Noch gibt es in den Gärten in und um Leipzig alte Kulturpflanzen. Und das Interesse vieler Gärtner, sie auch in ihrem Reich anzusäen, ist da. Doch wo bekommt man die Samen? Die Frage hat in der Vergangenheit schon Umweltvereine wie den Ökolöwen beschäftigt. Die Grünen-Fraktion hat die Idee, eine Saatgutbibliothek zu einem Stadtratsantrag gemacht. Und erntete am 24. Januar eine geradezu schräge Diskussion über Gentechnik und Prüfkosten. Zerreden ließen sie sich die Idee aber nicht.

Denn mit ihrer Stellungnahme hatte auch die Stadtverwaltung klargemacht, dass sie die Idee gut findet. Vor allem, weil sie auch nicht neu ist, sonden längst Erfahrungen vorliegen, wie so etwas gemacht werden kann. Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek fühlte sich vom zustimmenden Verwaltungsstandpunkt nur zu bestätigt und hätte nur zu gern erfahren, wie Freibeuter und AfD ihre Änderungsanträge eigentlich begründen. Man könnte ja noch was lernen dabei.

Mitmachen beim Samenretten

„In einer Saatgutbibliothek bekommen Hobbygärtner(innen) einige Samen einer Sorte, säen diese in ihrem Garten oder auf dem Balkon aus und bauen somit die Pflanze über den Sommer an. Nach der Ernte trocknen sie die Samenkörnchen und bringen – zumindest einen Teil davon – wieder in die Saatgutbibliothek zurück. Wichtig ist natürlich, dass viele Samen wieder in die Saatgutbibliothek zurückfließen. Nur dadurch können immer wieder andere Gärtner/-innen diese Sorte im nächsten Jahr anbauen“, hatte der Grünen-Antrag formuliert, wie so eine Saatgutbibliothek funktioniert.

Was aber nicht verhinderte, dass AfD-Stadträtin Sylvia Deubel dann stockernst anfing, der Ratsversammlung zu erklären, was eine Bibliothek ist. Gründlich am Thema vorbei.

Dabei ist die Idee nicht mal eine Leipziger Erfindung, sondern ist längst ein internationales Thema, wie es im Grünen-Antrag heißt: „Die grundlegende Idee stammt aus den USA, wo es bekanntermaßen viel gentechnisch verändertes Saatgut gibt. In Deutschland haben Städte wie Kassel ebenso angefangen, Saatgutbibliotheken in die normale Stadtbibliothek zu integrieren.

Die Saatgutbibliothek soll auf alte Sorten von regionalen Nutzpflanzen aufmerksam machen, um der Vereinheitlichung des Saatguts entgegenzuwirken. So sollen auch Laien die Möglichkeit bekommen, regional angepasste Sorten selbst anzubauen. Entsprechend regional ist die Auswahl zu gestalten. Ebenso sollen dadurch Leipziger zum Anbau von regionalen Pflanzen ermuntert werden.

Das ist auch die Hoffnung hinter der Saatgutbibliothek: regionale Pflanzen wiederzubeleben. Dazu sollen auch Bücher mit Hintergrundwissen und Tipps zum Gärtnern bereitgestellt werden.“

Es gibt schon kompetente Partner

Und anders als CDU-Stadträtin Sabine Heymann vermutete, will der Antrag auch gar nicht, dass die Stadt das selbst macht und damit eine weitere Aufgabe übernimmt, die nicht zum Pflichtenheft eine Kommune gehört.

Im Grünen-Antrag stand deutlich zu lesen: „In Leipzig gibt es mit der Stadtbibliothek, der Umweltbibliothek und dem Ökolöwen, sowie dem Botanischen Garten der Universität Leipzig u.a. potentielle Partner, die hier mitwirken können.“

Wahrscheinlich ist es trotzdem eine Geldfrage. Denn dass der Ökolöwe das Projekt nicht regelmäßig auflegt, hat auch mit Personal und Geld zu tun. Es kann also sein, dass es ohne Fördergelder nicht umgesetzt werden kann.

Im Verwaltungsstandpunkt heißt es dazu eindeutig: „Wir bemühen uns um Fördermittel, damit das Projekt realisiert werden kann. Eine Planung der Saatgutbibliothek wird in Abhängigkeit von Fördermitteln in 2024 aufgenommen. Hierbei werden bestehende Netzwerke, welche Saatgut bereits verteilen, kontaktiert und ein Verfahren zur Weitergabe des Saatgutes erarbeitet.“

Geldfrage soll trotzdem geklärt werden

Manchmal hat man in Stadtratsdiskussionen tastsächlich das Gefühl, dass die besprochenen Anträge und Stellungnahmen von einigen Diskussionsteilnehmern überhaupt nicht gelesen wurden.

Man hat ein eindeutig positives Votum der Verwaltung, die auch noch auf die Landeshauptstadt Dresden verweist, wo es schon eine Saatgutbibliothek gibt. Man hat die extra benannte Partner, die die Stadt auf jeden Fall einbinden möchte – auch den Botanischen Garten. Und man hat es mit Saatgut zu tun, das die Leipzigerinnen und Leipziger selbst anbauen und ernten. Dass sie bei einem Interesse für historische Apfelsorten, Rüben und Sträucher auf einmal anfangen sollten, gentechnisch veränderte Samen unterzumogeln, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

Trotzdem redete die AfD-Stadträtin auf einmal von teuren Gentechnik-Prüfverfahren, die auf einmal fällig werden sollten. Im AfD-Antrag stand das so: „Der Aufwand zurückgebrachtes Saatgut zu prüfen und entsprechend zu zertifizieren ist kostenintensiv und zeitaufwändig. Eine städtische Aufgabe ist dies nicht, daher sollte die Einrichtung in Privatinitiative erfolgen.“

Weiter am Thema vorbei konnte man das Ganze gar nicht auffassen. Logisch, dass dieser seltsame Versuch, das Projekt geradezu unbezahlbar zu machen, von der Ratsversammlung mit 10:47 Stimmen rundweg abgelehnt wurde.

Und wie ist es mit dem Geld? Das wollte die Freibeuter-Fraktion dann doch genauer wissen: „Laut Verwaltungsstandpunkt zum Antrag bemüht sich die Stadt um Fördermittel, um das Projekt realisieren zu können. Eine Planung der Saatgutbibliothek soll in Abhängigkeit der Fördermittel im Jahr 2024 aufgenommen werden. Wir stehen dem Anliegen positiv gegenüber. Eine Entscheidung für oder gegen die Umsetzung kann aber erst mit Vorlage der dafür anfallenden Kosten und der dahinterstehenden Kostendeckung getroffen werden.“

Dieser Antrag wieder fand mit 34:17 Stimmen bei sechs Enthaltungen die nötige Mehrheit. Da das Amt für Stadtgrün und Gewässer aber sowieso versprochen hat, sich um Fördermittel zu bemühen, sollte das eigentlich nicht das große Problem sein.

Und der Antrag selbst? Der fand 38 Unterstützer/-innen und 20 Stadträt/-innen stimmten dagegen. Damit war er angenommen. Jetzt kann die Suche nach Fördermitteln beginnen.

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