Es ging nicht nur um das Wort „deutsch-national“ im Ursprungsantrag der AfD-Fraktion, mit dem die Fraktion eben nicht nur eine Gedenktafel zur Erinnerung an den 12. August 1845 am Rossplatz haben wollte, sondern auch eine Aufschrift, die das Ereignis auch noch völlig falsch dargestellt hätte. Und es ging um die Besetzung eines Themas, das in die Erinnerungskultur der Leipziger Demokratiebewegung gehört.

Ein Thema, mit dem sich das Kulturamt der Stadt sowieso schon beschäftigt. Und auch der 2016 im Universitätsverlag erschienene Band „Unruhiges Leipzig“ hat den 12. August 1845 in der großen Entwicklungslinie des Leipziger Ungehorsams berücksichtigt. Und solche Ungehorsamkeiten gab es des Öfteren. Immer dann, wenn sich die Bürger ungerecht behandelt fühlten. Nicht ganz grundlos ordnet das Kulturamt die Ereignisse von 1845 (die zum direkten Vorläufer der Revolution von 1848 wurden) in eine Reihe ein mit dem Aufstand von 1953 und der Friedlichen Revolution von 1989.

So gesehen hätte der Stadtrat durchaus dem Verwaltungsstandpunkt, den das Kulturamt formuliert hatte, zustimmen können. Aber die Mehrheit tat es nicht, auch wenn AfD-Stadtrat Roland Ulbrich mit dem Verwaltungsstandpunkt sehr zufrieden war. Hätte man ihn beschlossen, hätte die AfD-Fraktion durchaus für sich verbuchen können, endlich mal einen Antrag durchgebracht zu haben.

Aber das falsche Gefühl wäre geblieben, waren Ulbrichs Erklärungen am Rednerpult zum scheinbar falschen Verständnis der Formel „deutsch-national“ doch eher irreführend als faktenbasiert.

Politik mit falschen Geschichtsfakten

Denn schon die damalige Variante des Wikipedia-Artikels zu „Leipziger Gemetzel“ hatte eine falsche Darstellung enthalten, die die AfD-Fraktion in ihrem Antrag für eine Gedenktafel direkt übernommen hatte: „Als der sächsische Prinz Johann im gegenüberliegenden Hotel de Prusse am Abend des 12. August 1845 speiste, sang eine Menge Leipziger Bürger vor dem Haus deutsch-natio­nale und patriotische Lieder.“

Was schlichtweg nicht stimmt. Darauf hat 2007 schon Ralf Zerback in seiner Robert-Blum-Biografie hingewiesen. Die Bürger sangen tatsächlich das alte und beliebte Luther-Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ und grölten Schillers Räuberlied „Ein freies Leben führen wir“. Es ging also weder um die deutsche Nation noch um die deutsche Einheit.

Der Wikipedia-Artikel ist inzwischen korrigiert. Und in dieser Form passt das Ereignis dann auch nicht mehr in das deutsch-nationale Selbstverständnis der AfD. Der komplette Antrag war damit eigentlich hinfällig, in dem die AfD-Fraktion extra noch betonte: „Hierbei soll deutlich gemacht wer­den, dass die Forderung nach Demokratie und nationaler Einheit unseres Vaterlandes mitein­ander einhergingen und -gehen. Nicht umsonst sangen 1845 Leipziger Patrioten deutsch-nationale Lie­der, denn sie wussten, dass nur die geeinte deutsche Nation den Rahmen für eine wahrhafte Demokratie bieten konnte.“

Nichts davon trifft zu.

Abfuhr für den Umdeutungsversuch

Das Kulturamt deutete zumindest in seiner Vorlage den Zweifel an, ob das überhaupt stimmte, was die AfD-Fraktion da als Text formuliert hatte: „Die Schaffung einer Gedenktafel im Rahmen des städtischen Haus- und Gedenktafelprogramms wäre ab 2025 möglich, die Umsetzung anderer, inhaltlicher Optionen könnten eher geprüft werden.“

Sollten sie auch.

Oder wie es das Kulturamt formulierte: „In Leipzig 1845 kamen dazu der Protest gegen blutige Behördenwillkür, der unentschiedene Charakter der öffentlichen Sicherheitsarchitektur zwischen Kommunalgarde und Garnison sowie ein persönlich gegen Prinz Johann als Vertreter des monarchisch-reaktionären sowie dezidiert katholischen Dresdner Establishments gerichtete friedlicher Aufruhr – alles Aspekte, die sich in einer grundsätzlich zu bejahenden Erinnerung an das Ereignis sowie gegebenenfalls dazu zu erstellenden Texten niederschlagen sollten.“

Trotzdem sah es eine Stadtratsmehrheit gar nicht ein, warum ein sehr parteilich gefärbtes AfD-Anliegen nur deshalb zum Beschluss kommen sollte, weil Roland Ulbrich kurzerhand den ausgewogenen Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung stellte.

Nur 18 Stadträt/-innen stimmten dafür. 34 gaben ein klares „Nein“ für diesen Versuch, die Leipziger Geschichte auf deutsch-nationale Art umzudeuten.

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