Wenn sich der Leipziger Vergabeausschuss VOL dieses Thema nicht längst auf den Tisch gezogen hat, dürfte das überraschen. Denn als die Stadt am 22. April die europaweite Ausschreibung für die Buchlieferungen an die Stadtbibliothek Leipzig startete, war im Vorfeld so einiges Seltsame geschehen, das mit fairen Wettbewerbsbedingungen oder gar einem Gleichbehandlungsgrundsatz der Buchhändler nichts zu tun hat.

Bislang kaufte die Stadtbibliothek ihre Bücher nämlich vor Ort – bei den Buchhändlern der guten, alten Buchstadt, die gerade elegant demoliert wird.

Und eine Antwort, die wir auf unsere Nachfrage bei der Stadt bekommen haben, liest sich immer seltsamer, je öfter man sie liest. Wir hatten gefragt: „Hat die Stadt das Gespräch mit den Betroffenen – vor allem den Buchhändlern – gesucht? Nach unseren Informationen war das nicht der Fall. Warum also nicht?“

Aber darauf hat die Stadt nicht geantwortet, aber angedeutet, wann die ganze Sache ins Rollen kam: „In den vergangenen Jahren wurden bereits andere Vergabeverfahren durchgeführt – zum Beispiel für die Vergabe der sog. Non-books (Nicht-Buch-Medien wie CD, DVD, Spiele, etc.) der Leipziger Städtischen Bibliotheken. In diesem Zusammenhang kam es zu Anfragen (Leipziger) Buchhändler, ob ein solches Vorgehen auch für Bücher vorgeschrieben und vorgesehen sei. Auf diese Anfragen wurde auf das anstehende Verfahren für Bücher hingewiesen.“

Das heißt: Nur jene „(Leipziger) Buchhändler“, die damals fragten, ob auch die Bücher demnächst europaweit ausgeschrieben werden sollten, wussten, dass da etwas im Busch war. Welche Buchhändler das freilich waren, verriet uns die Stadt nicht.

Lose auf große Lieferanten zugeschnitten

Dass hier möglicherweise schon frühzeitig mit größeren Buchhändlern gesprochen wurde, lässt sich nur vermuten. Denn die ganze Ausschreibung ist voller Tücken und Barrieren, die es kleinen Leipziger Buchhandlungen praktisch unmöglich machen, sich auf auch nur einen der Ausschreibungsposten zu bewerben.

Es geht schon bei den Ungewissheiten los, in welchen Verpflichtungen man landet, wenn man sich für volle vier Jahre (2023 bis 2026 umfasst das Ausschreibungspaket)  für derart große Lose bewirbt.

Bislang hat die Stadtbibliothek Leipzig – wie etliche andere Stadtbibliotheken in Deutschland auch – ihre Bücher in kleinen Kontingenten bei kleinen und größeren Buchhändlern in Leipzig direkt gekauft. Die Wettbewerbsgleichheit war gegeben, denn durch die Buchpreisbindung kosten Bücher in allen Buchhandlungen dasselbe – für Bibliotheken noch 10 Prozent preisgünstiger.

Aber niemand konnte den anderen mit Preisen unterbieten und damit aus dem Auftrag drängen. Die Wege waren kurz, die Einkäufer/-innen der Stadtbibliothek hatten den direkten Draht zu den Buchhändlern. Reklamationen konnten auf dem kurzen Weg geklärt werden.

Die Frage einer unzulässigen Quersubventionierung

Aber all das soll sich ändern. Denn die Ausschreibung bindet die Bewerber nicht nur auf vier Jahre, sondern schnürt auch so umfangreiche Einzellose, dass dadurch zwingend die Schwelle von 215.000 Euro überschritten wird, nach der öffentliche Aufträge europaweit ausgeschrieben werden müssen.

Etwas, was ja in der Ausschreibung auch noch mit einem Service gekoppelt wurde, den bisher die Stadtbibliothek selbst abwickelt: die Folierung der Bücher und die Ausstattung mit RFID-Chips und Scan-Code. Diese Serviceleistung aber will die Stadtbibliothek augenscheinlich loswerden und koppelt sie gleich mit der Buchbeschaffung.

Was dann ein Konstrukt ergibt, das nach europäischem Vergaberecht erst einmal nicht anfechtbar ist. Aber der Teufel steckt im Detail, wie Niels Kahlefendt in seinem Beitrag für die FAZ anmerkt: „Schließlich muss die Beschaffung von preisgebundenen Medien nicht zwingend mit der Beauftragung zu kommerziellen Dienstleistungen verbunden werden. Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins, sieht hier die potenzielle Gefahr einer unzulässigen Quersubventionierung. Formalrechtlich ist gegen die Ausschreibung wohl nichts einzuwenden. Sprang rechnet jedoch damit, dass es schwierig werden dürfte, ‚eine Zuschlagserteilung sauber hinzubekommen‘’ …“

Es besteht keine Pflicht zu großen Losen

Was hier aus Sicht der Stadt Leipzig wie eine nicht zu verhindernde europaweite Ausschreibung aussieht, hätte so nach Einschätzung der Justiziare des Börsenvereins des deutschen Buchhandels gar nicht passieren müssen.

Denn weder muss „die Beschaffung von preisgebundenen Medien (…) mit der Beauftragung zu kommerziellen Dienstleistungen rund um den beschafften Medienbestand zusammengefasst werden“, noch besteht ein „Zwang zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen über mehrere Jahre. Bei Rahmenvereinbarungen steigt der Auftragswert automatisch, da die zu erwartenden jährlichen Nettoauftragswerte zusammenzurechnen sind. Bei einer jährlichen Vergabe sind die Auftragswerte bereits erheblich niedriger.“

Die Stadtbibliothek hätte den Beschaffungsetat wie in den Vorjahren weiterhin splitten können. Sie wäre weiter flexibel geblieben. Die Notwendigkeit, die Beschaffung europaweit auszuschreiben, wird also auch vom Börsenverein infrage gestellt.

Sie ist ein Konstrukt, das allein schon durch die Konditionen der Ausschreibung dafür sorgt, dass sich kleine Buchhändler nur unter Vorbehalt bewerben können. Die meisten können das Risiko, sich auf vier Jahre mit so großen Lieferpaketen zu binden, gar nicht einschätzen.

Schöne Reden für den Einzelhandel, aber …

Und da ist man mittendrin in einer ganz speziellen Leipziger Eierei, die im Stadtrat schon mehrfach unter dem Motto „Rettet den Einzelhandel“ diskutiert wurde. Dass das etwas mit der Beschaffungspolitik auch der Stadt selbst zu tun hat, dürften zumindest die Mitglieder im Vergabeausschuss VOL wissen.

Denn längst wurde rauf und runter diskutiert, welche Rolle eine Kommune mit ihren Einkäufen für den örtlichen Einzelhandel hat. Es geht um Regionalität, kurze Wege, Vertrauen und Nachhaltigkeit.

Hier aber wird nun mit einem nicht wirklich schlüssigen Verweis auf europäisches Vergaberecht ausgerechnet so ein bestehendes Beziehungsgeflecht zerstört. Für einige kleine Buchhandlungen bedeuten die Aufträge der Stadtbibliothek 10 bis 30 Prozent ihres Umsatzes. Logisch, dass einige jetzt ans Aufhören denken, nachdem sie allesamt in den zwei Corona-Jahren und durch zwei ausgefallene Buchmessen in ihren Umsätzen heftig gebeutelt wurden.

Jetzt wäre eigentlich auch Leipzigs Stadtverwaltung gefragt, für sich selbst zu klären, was all die vollmundigen Beschwörungen von Nachhaltigkeit und Regionalität eigentlich bedeuten, wenn im konkreten Fall ausgerechnet das europäische Vergaberecht dafür genutzt wird, die lokalen Händler auszuboten.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Es gibt 2 Kommentare

Vielleicht sollte man einmal die Amtsleiterin der Leipziger Städtischen Bibliotheken Frau Susanne Metz fragen, was sie sich bei der ganzen Sache gedacht hat. Der Bezug auf “europäisches Vergaberecht” ist fadenscheinig. Geld sparen bei eigenen kompetenten Mitarbeitern kann nicht zielführend sein.
Führt hier eine Verwaltungsangestellte den politischen Willen einer Stadtführung ad absurdum?

Die Verwaltung handelt vorsätzlich gegen die lokalen Buchhändler, das ist offensichtlich.
Denn kleinere Lose wären durchaus möglich gewesen. Im Gegenteil, man nimmt sogar den Aufwand einer europaweiten Ausschreibung in Kauf! Man hätte die Dienstleistungen auch getrennt ausschreiben können.
Bleibt nur zu wünschen, das interessierter Journalismus bei OBM Jung anfragt, wie denn das mit Lokalpolitik für die Händler vor Ort zusammenpasst. Oder ob die Verwaltung absichtlich gegen den lokalen Handel arbeitet.

Schreiben Sie einen Kommentar