Das konnte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal dann in der Ratsversammlung am 9. Februar nicht mehr einfach weglächeln. Die Grünen-Fraktion hatte vorher angefragt, was aus dem 2019 vom Stadtrat beschlossenen Schallschutzfenster-Programm geworden ist. 200.000 Euro hatte der Stadtrat pro Jahr dafür bereitgestellt, dass Hausbesitzer an stark befahrenen Hauptstraßen solche Fenster von der Stadt gefördert bekommen. Das Geld aber wurde nie ausgegeben.

„Der Stadtrat hat in seiner Sitzung am 30.01.2019 zum Doppelhaushalt 2019/20 beschlossen, dass die Stadt ein kommunales Programm zur Förderung von Haus- und Wohnungseigentümern zum Einbau von schallgeschützten Fenstern in Bestandsgebäuden, die an besonders lärmintensiven Verkehrsstraßen liegen, auflegt. Dieses Programm sollte ab 2020 mit 200.000 € p.a. ausgestattet werden. Zur Umsetzung dieses Programmes wurde zudem eine Stelle eingerichtet und entsprechende Personalaufwendungen im Doppelhaushalt berücksichtigt. Nunmehr sind drei Jahre vergangen. Die Förderrichtlinie wurde dem Stadtrat bislang nicht vorgelegt, im Fördermittelfinder der Stadt Leipzig findet sich zu einem solch beauftragten Förderprogramm keine Spur“, stellten die Grünen in ihrer Anfrage fest.„Lediglich der Entwurf des Lärmaktionsplans thematisiert in aller Kürze in seiner 2. Fortschreibung das besagte Förderprogramm. Auf Seite 31 steht dazu folgender Passus: ‚Die jährliche Finanzierung in Höhe von 200.000 € wurde von der Ratsversammlung bereits beschlossen. Nach derzeitigem Stand werden die Haushaltsmittel im Doppelhaushalt 2023/2024 bereitgestellt. Mit dem Förderprogramm soll Eigentümerinnen und Eigentümern der Einbau von Schallschutzfenstern in Bestandsgebäuden ermöglicht werden. Die Erarbeitung der Förderrichtlinie soll ab 2021 erfolgen.‘

Bereits im November 2019 fragte unsere Fraktion nach dem Stand der Erarbeitung und Umsetzung des Ratsbeschlusses. Damals, immerhin auch schon 27 Monate her, wurde uns mitgeteilt, dass die Stelle besetzt und die Förderrichtlinie in Erarbeitung sei. Es müssten Bezüge zur Lärmkartierung 2017 und vor allem zur Lärmaktionsplanung hergestellt werden. Aus damaliger Sicht wurde gemutmaßt, dass die Vorlage Ende II. Quartal 2020 dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt werde und man daher einschätze, dass eine realistische Antragsfrist für eine aktive Förderung der 30.09.2019 sei.

Dieses Förderprogramm hätte das Potenzial, nicht nur an besonders stark frequentierten Straßen und Knotenpunkten den wohnhaften Menschen mehr Ruhe zu verschaffen, sondern gleichfalls eine klimatische Wirkung zu erzielen, indem wesentlich bessere Wärmedämmwirkungen erzielt werden könnten, sofern alte Fenster dafür ausgebaut würden. Vor dem Hintergrund des ausgerufenen Klimanotstandes stellt sich dann doch die Frage, warum dieses Programm nicht längst als aktive Maßnahme vorangebracht und umgesetzt wurde.“

Einfach so kassiert?

Aber die Antwort aus dem Amt für Umweltschutz zeugte dann, wie Grünen-Stadtrat Michael Schmidt es am 9. Februar ausdrückte, „von Ignoranz der Verwaltung gegenüber Beschlüssen des Stadtrates“. Denn in der Antwort lautete es kurz und knapp: „Die für die Umsetzung des Schallschutzfensterprogrammes seitens des Stadtrates vorgesehenen 200.000 € p. a. wurden in den Doppelhaushalt 2021/2022 nicht eingestellt. Wegen des infolgedessen fehlenden unmittelbaren Bedarfes an einer Richtlinie wurde im Rahmen der Priorisierung von Aufgaben die Erarbeitung bis zum Jahr 2022 zurückgestellt.“

Was schlicht nicht stimmt. Das wurde dann am 9. Februar doch recht deutlich. Die Gelder wurden zwar im Doppelhaushalt 2019/2020 eingestellt. Die entsprechende Personalstelle aber wurde erst 2020 besetzt. Doch der neue Mitarbeiter kümmerte sich nicht um die Erstellung der nötigen Fachförderichtlinie für die Schallschutzfenster. Denn ohne diese Richtlinie können die Gelder nicht beantragt werden. Der neu eingestellte Mitarbeiter kümmerte sich – so Rosenthal – erst einmal prioritär um das Gründachprogramm. Stimmt, auch das musste der Stadtrat erst beschließen, damit es in der Verwaltung zum Laufen kam.

Aber richtig auf die Palme brachte Michael Schmidt die Aussage vom „fehlenden unmittelbaren Bedarf“. Der Bedarf ist da. Das zeigt jede Umfrage zur Lärmbelastung der Leipziger. Sie leiden besonders unter Kfz-Lärm. Und am meisten leiden darunter die Menschen, die an verkehrsreichen Hauptstraßen wohnen müssen. Dort sind die Wohnungen meist preisgünstiger – eben weil sie so laut sind. Hier wären Schallschutzfenster dringend gefragt.

Aber ohne Fachförderrichtlinie konnten die 200.000 Euro pro Jahr nicht abgerufen werden. Das Geld ist einfach nicht geflossen. Und wie die Antwort des Amtes für Umweltschutz belegt, wurde im Haushalt 2021/2022 erst gar kein Geld für Schallschutzfensterförderung eingestellt. Begründung jetzt: Es gibt ja keine Fachförderrichtlinie.

Wer hat da nicht aufgepasst?

Ziemlich logisch, dass Grünen-Stadtrat Norman Volger dann sehr dezidiert nachfragte, ob es in Sachsens Gemeindeordnung einen Passus gibt, der es Bürgermeistern erlaubt, Stadtratsbeschlüsse einfach zu kassieren.

Den gibt es aber nicht, bestätigte OBM Burkhard Jung, der sich in dieser Debatte sichtlich zurückhielt. Denn wirklich begründen konnte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal nicht, warum der Stadtratsbeschluss nicht umgesetzt wurde. Für die Erarbeitung der Förderrichtlinie braucht es ja kein Extra-Geld. Die zuständige Stelle ist besetzt, kann die Richtlinie also erarbeiten.

Und nach der Auskunft des Amtes für Umweltschutz wird die Richtlinie jetzt auch endlich erarbeitet. Aber auch das war eine Auskunft mit Haken, wie Michael Schmidt feststellen musste. Sie lautete: „Die Förderrichtlinie wird in diesem Jahr zum Beschluss geführt, sodass sie zum möglichen Beginn der Förderung im Jahr 2023 vorliegt. Sollten die für die Förderung benötigten Mittel nicht in den Doppelhaushalt 2023/2024 eingestellt werden, könnte es sein, dass die Erarbeitung der Förderrichtlinie zugunsten der Erledigung dringenderer Aufgaben erneut zurückgestellt werden muss.“

Da fühlte sich Schmidt gründlich auf den Arm genommen. Denn um die Förderrichtlinie zu erstellen, braucht es die Fördergelder nicht. Wenn der Stadtrat aber jetzt wieder 200.000 p. a. in den Haushalt 2023/2024 einstellt und wieder keine Förderrichtlinie existiert, können die Gelder wieder nicht beantragt werden.

Es war Burkhard Jung, der an dieser Stelle zugab: „Da haben wir alle nicht aufgepasst.“ Und als Volger nicht locker ließ in der Frage, wer denn nun die Verantwortung für die Nichtumsetzung trägt: „Wir haben die Beschlüsse des Stadtrates umzusetzen. Punkt.“

Das darf man durchaus als einen öffentlichen Tadel interpretieren. Wer ihn in sein Hausaufgabenheft bekommt, können ja Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, sein Amtsleiter für den Umweltschutz Peter Wasem und der zuständige Mitarbeiter für Gründächer- und Schallschutzfenster untereinander klären.

Mindestens einer hat hier dafür gesorgt, dass das Schallschutzfensterprogramm vier Jahre lang nicht zum Tragen kam. Vier Jahre, die die Betroffenen an den lauten Hauptstraßen weiter mit dem Lärm leben mussten. Denn umziehen können sie in der Regel nicht, weil sie sich auf dem eng gewordenen Leipziger Wohnungsmarkt andere Wohnungen meist nicht leisten können.

Jetzt kann man nur hoffen, dass die Förderrichtlinie im Amt für Umweltschutz tatsächlich noch 2022 fertiggestellt und zum Beschluss gebracht wird. Dafür, dass die 200.000 Euro dann ab 2023 zur Verfügung stehen, wird schon der Stadtrat sorgen. Der hat seine Hausaufgaben nämlich gemacht.

Die Debatte vom 9. Februar 2022

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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