stadtrat und seine Gremien.
Entweder, die handelnden Personen sind schlau genug und diskutieren offen über dies und das.
(Offen, wenn es sich nicht gerade um sensible Bereiche handelt)
Oder aber, man holt sich externen Sachverstand, bezahlt aus Steuermitteln(!), und diskutiert mithilfe dieser zusätzlichen Informationen. Unabhängig davon, welches Ergebnis in einem solchen Gutachten steht.

Und dann gehören diese Informationen auf den Tisch.
Auf den Tisch von all jenen, die entscheiden, handeln oder kontrollieren.

Wieso kann die Verwaltung das ‘für uns’ beauftragte Gutachten unter Verschluss halten?

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